Presseschau vom 31. August 2017 - Deutschlandfunk Kultur interviewt Darja Stocker zur Debatte über Sexismus an Schreibschulen
"Was wird da für ein Bild wiederholt?"
31. August 2017. Für Deutschlandfunk Kultur hat Sigrid Brinkmann die Autorin Darja Stocker interviewt, die sich unlängst in einem Beitrag für den Blog des Magazins Merkur über strukturellen Sexismus an Schreibschulen Gedanken machte – am konkreten Beispiel der UdK, wo sie selbst szenisches Schreiben studierte.
An den Reaktionen auf ihren Artikel (hier unsere Zusammenfassung und Antworten auf Stocker von ihrer ehem. UdK-Kommilitonin Anne Rabe und ihrem ehem. Dozenten Oliver Bukowski bei uns, hier unsere Zusammenfassung von Stockers Ausdifferenzierung ihres ersten Beitrags, wieder im Merkur Blog) liest Stocker nun im Radio-Interview ab, dass das Wort "Sexismus" "wirklich ein Signalbegriff ist", der oft zusammen mit sexuellen Belästigung gedacht werde, aber nicht darauf reduziert werden sollte.
Ihr gehe es in erster Linie darum, über strukturellen Rassismus zu sprechen, der sich zum Beispiel in einer Asymmetrie zwischen überwiegend männlichen Lehrenden und überwiegend weiblichen Studierenden an Schreibschulen ausdrücke, so Stocker. Auch würden dort vor allem männliche Autoren als Vorbilder verhandelt. "Was wird da für ein Bild wiederholt?" Das sei die entscheidende Frage.
Sie wolle das Problem nicht bei einzelnen suchen, sondern sei dafür, es systemisch anzugehen. Auf ihre Artikel habe sie viele bestätigende Zuschriften erhalten, die ihr einerseits dafür gedankt hätten, einem diffusen Gefühl Worte gegeben zu haben, andererseits weitere "heftige Geschichten" angewandten Sexismus' gegeben hätten zum Beispiel von "Avancen, die dann, wenn sie sie nicht beantwortet haben, mit Ausschluss beantwortet wurden".
(sd)
Mehr dazu:
Presseschau vom 13. August 2017 -
Debattenbeitrag vom 14. August 2017 – Anne Rabe antwortet auf Darja Stocker: "So war's nicht"
Debattenbeitrag 17. August 2017 - Oliver Bukowski antwortet auf Sexismusvorwürfe
Presseschau vom 26. August 2017 -
Presseschau vom 28. August 2017 – Darja Stocker antwortet ihren Kritiker*innen im Merkur Blog
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Die Situation ist verführerisch, mich weiter in ambivalentes Schweigen zu hüllen, mich hinter einer vieldeutbaren 'Haltung' zu verstecken (s. Kommentar), aber ich möchte mich jetzt doch genauer mit Darja Stockers Thesen auseinandersetzen, sowohl auf einer inhaltlichen Ebene als auch als ehemalige Studierende des Szenischen Schreibens. Der Reflex ist da, meinen ehemaligen Studiengang zu verteidigen, ich möchte jedoch nicht auf einer 'so wars' – 'so wars nicht'-Ebene verharren – zumal ich die Geschehnisse nur vom Hörensagen kenne, da ich in einem anderen Jahrgang war.
