Geist, entweiche!

von Christoph Fellmann

Zürich, 18. März 2016. "Geht ihr zu Köppel?", fragten die zwei Kiffer am Ufer des Zürichsees, als vielleicht 200 Menschen an ihnen vorbeizogen. Und vielleicht hätte man an dieser Stelle den Theaterskandal, der die Stadt seit zwei Tagen in, nun ja, Atem hielt, besser verlassen. Jedoch ging man pflichtbewusst weiter, begleitet von allerhand Kameras und sogar einer Drohne, um nach knapp einer Stunde den Stadtrand zu erreichen. Dort beginnt im Osten von Zürich nämlich Küsnacht, wo tatsächlich besagter Roger Köppel wohnt, rechtsnationaler Herausgeber der "Weltwoche" und Nationalrat der SVP. Es war ein ausgesprochen schöner Spaziergang, und noch wartete an seinem Ende ja die Aussicht auf das Theaterereignis dieses Frühlings. "Ja", war die folgerichtige Antwort.

Der kurze Marsch nach Küsnacht

Wann genau der lange Marsch vor das Wohnhaus von Roger Köppel begonnen hatte, ist im Rückblick schwer zu sagen. Begann er schon mit den früheren theatralen Aktionen gegen dessen rechte Rhetorik, im Prozess etwa, den Milo Rau gegen die "Weltwoche" führte, oder mit dem Aufruf "Tötet Roger Köppel" durch das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) von Philipp Ruch? Oder damit, dass in einem Programmfalter des Theaters Neumarkt die "Ausschaffung" des Politikers wiederum durch das ZPS angekündigt wurde? Damit, dass die Zürcher Medien vor zwei Tagen auf die Aktion aufmerksam wurden, die nun aber keine "Ausschaffung" mehr war, sondern eine "Verfluchung", im Zuge derer Köppel wahlweise mit Schizophrenie, Inkontinenz oder zwanghaftem Masturbieren belegt werden sollte? Damit, dass diese Medien die Aktion nun plangemäß geißelten, performative Fiktion großzügig mit realer Handlung verwechselnd?

Politische Schoenheit 280 Jessica WahlMit den Rußspuren des Straßenkampfs: Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit
© Jessica Wahl
Oder begann das Abenteuer doch erst richtig, als am Freitagabend nun besagte 200 Personen im Theater Neumarkt ihren Platz einnahmen, um zu sehen, wie aus dem verfluchten Roger Köppel der Geist von Julius Streicher exorziert werden sollte, des Eigentümers und Herausgebers des Nazi-Hetzblatts "Der Stürmer", der vom Schweizer Politstar angeblich Besitz ergriffen hatte? So oder so, jedenfalls erklärte der Theaterleiter Peter Kastenmüller die Performance nach fünf Minuten auf offener Bühne für "beendet", von "Verantwortung" redend und "Druck" meinend. Es ging dann noch ein bisschen um eine ominöse "rote Linie" und die "Grenzen des guten Geschmacks", bis sich das Publikum zur großen Mehrheit und mit Philipp Ruch trotzdem dafür entschied, nach Küsnacht aufzubrechen (wozu sich ihm auch Kastenmüller anschloss; man will sich so einen schönen Theaterskandal, für den man nicht verantwortlich ist, ja lieber nicht entgehen lassen).

Doch offenbar war die Rechtsberatung zum Schluss gekommen, dass die Privatsphäre von Roger Köppel schon unmittelbar hinter der Stadtgrenze tangiert sei. Plausibilität hin oder her, so wurde jedenfalls begründet, warum der Exorzismus nun hier, am Übergang zu Küsnacht, stattfinden sollte, auf dem Gehsteig zwischen Hauptstraße und Werbeplakaten ("Mega"). Und so endete, was gerne eine militante Polit-Prozession in der Tradition von Christoph Schlingensief gewesen wäre, als peinlichster Rohrkrepierer der jüngeren Zürcher Theatergeschichte. Zu sehen gab es, fünf Kilometer vom eigentlichen Ziel entfernt, die durchaus holperige Darstellung eines Exorzismus über weißem Tuch und schwarzem Kreuz. In keinem Moment war sie mehr als eine Abbildung des Ankündigungstextes, den man im Internet gelesen hatte. Dann war das erledigt, und bald kam die nächste S-Bahn in die Innenstadt.

