Presseschau vom 27. September 2016 – Zum anstehenden Intendanzwechsel am Berliner Ensemble schreibt die Frau eines nicht verlängerten Schauspielers in der Berliner Zeitung

"Am Ende spielt die Kapelle besonders kraftvoll"

"Am Ende spielt die Kapelle besonders kraftvoll"

27. September 2016. In der Berliner Zeitung (online 26.9.2016) beschreibt die Künstlerin Susanne Schirdewahn (die für die Berliner Zeitung als Autorin und Graphikerin arbeitet), wie sich die durch den anstehenden Intendanzwechsel am Berliner Ensemble (von Claus Peymann zu Oliver Reese) begründete Kündigung ihres Mannes, des Schauspielers Boris Jacoby, für die Betroffenen anfühlt.

Aus dem lesenswerten Erfahrungsbericht sei hier nur der poetische Schluss wiedergegeben, der Bertolt Brechts Diktum "Glotzt nicht so romantisch" umspielt: "Ein bisschen Melancholie weht über die Bretter, aber auch Wut, dass davon nichts bleiben wird. Das wird man wohl anmerken dürfen, immerhin ist es das Theater von Brecht. Gerechtigkeit? Gutes Theater setzt immer große Emotionen frei. Am Ende spielt die Kapelle besonders kraftvoll. Man darf nicht zurück blicken. Schon gar nicht romantisch."
(chr)

Kommentare  
BE-Intendanzwechsel: Ehrenkodex einführen
Mitbringer-Anzahl-Begrenzung. Arbeiten mit Leuten, die da sind und Lust haben. Leute zur künstlerischen Neu-Ansteckung mitbringen muss reichen. Müsste eigentlich Ehrenkodex für Intendantenwechsel sein. Vollkommen - v o l l k o m m e n unverständlich, dass nicht. Gleich, wie lange das schon so geht. Ändern. SOFORT. Könn die spielen wie der liebe Gott - geh ich nicht hin zu solchen Intendanten. Auch nicht zu solchen inszenierenden Intendanten. Geh ich auf Bahnhof, Leute gucken, hab ich auch Theater. Ehrlicher und aufrichter. Kunst kann ick alleine denken.
Presseschau BE-Nichtverlängerung: Quatsch
@ Klarer Fall: Bahnhof, Leute gucken. Na, toll. Sie interessieren sich wahrscheinlich eh nicht fürs Theater. Es ist doch bei JEDEM Intendanten so, dass der neue Leute mitbringt und alte kündigt. Warum regen Sie sich gerade bei Peymann so darüber auf? Der ist als Theatermacher mittlerweile wirklich nicht mehr so wichtig. Wirklich nicht.

Ich frage mich eher, warum schreibt hier eine Frau ("Spielerfrau", wie beim Fussball) über ihren Mann? Kann der seine Erfahrungen nicht selbst schildern? Ach nein, es geht ja um die (alten) männlichen (Theater-Familien-)Oberhäupter, zu denen die Frauen trotz eigenem (Neben-)Verdienst aufschauen. So ein antiquierter, patriarchaler Quatsch!
Presseschau BE-Nichtverlängerung: Ecce homo!
Die Erzählperspektive ist doch in Ordnung, sie beschreibt ja etwas, das er nicht beschreiben könnte. Sie erzählt von den Erschütterungen im direkten Umfeld von Boris, dessen sicherer Job eine Familie und einen gewissen Lebensstandard ermöglicht hat und nun in einigen Monaten auslaufen wird.