Sexismus. Ja. Wir sind ihm ausgesetzt, davon durchzogen, werden dadurch festgelegt, versuchen Widerstand dagegen. Die Verwerfungslinien sind vielfältig, kreuzen sich, laufen quer, überschlagen sich gar. Doch konkreter: die geschilderte Situation – älterer Professor, jüngere Studentin – als Ausdruck sexistischer Realität zu lesen geht mir zu kurz. Wie ich eben schrieb, gehe ich d'accord mit Darja Stocker, dass der Sexismus strukturell unser aller Beziehungen durchzieht (ebenso wie Rassismus und Klassismus, aber auch Ableism, Ageism, Lookism...), dass die Herrschaftsverhältnisse in uns verlaufen, wir uns – vielleicht – dagegen zur Wehr setzen – vielleicht – unreflektiert dem nachgeben: aber sie sind nicht auszublenden. Das scheinbar Private – die Sexualität – durchzieht sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens. Die Welt der Lohnarbeit funktioniert unter anderem durch Sexismus, Kleidungscodes, sogenannte geschlechtsidentitätsstiftende Merkmale – das fängt bei der Stewardess nicht an und hört bei den Dramatiker*innen nicht auf. Wir alle bewegen uns mit, in diesen Codes und reproduzieren sie willkürlich oder unwillkürlich, setzen uns ihnen entgegen – es kann ein subversiver Akt sein, sich dieser ständigen unterschwelligen Präsenz zu entledigen, indem man sich bewusst zur Grenzüberschreitung entschließt, die latente Sexualisierung durch tatsächliches sexuelles Begehren einerseits zu unterlaufen, andererseits überzuerfüllen – so ließe sich die geschilderte Situation auch als ein Aufbegehren gegen das normative Dogma lesen: alles ist sexualisiert, aber das tatsächliche Ausleben von Sexualität innerhalb von Hierarchien ist tabuisiert. 'Tabu' ist vielleicht ein zu starkes Wort, vielleicht ein zu klischeehaftes, was ich verdeutlichen möchte: Machtstrukturen setzen Grenzen, es ist fast jedem inhärent – und das kann auch als widerständig gelesen werden – diese Grenzen aufzubrechen (selbstverständlich nur in beiderseitigem Einvernehmen von Mündigen) – im Bewusstsein der eigenen klischierten Rolle – junge Studentin, älterer Professor. Durch dieses Verhältnis ist die Beziehung noch lange nicht festgelegt, es sind vielleicht die 'Ausgangsvoraussetzungen', aber was sich in solchen Situation entwickelt, kann privatpolitisch ganz anders sein.
(Fortsetzung folgt)
vielleicht beginne ich mit letzterem. Meine Motivation, zu schreiben, auch Theaterstücke zu schreiben, war immer, mich mir selbst und der Welt, die mich umgibt und die in mir ist, auszusetzen. Bisher Unbenanntes (für mich unbenannt) sichtbar zu machen, Worte zu finden, Situationen be-schreibbar zu machen und das aus meiner Subjektivität heraus: ich kennzeichne mit meinem Namen, ich sage, das bin ich, das ist meine Weltsicht, ich spreche für niemanden außer mich, ich kann nur für mich sprechen. Diese meine Haltung habe ich entwickelt aus schmerzlicher persönlicher Erfahrung mit den Grenzen des Politischen. Niemand kann sich den Verhältnissen und der Welt entziehen. Doch die Kunst ist unsere – besser sage ich, meine – Möglichkeit, Räume zu öffnen, Grenzen zu überschreiten, eine andere Welt zu erschaffen, die der Fiktion – die auch als solche gekennzeichnet ist – die mich frei machen kann in einem Sinne, wie es anderswo nirgends möglich ist. Jedenfalls ist das meine persönliche Erfahrung.
Etwas ganz anderes ist die Vermarktung, der Theater-, der Literaturbetrieb, die ganze öffentliche Sphäre – dort gilt derselbe, wenn nicht noch stärkere Kapitalismus wie überall. Ich persönlich halte wenig von der Forderung, Texte müssten 'welthaltig' sein (weiß gar nicht, ob das noch eine aktuelle Debatte ist?). Nichts bewegt sich außerhalb von Welt, aber die Politik hat ihre eigenen Regeln, die der Eindeutigkeit und Nachvollziehbarkeit, auch wenn es um die Ambivalenzen der Herrschaft und des Widerstandes dagegen geht. Das Schreiben befreit mich, ich fühle mich frei, wenn ich Fiktion erschaffe, meine eigenen Regeln, die natürlich nicht fernab der Welt sind, aber mich für neue Welten öffnen – und wenn sich nur die tatsächliche darin spiegelt, aber -
(aber - )
dies ist mein Motor und meine Leidenschaft, vielleicht sind Theaterstücke auch nicht geeignet für diese Überzeugung. Aber ich möchte eine Lanze für die Fiktion brechen – (welch martialischer Begriff) und das wir uns sie nicht nehmen lassen sollten, nie – jetzt habe ich mich in Rage geschrieben...
(wird fortgesetzt)
Darja Stocker hat ihre Studienzeit anders erlebt, ich wünschte, es wäre nicht so gewesen. Es gilt, vieles zu reformieren, aber ich möchte damit schließen, dass wir die Kunsthochschulen haben und die Möglichkeit, uns dort schöpferisch zu erproben, ist eine sehr wertvolle kulturelle Errungenschaft und Machtverhältnisse gibt es auch dort UND sie werden in Frage gestellt, die Eindeutigkeit von Politik schlägt einen nieder UND wird zur Vielstimmigkeit ausdifferenziert UND
(UND)
P.S. Lest trotzdem 'Ich hasse dieses Internet' von Jarett Kobek
P.P.S.