Eine Studie über Fallhöhe

Dieser Abend war, wenn überhaupt etwas, dann eine Studie über Fallhöhe. Die radikal formulierte, von der Öffentlichkeit, der Politik und den Sponsoren brav hyperventilierte, nur von Roger Köppel recht souverän parierte Provokation, sie schrumpfte in der Realität zu einem performativen Pups. Nachdem steht das Zentrum für politische Schönheit, das Aktionen von erhabener Größe gezeigt hat (etwa: Die Toten kommen), wie ein Zentrum für spätgymnasialen Agitprop da. Linien wurden keine überschritten, und Roger Köppel wurde nicht als Nazi enttarnt – nicht zuletzt darum, weil er keiner ist. Das ist als Erkenntnis umso schaler, als die Schweiz vor der Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative gerade recht fundiert über die Frage diskutiert hat, ob dieser Vorstoß der SVP schon Nazivergleiche nahelegen sollte. Worauf man im Land zum Schluss kam, dass das nicht der Fall sei, und die Initiative und ihren Angriff auf den Rechtsstaat trotzdem klar abwehrte.

Was wir an diesem Abend allerdings gelernt haben: Es lohnt sich, Theaterhäusern mit gutem Geschmack zu kommen. Und Journalisten sind Journalisten und mögen immer noch Skandale. Aber sie haben jetzt Drohnen.

 

Schweiz entköppeln!
vom Zentrum für Politische Schönheit unter der Leitung von Philipp Ruch
Ein aktivistischer Spaziergang mit rund 200 Besuchern.
Dauer: 30 Minuten, keine Pause

www.politicalbeauty.dewww.theaterneumarkt.ch

 

Kritikenrundschau

"Was da mit Fotos von Julius Streicher und Roger Köppel, ein wenig Erde, einem Hamsterkäfig und einem schwarzen Kreuz zelebriert wurde, kam über die Harmlosigkeit eines Schülertheaters noch nicht mal im Ansatz hinaus", spottet Andreas Tobler vom Tagesanzeiger (19.3.2016). Für "unendlich dumm" hält er das ganze Vorhaben von Philipp Ruchs ZpS. Seine eigentliche Absichten, "eine kritische Aufmerksamkeit für die Publikationspraxis der 'Weltwoche' zu schaffen (die es eh schon gibt), spielen bei all dem keine Rolle, werden sogar verdeckt durch das ganze Brimborium, das der Sohn eines Schweizers und einer Deutschen veranstaltete". Ruch habe also nur erreicht, dass nun auch hier bei uns, also in der Schweiz, eine sehr große Öffentlichkeit seinen Namen kenne.

Ziemlich aufgebracht schreibt René Zeyer in der Schweiz am Sonntag (20.3.2016) über die "hirnlose Provokation" des "drittklassigen Schlingensief-Adepten": "Ist Kunst also, wenn man trotzdem lacht? Nein, Kunst kommt von können. Kunst darf alles, nur nicht hirnlos missbraucht werden."

Weitere Stimmen zur Aktion "Schweiz entköppeln" und zur anschließenden Kontroverse um das Theater Neumarkt in der Presseschau.