Ich möchte den Vieren aber zurufen: Willkommen im echten Leben! Ihr seit nicht allein! Die launige Unberechenbarkeit einer Freiberufler-Existenz, die teilt ihr mit tausenden Kolleginnen und Kollegen allein in Berlin. Ihr werdet euch daran gewöhnen und geeignete Mittel und Wege finden. Dieser Schnitt hat nämlich einen großen, nicht zu unterschätzenden Vorteil! Da habt ihr euer Schicksal über 2 Jahrzehnte lang (schon in Wien) an den mindestens so launigen und unberechenbaren Claus Peymann und dessen Mannschaft gebunden, habt unzählige Demütigungen in Kauf genommen, habt euch das Selberdenken abnehmen lassen, euer eigenes Urteilsvermögen auf Standby geschaltet, habt es zugelassen, dass für euch entschieden, gedacht, gesprochen wird... Das ist jetzt bald vorbei! Öffnet eine Flasche vom besten Champagner und feiert die wunderbare Zeit, die jetzt beginnen wird! Ihr werdet selber darüber nachdenken, was ihr als nächstes machen wollt. Ihr werdet euch Ziele setzen und sie erreichen. Ihr werdet denken, was euch so in den Kopf kommt und reden, was euch einfällt. Und wenn ihr etwas schlecht findet, dann sagt ihr das einfach. Ihr werdet sehen, in einigen Monaten gelingt es euch das vielleicht sogar, ohne dass ihr euch vorher umschaut, wer es hören könnte! Ecce homo!
Presseschau BE-Nichtverlängerung: Respekt zeigen
#2- tu ich gar nicht, mich nur bei Peymann darüber aufregen. Sage ich auch nicht, dass einer keine neuen Leute mitbringen soll. Und keine kündigen. Sage: begrenzte Anzahl, aus ethischen Gründen wie z.B. Respekt vor geleisteter Arbeit und Publikum, die diese mochten. Keine 30. Zehn Leute müssten reichen für künstlerische "Neu-ansteckung": zwei Dramaturg*Innen, zwei Regiseur*Innen, sechs Schauspieler*Innen. Sage, Respekt zeigen bei Intendantenwechseln und zwar ab SOFORT. Alle mit schuld, die das so machen, wenn dann so ÜberKopfhinweg-Dercon-Entscheidungen getroffen werden. Weil eben kein Ehrenkodex für sie gilt in der Mehrheit. Schon lange nicht. Innen nicht. Und nach außen auch nicht. Da hat dann die Politik natürlich ein leichtes Abwicklungsspiel. Fällt ihr nicht mal selber zwingend auf. Dann.
Sonst: Ich frage mich das nicht. Das mit der Spielerfrau. Weil sie nicht über ihren Mann, sondern über sich mit diesem Mann geschrieben hat. Und dabei ziemlich romantisierende Kantinenseligkeit (schneller Pressen für Peymann - ich bin ja so cool) verbreitet. Was ihr offenbar die Zeitung gern abgenommen hat. Da musste sie eben mal nicht zittern, ob was gedruckt wird, was sie schreibt... Ich frage mich also eher, warum das ausgerechnet jetzt gedruckt wird? Warum auch der Fußball/Theater-Spieler Vergleich wieder offensichtlich gern bedient wird?
Ich interessiere mich für ein Theater, das sich für sein reales, verlorenes und mögliches Publikum insteressiert, und zwar gleichzeitig. Und nicht für ein Theater, das sich nur immer für sich selbst interessiert. - Bahnhof, Leute gucken, sich eigene Vorstellung machen. Aufschreiben als Theater. - Ist das Interesse für Theater oder nicht? Findet das einer so oder so gut oder schlecht? - Das ist mir vollkommen wurscht, ehrlich gesagt
Presseschau BE-Nichtverlängerung: falsch ausgespielt
Bei allem Respekt für die Zukunftsängste von Familien (nicht nur im Theater) und den damit verbundenen Schwierigkeiten...
das Verändern vom künstlerischen Mitarbeiterstab ist in (fast) allen Fällen der einzige Spielraum der einer neuen künstlerische Leitung noch bleibt.
Finanzielle Zwänge, Abointeressen etc minimieren die Möglichkeiten enorm, je kleiner das Theater desto geringer der Spielraum.
Und genauso wie ein Intendant sich darüber nicht beklagen sollte( Augen auf bei ... ) gilt das auch insbesondere für künstlerische Mitarbeiter.
Dass man 18 Jahre fest am gleichen Theater arbeitet, ist eine absolute Ausnahme und ich finde, dies auch zu Recht!
Ob Reese dafür geeignet ist, das BE zu leiten, muss sich erst erweisen.
Viel entscheidender als der Wechsel im künstlerischen Bereich, ist jedoch die Reibung, die zwischen den technischen Abteilungen, der Verwaltung etc und einer neuen Leitung jedesmal aufs Neue entsteht.
Was in diesen Bereichen für Geld und Arbeits-Energie verbrannt wird, ist mM nach viel zu wenig diskutiert.(Man sollte sich doch nur immer wieder die Anteile ansehen, die vom Budget für diese Abteilungen aufgewendet wird. Wenn es Kürzungen an einem Theater gíbt, geht dies immer zu Lasten der künstlerischen Mitarbeiter.)
An dieser Lage wird das Stadttheater viel eher zugrunde gehen als am Wechsel künstlerischen Personals.