Widersprüche und Ambivalenzen – auch in meinem Text -
Nicht die Frauen an sich sollen sich reflektieren, sondern Frauen in Machtpositionen, also als Professorinnen, Dozentinnen, Kanzlerinnen oder auch Verteidigungsministerinnen müssen ihre Position ebenso reflektieren wie ihre männliche Kollegen. Weibliche Machtausübung ist nicht automatisch gut und einer männlichen Machtausübung vorzuziehen, sie muss genauso kritisch beobachtet und hinterfragt werden. Und diese kritische Beobachtung ist ein weiterer Schritt nach vorne und nicht ein Rückschritt, es ist eine Frage der Emanzipation und der Gleichbehandlung Frauen an der Macht ebenso in ihren Absichten zu prüfen wie Männer.
Inzwischen hat sich neben Rebekka Kricheldorf, Katharina Schlender, Anne Rabe, Léda Forgó und mir auch noch ausführlich Johanna Kaptein zu Wort gemeldet. Wir sind also inzwischen sechs ehemalige Studierende, die bei denselben Menschen und in derselben Struktur studiert haben wie Darja Stocker - in verschiedenen Epochen.
Wir sechs haben, die eine ausführlicher, die andere weniger ausführlich, dargelegt, dass unser jeweiliges persönliches Erleben unserer Studienzeit ein deutlich anderes war als das von Darja Stocker.
Ich empfinde es als faszinierend, dass es auf nachtkritik weiterhin Debattierende gibt, die selber nie Szenisches Schreiben studiert haben, aber dennoch Darja Stockers Eindrücken und Überlegungen ausdauernd mehr Gehör zu schenken scheinen als den unsrigen.
Die Spekulationen dazu, wieso es diverse Ex-"Szenisches Schreiben"-Studentinnen gibt, die viele Sachen so fundamental anders erinnern als Darja Stocker, empfand ich als teilweise kühn (z.B. die Ost/West-Sozialisations-Frage oder die These, einige seien vielleicht individuell-systematisch nicht in der Lage, Sexismus zu definieren und zu erkennen). Eine mögliche weitere Alternative tauchte dagegen eher selten auf: Vielleicht ist Darja Stockers Blick auf das "Szenische Schreiben" ein sehr persönlicher. Der sich eben nicht einfach verallgemeinernd anwenden lässt.
Ich persönlich bleibe weiterhin dabei: Ich hatte eine gute Studienzeit an der UdK. Jürgen Hofmann war ein kluger, freundlicher, engagierter Studiengangsleiter, der stets ansprechbar war. So gute, intensive, dynamische und für meinen persönlichen Schreibprozess hilfreiche Lektoratsarbeit wie die von Bukowski und den Mitstudierenden in den von ihm geleiteten Seminaren habe ich seitdem nie wieder erleben dürfen. Ich hatte männliche und weiblichen KommilitonInnen, ich hatte männliche und weibliche Lehrende, und in beiden Gruppen kamen diese aus verschiedenen Ländern. Die von uns besprochenen Werke (die nicht von uns selber waren) waren von männlichen und weiblichen AutorInnen. Ich erinnere keinerlei Versuche, mir irgendwelche "männlichen Vorbilder" unterzujubeln. Ich erinnere keinerlei Sexismus.
Ich schließe mich Johanna Kaptein an - Darja Stocker hat ihr Studium ganz anders erlebt als ich, soviel ist klar, und ich wünschte, es wäre anders. Wieso sie ein- und dieselben Menschen so anders wahrgenommen hat als ich, vermag ich nicht zu beantworten. Die letztendliche Deutungshoheit darüber, was diesen Studiengang strukturell, menschlich und inhaltlich ausgemacht hat, liegt nicht bei mir. Auch nicht bei bei Rebekka Kricheldorf, Anne Rabe, Katharina Schlender oder Johanna Kaptein. Und sie liegt auch nicht bei Darja Stocker.