Kommentare  
Schweiz entköppeln, Zürich: lernt doch was Ordentliches
@ZPS: peinlich, dumm, naiv und dazu künstlerisch völlig uninteressant. Wann wurde in unserer Generation eigentlich allen Unbegabten und Idioten die Erlaubnis zuteil, im Namen der politischen Kunst zu agieren? Bitte: Man muss doch wirklich einmal, endgültig, eine Grenze ziehen und sagen: Geht zur Schule, lernt einen Beruf, den ihr vielleicht ausüben könnt, aber haltet euch von fern vom Theater. @Intendanten und Theaterhäuser: Hört auf, irgendwelche vermeintlichen Trendsetter in ihrem realitätsfernen Glauben, sie hätten etwas zu melden, weiterhin zu unterstützen. Denn das ist gemein.
Schweiz entköppeln, Zürich: Zustimmung
@Züricherin: JA JA und nochmal JA!!!!!!
Schweiz entköppeln, Zürich: macht ratlos
Ich verstehe diese Kritik an dieser Performance sehr gut. Die Artikel oben sagen fast alles aus - wenig ist hinzuzufügen. Dieses wenige wird auch noch gesagt werden. Die akute Frage ist nun, wer die Verantwortung trägt für diese grosse Panne. Genützt hat diese Sache nur Roger Köppel. Das ist, was ratlos macht.
Schweiz entköppeln, Zürich: Frage
@SamuelSchwarz: Was glaubst du denn?
Schweiz entköppeln, Zürich: die Falschen
Was im eigentlichen doch viel unfassbarer ist, wie sich ein Haufen Menschen aus Medien Politik und Kultur dermaßen erregen über doch so ein kleines Ereignis. Und nun genauso wenig Inhalte verhandeln wie Sie Herrn Ruch vorwerfen. Somit unterstützen Sie AUCH, dass in der Schweiz die Zensur weiterhin ein Mittel ist Kunst zu verbieten. Siehe SFR Arosa Festival Serdar Somuncu. Über diese Aktion lässt sich auf vielen Ebenen streiten, doch was in der Schweiz tatsächlich ein Problem ist, zeigt sich doch gerade. Gab es jemals solch einen medialen Aufriss, wenn Herr Köppel seinen unfassbaren, rechtsradikalen, menschenverachtenden Schwachsinn Woche für Woche losgelassen hat? Bzw. wie groß müsste der im Verhältnis zu Ruchs Aktion denn dann wohl aussehen? Wir hatten doch vor der letzten Wahl alle die Hose voll! Und ja die Wahl ist jetzt dann mit ein paar Prozent doch in die richtige Richtung geendet. Aber: Wir müssen uns mal klar machen über was genau gesprochen wird. Ruch organisiert eine kindliche, plumpe, geschmacklose womöglich sogar nicht vollkommen durchdachte Aktion. Geschenkt. Niemand hat Schaden genommen.(köppel an erster Stelle nicht) Außer womöglich das Theater Neumarkt selbst und das Aufgrund weil sie als Kulturinstitution einen Künstler einladen, welcher extrem kritisch mit der rechten Masse bzw. in diesem genannten Fall mit Herrn Köppel ungeht????? jetzt sollten wir mal zu dem Menschen schauen den plötzlich lauter Leute -und ja auch Samuel Schwarz selbst mit seinem Kommentar - schützen! ROGER KÖPPEL!!!! Hallo!!!
Ein Theaterbetrieb wird ( wir wir es in der Schweiz gern ausdrücken: nett gebeten solch Aktion zu unterbinden!! Wann fangen wir denn endlich mal an Herrn köppel freundlichst zu bitten derartigen Schwachsinn sein zu lassen! Es trifft doch einfach die absolut Falschen, wenn man nun auf Ruch und das Theater Neumarkt eindrischt. Der Köppel sitzt daheim und lacht sich eins. Und wird demnächst noch Samuel Schwarz ein Theater bauen. Dann können wir das Neumarkt ja endlich abreißen!
Schweiz entköppeln, Zürich: Bumerang
@ZürcherIn: Ich glaube daran, dass diese Aktion zum Ziel hatte, Roger Köppels psychopathologische Probleme - die sich beispielsweise zeigten bei einem völlig paranoiden Text "Über das Begehren" (http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2014-36/editorial-begehren-die-weltwoche-ausgabe-362014.html ) zu thematisieren. Ihm diese Probleme "auszuexerzieren" ist grundsätzlich eine gute Idee. Roger Köppel hat ein soldatisches Wesen und ein soldatisches Frauenbild - und seine Angst vor Frauen ist wohl - so sehe ich das - eine ähnliche Angst wie seine Angst vor dem fremden "Flüchtling". Für Philipp Ruch sind also genügend Gründe auf dem Tisch, eine solche Aktion zu machen. Nur: ästhetisch scheitert der Ruch'sche Exorzismus schon nur daran, dass dieser Aktion jegliche Androgynität und Zwischengeschlechtlichkeit abgeht - sie ist selber extrem "studentenhaft", "männlich", "verklemmt".... eine solche Aktion müsste meiner Meinung nach sein, was Robert Pfaller ein "Schiboleth" nennt, sie müsste ein Zeichen sein, das rätselhaft, mysteriös, verwirrend und irritierend zugleich ist und uns viel zum Nachdenken gibt. Diese Aktion setzt aber nur Zeichen, die eben NICHT verwirren. Philipp Ruch spiegelt Köppel und seine studentenhafte Aggression nur. Und das ist zuwenig und das dient nun Roger Köppel zu. Er ist das Original. Die Kopie sind Philipp Ruch und sein Alter Ego Jonas Gygax... Das ist sehr gedankenlos konzipiert, leider.
@Erna: Was schreiben sie da? Ich glaube sie haben nicht so richtig nachgedacht, während sie schrieben. Sie benennen aber ein Problem richtig. Ja, eben hat Roger Köppel keinen Schaden genommen!! - das ist ja die Haupt-Kritik an diesem harmlosen Studentenulk ( nicht von mir, von sehr vielen! ) ! Köppel - und mit ihm dieser ganze Apparat profitiert nun von der Ablehnung der Aktion durch die Menschen & der Theatergemeinde - und dieser Köppel lacht sich jetzt ins Fäustchen und kann seine Soldaten losschicken. Und bei der nächsten Gemeinderat-Sitzung wird wegen dieser unreflektierten und unüberlegten - und auch nicht abgesprochenen! Aktion wohl einem Theater oder Museum die Mittel gekürzt. Nicht dem Neumarkt. Meine Kritik ist letztlich logistisch. Diese Aktion hätte alles viel besser geplant sein müssen (es gibt seit kurzem eine linke Zürcher Kulturlobby, die sehr viel Polit-Kompetenzen angehäuft hat und ganz sicher hätte helfen können, damit der vorliegende Fall nicht eintritt, Ja, Ruch hätte genügend Credibility gehabt in der Stadt, damit viele ihm geholfen hätten) - ja, man hätte helfen können, dass die Aktion eben Köppel trifft und nicht zum zerstörerischen Bumerang wird. Es liegt NICHT an den ohnehin kulturfeindlichen SVP'ler im Stadt-Parlament, liebe Erna, ob nun Theater oder Museum XY der Geldhahn zugedreht werden wird, es liegt an diesen wenigen kleinen Stimmen bei CVP oder FDP oder gar SP oder AL- Menschen, die vielleicht ein bisschen kulturskeptisch sind - die momentan mal so mal so stimmen. Diese Leute hat man bei dieser Aktion ganz sicher verloren. Deine persönlichen Angriffe, lieber Erna, die solltest du lieber lassen. Du solltest nachdenken bevor du schreibst und mich nicht einfach sinnlos - und sachlich sehr falschliegend - völlig persönlich attackieren. Ich störe mich mich daran, weil eben Köppel kein Schaden entstanden ist zieht - und weil ihr die Aktion ihn kopiert und nicht bekämpft.
Schweiz entköppeln, Zürich: Danke
Erna hat mehr als recht! Danke.
Schweiz entköppeln, Zürich: Argumente, nicht nur Affekte
Lieber Tell, sie haben ein bescheuertes, für rechtsextreme stehendes Pseudonym. Aber das nur am Rand. Bitte beschreiben Sie genauer, warum Erna mit ihrem wirren Geschreibsel recht hat. Wenn sie schon nicht unter Klarnamen schreiben, erwarte ich wenigstens (auch von Erna) Argumente, nicht nur Affekte. Und wenn sie heute in die Medien schauen, sehen sie dass das Worst Case Szenario eingetreten ist. Auf dem "Tagesanzeiger"-Online der rechtsextreme Andreas Thiel im Verbund mit Charles Lewinsky, Franz Hohler - plus dem Stiftungsratspräsidenten Andreas Spillmann. Alle - inklusive Stiftungsratspräsident - versus das Theater Neumarkt.
Schweiz entköppeln, Zürich: wo ist Köppels Schaden?
Wo, lieber Samuel Schwarz, ist die künstlerische Aktion, die Köppel schadet?
Schweiz entköppeln, Zürich: Niveau riskant unterschritten
Liebe Erna, eine Theaterveranstaltung oder Kunstaktion muss man immer in ihrem künstlerischen Gehalt bewerten dürfen, dass es ja "gegen den Richtigen, sprich, den Bösen" ging, reicht nicht. Und wenn man ein gewisses Niveau künstlerisch, aber auch an Professionalität unterschreitet, riskiert man, der Gegenseite in die Hände zu spielen. Das ist hier leider ungewollt geschehen. Das aufzuzeigen bedeutet nicht, dass man Köppels Handeln gutheisst.
Schweiz entköppeln, Zürich: hochgedampft
Ach Herr Schwarz. Ich habe überlegt beim Schreiben. Mit ihnen zu diskutieren speziell über die Leute vom Neumarkt....??!! : Sinnlos. Ich stehe sehr klar dazu: es wird etwas hochgedampft, was in dieser Dimension völlig übertrieben ist!! Völlig.
Schweiz entköppeln, Zürich: andere müssen bluten
Vielen Dank für den Bärendienst, den das Neumarkt zur Bekämpfung der Verköppelung hier geleistet hat! Es ist leider genau so, wie Samuel Schwarz schon fest gestellt hat: Für diese Pfadfinder-Übung nach Küsnacht, die - mit Verlaub - schon im Ansatz implodiert ist, wird die Kulturszene leider äusserst unangenehm zu spüren bekommen. Das Neumarkt wird's nicht kratzen! Wirklich ärgerlich aber ist der Umstand, dass die "Aktion" nicht mal annähernd effektiv war. Gerade hat man im Schiffsbau z.B. den Schweizer Filmpreis mit viel Pomp und Trara verliehen. Warum wurde daran nicht gedacht? Hier hätte eine Aktion wenigstens Sinn gemacht, denn ALLE waren da, inkl. TV-Teams etc.