Und es ist tatsächlich blanker Hohn, wenn man auf dieser Ebene Reese gegen ausgerechnet PEYMANN [Zitat: „Als mein Mann (Peymanns Angebot, im Sommer zu arbeiten) ablehnte, wurde ihm spontan gekündigt.“] ausspielen wollte.
BE-Nichtverlängerung: Ironie
@ Inga. Die Beschreibung Susanne Schirdewahns in die Nähe antiken Patriarchtsdenkens zu lesen, ist eine erstaunliche Leistung.(Spielerfrau!! Das ist ja...Moment..ja! Wie beim Fußball, wo ja diese blonden Dumpfweiber immer dabei sind!!...Ja, was ist denn das für ein Frauenbild ???). Glauben Sie ernsthaft, die Ironie ist von Frau Schirdewahn nicht so gemeint? Und was bitte hat die Tatsache, dass ein Mensch Existenzängste hat, mit dem künstlerischen Potential eines Intendanten zu tun? Ihre Empathielosigkeit ist bemerkenswert.
BE-Intendanzwechsel: Struktur-Problem
@ Klarer Fall: Ich verstehe Sie schon, empfinde den Begriff "Ehrenkodex" hier aber als fehl am Platze. Das klingt eher nach militärischem Jargon als nach Theater. Ja, und ich frage mich auch, warum Künstler eigentlich anders als andere Menschen sein/leben bzw. behandelt werden sollten. Es gibt ein gesamtgesellschaftliches Problem strukturell gewollter bzw. benutzter Arbeitslosigkeit. Leute, werdet nicht arbeitslos, lautet da die Parole, denn sonst gehört ihr zu den Verlierern, und das macht Angst. Von diesem Denken wegzukommen, das ist die wahre Kunst. Erst dann könnte man wieder kreativ werden. Aber nicht, wenn man nur rumjammert, dass man selbst jetzt auch noch seinen Arbeitsplatz verliert.
Presseschau BE-Nichtverlängerung: Ehrenkodex
Ich empfinde den Begriff "Ehrenkodex" als zutiefst privat. Hier und anderswo. Weil er in der Tat für uns hier und heute nach mitlitärischem oder mafiosem Jargon klingt, da er so oft missbraucht wurde, benutze ich ihn voller Scham nur ganz selten. Beinahe würde ich sagen, nur im Notfall. Und nur anonym oder zumindest dabei wegrennend. Ist so: wenn man sich genötigt sieht, ihn überhaupt ins Feld zu führen, ist von seinem Inhalt in der Realität eigentlich schon keine Spur mehr zu sehen. Vor allem in der wirtschaftlichen?
Presseschau BE-Nichtverlängerung: Kampf darf sein
Das Engagement in einem festen Ensemble ist doch längst nicht mehr der Regelfall. Auf die Festangestellten blickt der große Rest der Branche doch wie auf Zootiere, die sich für garantiertes Futter zu festen Zeiten einsperren lassen. Das ist Veranlagungssache, und es ist natürlich schön, dass es das immer noch gibt. Doch man sollte wirklich nicht so tun, als wäre das Ende eines Festengagement für einen Schauspieler irgendwie gleichzusetzen mit der Kündigung eines Facharbeiters mit 50 plus, der damit um Lebensleistung, Pension und Würde gebracht wird. Im Gegenteil. Ein bisschen Kampf, das darf schon sein und ist gut für den Kreislauf.
Presseschau BE-Nichtverlängerung: gleichwertig
@ Alexander: Existenzängste? Ein gekündigter Schauspieler? Ich fragte mich bloß, wie das der Rest der Menschheit so sieht, diesen Begriff der "Existenzangst". Jede/r kann heutzutage von seinem Arbeitgeber aufgrund einer Job-Befristung gekündigt werden. Ich sehe auch nicht, warum, wie Felix (# 9) es erwähnt, der Facharbeiter über 50 da andere Rechte haben soll. Nein, im Theater wie im Leben sind alle Menschen gleichwertig und also auch gleichwertig zu behandeln. Am Besten wäre natürlich, man würde sie alle übernehmen, aber im Falle dass das, aus den verschiedensten Gründen, nicht geht, kann man auch von Arbeitslosengeld I immer noch gut leben.
BE-Intendanzwechsel: Schattenseiten
Natürlich sind alle Menschen gleichwertig - trotzdem nimmt ein Schauspieler qua Berufswahl eine gewisse Unsicherheit auf sich. Freiheit, die für einen künstlerischen Beruf unabdingbar ist, hat eben auch Schattenseiten. Man hat sich ja irgendwann mal aus gutem Grund gegen den Beruf des verbeamteten Studienrats entschieden, womit nichts gegen Studienräte gesagt sei... aber jeder Beruf hat eben seine innewohnenden Vor- und Nachteile, die zum eigenen Gemüt passen sollten, damit man glücklich wird in einem Beruf. Bei allen Vorteilen eines Ensemblesn ist doch wirklich die Frage, ob ein Haus nicht irgendwann eine Runderneuerung braucht, um vital zu bleiben - genauso, ob der Schauspieler nicht irgendwann neue Herausforderungen und/oder Phasen der Orientierung braucht, um vital zu bleiben... Evtl. anders als ein Facharbeiter oder Studienrat, wobei ich, ehrlich gesagt, zu wenig über deren Arbeit weiß, um das zu beurteilen.
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