@Erna: Die "Erregung über doch so ein kleines Ereignis" ist in der Tat zu gross, das sehen sie schon richtig. Schmerzlich dabei ist aber, dass für solche spiessigen Aktionen andere bluten müssen.
Schweiz entköppeln, Zürich: persönlich reden
@Rahel: Ja, das ist die richtige und total berechtigte Frage. Ich will nun aber dies nicht beantworten. Mir ist hier das Verhältnis Klarnamen und Pseudonyme zu krass, um mich weiter auszupowern. Die Kulturlobby Zürich wird das in physischen Zusammenkünften besprechen. Gerne zusammen mit den Leitern des Neumarkts. Und vielleicht kommen sie dann ja auch und wir können darüber persönlich reden.
Schweiz entköppeln, Zürich: Problem verkannt
@Erna: Kaum äussert Samuel Schwarz seine Meinung, steht er unter Beschuss. Das ist doch total bescheuert und ebenso ein Schweizer Problem. Und ich würde auch sagen: Diese Haltung lässt sich auch übertragen und ist auch in anderer Weise das Problem von @ZPS und vielen anderen, die sich hier geäussert haben: Ich lese schaden, Schaden, schadet. Das kann doch nicht alles gewesen sein, das kann doch nicht die Motivation eines Künstlers sein, das kann doch nicht der Grund sein, weshalb man sich mit dem Prädikat "politisch" labelt und in Freund-Feind-Schemata denkend, weniger als einen Kommentar hinkriegt. Das kann doch nun wirklich nicht Aufgabe der Kunst sein, einem Idioten schaden zu wollen und aufgrund mangelnder Kompetenz doch nur sich selbst schadet. Wo sind die visionären, künstlerischen Argumente von bspw. @ZPS für eine intelligente Auseinandersetzung mit dem "Feind", die keine Verdopplung des Bekannten ist. Ich stimme @SamuelSchwarz zu.
Und wenn @Erna sich dann noch widerspricht mit, man solle solch einem kleinen Ereignis doch nicht so viel Beachtung schenken, ist das eben nicht nur paradox, sondern auch das Verkennen eines viel grösseren Problems.
Schweiz entköppeln, Zürich: demokratische Kompetenzen
Es gibt keine politischen Siege in der Demokratie, und wenn, sehen sie so aus wie in Polen oder Ungarn, wo sich die Interessen von Minderheiten nicht mehr im politischen Leben abbilden.

Nirgendwo steht geschrieben, auch in keiner Verfassung, dass Nationalismus undemokratisch sei. Dies müsste die Europäische Union erst einmal formulieren und in ein allgemein anerkanntes europäisches Recht umsetzen, eben das nationale Interessen den europäischen nachgeordnet seien. Und somit macht es wenig Sinn allen Nationalisten in der EU und der Schweiz vor ihren Häusern nachstellen zu wollen, um dort Austreibungen zu exerzieren. Man stelle sich nur einmal kurz vor, die AFD zöge vor das Haus von Claudia Roth, um dort mit einem Kreuz und einem Hamster eine Teufelsaustreibung vor zu nehmen: Was dann hier bei uns in Berlin los wäre!

Was für ein Unfug. Die Zeit, wo man auf die Personen zielt, ist schon wieder vorbei. Nun sind sie in den Parlamenten und der lange demokratische Weg hat begonnen. Da geht es um Inhalte, nicht um Personen. Wen interessiert es denn, ob mir die Nase von Frau Petry nicht gefällt. Ich kann all die Versuche diese an sich attraktive Frau als hässliche Eule abzubilden nicht mehr sehen. Solche medialen Maßnahmen sind einfach zu transparent. Ebenso verhält es sich bei Herrn Köppel. Es reicht nicht sich hinzustellen und zu rufen: Du bist ein hässlicher Rassist.

Dafür haben diese Menschen zu viele Anhänger. Sich nun auf eine ganz andere Ebene zu begeben, ist die erste Pflicht. Ich renne doch nicht den ganzen Tag durch die Straßen und sage jedem, der mir nicht passt und den ich verdächtige in Sachsen Anhalt „falsch“ gewählt zu haben, dass ich ihn „Scheiße“ finde, und das er sich therapieren lassen sollte. Das ist doch kein demokratisches Grundverhalten.

Ich muss akzeptieren, dass die Interessen dieser Menschen, immerhin ein Viertel der wählenden Bevölkerung in Sachsen Anhalt, politisch abgebildet werden. Wenn ich es nicht schaffe, ihnen auf einer anderen Ebene zu widersprechen als auf der Persönlichen, habe ich es nicht besser verdient. Dann reichen meine demokratischen Kompetenzen eben nicht aus.
Schweiz entköppeln, Zürich: ZpS braucht externe Inspiration
"Dümmste Aktion aller Zeiten", "nicht mal Schülertheaterniveau" und "hinrloser Rohrkrepierer" ist ein bisschen hart, finde ich, aber leider zutreffend. Ich bin an dem Abend auch mitgelaufen in dem Häufchen, und es war einfach zutiefst peinlich, wir haben uns noch nie derartig fremdgeschämt. Wäre es nicht so völlig hilflos gewesen, dann hätte man es immerhin als Ausstellung kompletter künstlerischer Impotenz verstehen können. Sowas habe ich noch nie erlebt, nicht mal bei der Vorgängerproduktion des Zentrums für Politische Schönheit in Dortmund. War das Selbstverarschung? In der Werbung haben sie quasi Faust 3 angekündigt - was rauskam, war nicht mal eine schlecht kopierte Schülerzeitung. Es mag sein, dass die Idee, dass Kunst sich an seinem Produkt messen muss, ein bisschen veraltet ist - aber war Schlingensief, um diesen Namen aus der Kritik oben aufzunehmen, nicht einfach ein grossartiger Film-, Opern- und Theaterregisseur? Bisher hat mich am Zentrum für Politische Schönheit gestört, dass einfach jede Aktion und Idee von ihnen geklaut war: "Die Toten kommen" orientierte sich an den Beerdigungen von Aids-Toten vor dem Weissen Haus in den 80ern, und bei der Köppel-Sache war die Vorlage wieder mal der arme Schlingensief, der so eine Prozession ja vor 15 Jahren als Vorspiel für seine grossartige "Hamlet"-Inszenierung am Schauspielhaus gemacht hat. Nur dass diesmal eine Inszenierung nichtmal vorgesehen war - wer hätte auch Regie geführt? - und einfach alles, was nicht gefahrlose Internet-PR war, in dieser "Lass uns einen Umzug machen"-Burschenschafts-Peinlichkeit von ehemaligen Politik-Studenten erstickte, die in schwarzen Anzügen steif ein paar Lektionen aus dem Ethik-Grundkurs herunterbeten. Weniger Anarchie, weniger Schönheit, weniger Charisma und Magie war nie als bei diesen jungen Deutschen, die sich ja selbst unwohl fühlten dabei. Ich frage mich, warum die sich bei ihren (unbestrittenen) PR-Fähigkeiten und ihren (ebenfalls) unbestrittenen besten Absichten nicht einfach mal einen künstlerischen oder auch politischen Kopf/externen Inspirations-Geber suchen, der ihre Werbe-Kompetenzen für eine Vision, einen künstlerischen Zugriff einsetzen kann...
Schweiz entköppeln, Zürich: kunstfeindliche Keule
Was doch an der ganzen Sache wirklich empörend ist - anstatt nun weiter auf einem Kunstwollen rumzuhacken, das vor aller Augen so kläglich gescheitert ist - ist doch der Fakt, dass es nun von überall her laute Rufe gibt, einer Kunst- und Theaterstätte Subventionen zu entziehen und das als direkte Reaktion auf eine unliebsame Kunstaktion.

Dass eine Aktion wie diese - an der Ruch sich nunmal wirklich verhoben hat - auch ganz anders ausfallen kann, in ihrem Witz und ihrer Ironie eine wirkliche künstlerische Schlagkraft entwicklen kann, hat doch nicht zuletzt Schlingensief mehr als treffsicher unter Beweis gestellt. Die Aktion selbst zu kritisieren, meinetwegen auch Ruch zu kritisieren aufgrund seiner offenkundigen Versuche, in Schlingensiefs Windschatten Platz zu nehmen, fällt in das notwendige „Sprechen über Kunst“. Den Neumarkt aber nun derart unter Beschuss zu nehmen, sogar die Keule der Subventionskürzungen auszupacken, halte ich für nichts weniger als kunstfeindlich.

Ruch wirkt wie das gefundene Fressen in einer Subventionsdebatte, die sich seit langem hinzieht. Wer sich in den Reigen der „hyperventilierenden Medien“ einreiht, ohne das zu wissen, dem unterstelle ich nicht nur Fahrlässigkeit sondern auch Dummheit. Die Debatte über eine Aktion, die doch einstimmig als „pennälerhaft“ getadelt wurde, derart anzuheizen, hat eine durchaus politische Dimension.

Ein Haus, das sich der Kunst verschreibt, sollte ein Refugium dergleichen sein, Laborraum und Experimentiermöglichkeiten bieten, selbst wenn - oder vielleicht sogar gerade wenn - eine Aktion im Begriff ist zu scheitern. Muss Kunst nicht auch schiefgehen dürfen? Was bleibt von unserem vielgepriesenen Kunstkanon, zögen wir alle Erzeugnisse ab, die zum Zeitpunkt ihres Entstehens nicht als subventionswürdig angesehen wurden? Und dies ist keineswegs ein Pro-Ruch-Argument, sondern eins Pro-Möglichkeit-zum-Scheitern.

Ich finde es schockierend, dass es in der Schweiz möglich ist, eine von vielen als daneben empfundene Kunstaktion in eine Kausalverbindung mit der Kürzung von Fördergeldern zu bringen. Dieser Fakt sollte die eigentliche Bestürzung hervorrufen. Aber anstatt den Mechanismus hinter der Empörungswelle der Medien und der Politik bloßzulegen, springen alle auf den Zug der Bestürzung auf, gehen sogar so weit, Ruch für zukünftig arbeitslose Theatermitarbeiter verantwortlich zu zeichnen. (Herr Andreas Tobler vom Tagesanzeiger, sind für Sie auch die Ausländer schuld an der Arbeitslosigkeit eines Bioschweizers?)

Darf die Politik als Reaktion auf einen Angriff aus der Kunst tatsächlich zum Gegenangriff übergehen, indem sie Gelder einstreicht, die „scheiternde Kunst“ nicht mehr möglich macht?

Kunst an ihren eigenen Grundsätzen, an ihren eigenen Ansprüchen zu messen und auf Grundlage dessen zur Ablehnung einer Aktion zu kommen, ist sicherlich gut und richtig. Dies jedoch zum Anlass zu nehmen, Kürzungen für einen Kunstbetrieb vornehmen zu wollen, empfinde ich als gefährliche Zensur.

Und zu guter Letzt: Was gibt es eigentlich Feigeres, als einen Künstler mit seinem Kunstvorhaben einzuladen, seine gemeinhin bekannte Tendenz zur Provokation als gute Publicity für ein völlig unterbesuchtes Haus zu nutzen und im Moment der größten Empörungswelle durch Medien und Co. seine Entsolidarisierungserklärung auf der Bühne zu proklamieren? Das finde ich wiederum an Geschmacklosigkeit nicht zu unterbieten - obgleich Herr Ruch sicher in dieser Kategorie gern weit vorn mitzieht.
Schweiz entköppeln, Zürich: kläglich
Lieber E.R., ihre Argumentation ist sehr sorgfältig und meiner Ansicht nach zutreffend.


Aber ich verstehe überhaupt nicht, wieso ihre Argumentation anonym erfolgt. Trauen sie sich nicht, die Theaterleitung offen zu kritisieren? Ich finde es - und das sowohl bei den Diskussionen in Bern als auch jener in Zürich - erschreckend, dass auch Leute wie sie - die sachlich bleiben - aus Angst, einen Job zu verlieren (oder den guten Ruf, der zu Jobs führt) - wegen dieser Angst sich nicht trauen, die Theaterleitungen zu kritisieren. Ich finde es richtig, dass man anonym posten kann. Aber wieso trauen sich nicht mehr aus ihren "Löchern"? Durch diese anonymen Posts diskreditiert ihr - die ihr da anonym postet - das öffentlich subventionierte Theater als Schreckensregime, bei denen automatisch Entlassung droht, wenn man die Theaterleitungen aus guten Gründen kritisiert. Das gibt wiederum den rechtspopulistischen Kritikern dieser Theatern recht, dass diese Theater Heuchelei betreiben und nicht wert sind, erhalten zu bleiben. Das ist kläglich. Trotz ihrer Argumentation, die ich zu 100% teile.
Schweiz entköppeln, Zürich: das kleinere Übel
Schön ist doch, was die - von mir noch nie mit Interesse verfolgte -Diskussion um die Benutzung von Klarnamen im Internet an Beiläufigem im Stande ist, an die Oberfläche zu spülen:

Ich freue mich, dass Sie aufgrund der Schärfe meiner Argumentation von einem männlichen Kollegen ausgehen, lieber Samuel Schwarz. Nun bin ich leider weder männlich noch ein Kollege, daher fehlt mir auch die Angst vor besagtem Jobverlust an einem Theaterhaus. Aber das ist Ihrer Meinung nach wohl das kleinere Übel, das mir - Ihrer Ansprache nach - fehlt.
Schweiz entköppeln, Zürich: etwas zu verlieren haben
Liebe E.R, ich weiss nicht, welches Geschlecht sie haben. Woher sollte ich das wissen? Auch dass sie eine Frau sind. Könnte sein, oder auch nicht. Ich habe sie zudem nicht angeschrieben als Mann. Sondern als Mensch. Dass sie nichts mit dem Theaterbetrieb zu tun haben - beruflich - glaube ich nicht. Die meisten die hier lesen und posten sind beruflich mit dem Theater verknüpft. Und sie scheinen viel Kenntnis über die Details zu haben. Nach Hobby sieht das nicht aus. Ich finde es rätselhaft, dass mit nicht mit Namen zeichnen. Sie müssen etwas zu verlieren haben - und das schwächt ihre Kritik leider sehr. Sie haben Angst vor Gesichtsverlust - oder vor Repressalien. Und ein solcher Theaterbetrieb über den man nur mit verschlossenem Revier reden kann, wirkt unfrei.
Schweiz entköppeln, Zürich: sensationsgeile Medien
Ach, ich empfand die Aktion erst als ganz lustig, weil ich darin eine Kritik am Aberglauben dieses Mannes Roger Köppel sah. Weiss er es wirklich nicht besser? Ist zum Beispiel auch sein Aberglaube daran, dass die Frau quasi eine "Hexe" sei und den Mann unhaltbar verführe, ihn quasi zum Tier mache, wirklich wahr?

Und dann dachte ich zugleich, dass Ruch damit vielleicht auch die Menschen selbst meint, die in seinen Prozessionen mitziehen? Bzw. seine Aktionen medial mitverfolgen? Ich bin über diese Twitterleiste bei nachtkritik.de darauf aufmerksam geworden. Obwohl ich gar kein Twitter benutze. Und auch die sensationsgeilen (sic!) Medien sind ja wohl wieder auf den Zug aufgesprungen. Bloß, wer so scharf darauf ist, anderen den Teufel auszutreiben, ist der dann nicht genauso abergläubisch?

Was mich daran stört bzw. interessieren würde: WIE ist diese Aktion denn jetzt genau abgelaufen? WIE, IN WELCHER FORM wurde da ein Exorzismus betrieben? Ich würde nämlich sagen, dass das nur geht, wenn man es äusserst sanft vollzieht, also quasi tatsächlich (stimmlich und von der Stimmung her und natürlich nicht körperlich und/oder gewalttätig) verführerisch macht. Auch in den dunklen/bedrohlichen Tönen. Denn mit einem platten Teufelsbrüllen macht man ja im Grunde dasselbe, was ein Nazi tut. Tja, der Nazi in uns allen oder so. Wir, ich als Mensch, bin ja auch nicht immer nur in den reinen Tönen. Und wenn ich da aber durchgegangen bin, durch die unreinen Töne, erst dann habe ich vielleicht eine Chance, mich selbst zu reinigen? Das funktioniert auch schon allein übers Hören.

Ging es hier inhaltlich auch wieder um die Flüchtlingsthematik? Worüber regen sich hier alle (inklusive Theaterleitung) so auf, wo es doch allen gut geht? Warum argumentiert Köppel mit der Jugendarbeitslosigkeit? Glaubt "die Jugend" an diese Grenzziehung zwischen Menschen? Glauben "wir" an das Argument der Arbeit? Sollten "wir" nicht an das humanistische Prinzip glauben? Einfach nur Menschen zu helfen, sie zu lieben, und nicht an ihnen zu verdienen oder durch sie wirtschaftlich zu profitieren? Schwer ist es, aus dem Hamsterkäfig auszubrechen. Das kann/sollte jede/r mal am eigenen Leibe erfahren/spüren. Wie schwer die reine Liebe ist.
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