Interessant an der Diskussion ist aber nicht, wie die ehemalige StudentInnen von "Szenisches Schreiben" nun (verständlichweise) annehmen, ob X oder Y sich nun im Jahr Z sich sexistisch verhalten haben oder nicht (das sind für uns aussenstehende olle langweilige irrelevante Kamellen), sondern inwiefern sich in den Stückentwicklungsschmieden an den Werkstätten des Theaterbetriebs systemischer Sexismus zeigt. Stocker weist ja in ihrem Text über die Verhältnisse an dieser Hochschule hinaus. Ich zitiere aus ihrem Text - in dem sie ja auch über ihre zwei Jahre in der Freistellung schreibt:
"Ich befinde mich in meiner zweijährigen „Freistellung“ und bekomme einen Auftrag von einem kleineren Theater, dessen Leitung jung und engagiert scheint. Nach netten Gesprächen werde ich zu einer Party des Teams eingeladen. Bei fortgeschrittener Nacht baut sich ein zukünftiger „Mitarbeiter“ vor mir auf und stellt Überlegungen zu meinem Körper an, den er lallend mit dem Körper seiner ebenfalls anwesenden, aber gerade auf dem Balkon verweilenden Freundin vergleicht. Ich sage den Auftrag ab. Und mit diesem Auftrag sage ich gleich noch den Auftrag eines größeren Theaters ab, weil die Eintrittspreise erst bei 30 Euro beginnen. Ich will keine Kompromisse mehr. Mein Bankkonto beschwert sich."
Ist es nun sinnvoll, dass der zukünftige Mitarbeiter von Theater XY, der sich hier so sexistisch verhalten hat, nun auch noch eine Gegendarstellung schreibt? (er hat das sicher hier auch gelesen). Eher nicht. Wäre es sinnvoll, dass wir hier nun eine Debatte führen müssten, ob dieser junge "Mitarbeiter" an dem Kleintheater nun vor X Jahren ein Schmutzfink war oder nicht? Nein. Auch wenn es nachvollziehbar ist, dass sich ehemalige StudentInnen nun für einzelne Professoren in die Bresche werfen, wird damit die eigentliche Kernthematik von Stockers Beitrag nicht reflektiert, sondern überdeckt. Darja Stocker, die längst eine erfolgreiche Autorin ist, hat es doch nicht nötig, irgendwelche Rachefeldzüge bezüglich ihrer Ausbildung zu führen. Sie wurde von einer Zeitschrift befragt, ob sie systemischen Sexismus erlebt hat in der Theaterbranche und beschreibt dann Vorgänge, die sie erlebt hat (und das anonymisiert). Wenn nun in diesen diversen Fällen nun Einzelpersonen in den Fokus rücken, ist das völlig defokussierend. Wenn ich hier schreiben würde (nur als Hypothese): "Ich arbeitete mal vor 15Jahren als Jung-Spund bei einem Stadttheater, bei der sich der Intendant dauernd abfällig über den Körper der SchauspielerInnen äusserte" (und das regelmässig und das im Beisen diverser Dramaturginnen, die über sie diffamierenden Sprüche kicherten)!" wäre es dann sinnvoll, meinen Wikipedia-Eintrag zu studieren und drüber zu rätseln, ob der Intendant (den alle kennen würden) nun wirklich ein Sexist ist? Und Dramaturgin XY eine kichernde Mittäterin. Nein. Interessant wäre darüber zu sprechen, wann man sich selber als Opfer von solch systemischen Sexismus erlebt hat und wann als TäterIn. Ich würde sogar wagen zu behaupten, dass uns - auch die TäterInnen - der systematische Sexismus dieser Branche immer wieder stört, weil dieser Sexismus unser Denkvermögen mindert und die Kraft der Arbeiten schwächt.
Demnach hätte Darja Stocker theoretisch immer recht und nur ihre Fallbeispiele wären im einzelnen kritisch zu bewerten, was aber die Theorie an sich, dass es an Schreibschulen strukturellen Sexismus gibt, nicht widerlegte. Dann hätte Frau Stocker also lediglich ihre Belegbeispiele schlecht gewählt.
Nun lese ich den Beitrag von Johanna Kaptein aber so, und ebenso den von Frau Schulz, Frau Rabe, Frau Schlender, Frau Kricheldorf und anderen, dass der Studiengang „szenisches Schreiben“ zwar nicht frei von allgemeinen sexistischen Strukturen sein kann, da er ja in dieser Gesellschaft stattfindet und nicht in einer Utopie, er aber durchaus als ein positives Beispiel verstanden werden darf, in dem Sinne, dass man dort sexistische Strukturen sowohl in der eigenen Schreibarbeit, wie auch im persönlichen Umgang, als auch in der Besetzung der Lehrkräfte, wie auch ihrer Methodik ausräumen kann, falls sie auftauchten. Diesen Fall schließt Darja Stocker weitgehend aus.
Das heißt, ein und die selben Menschen wurden mehrheitlich positiv besetzt und nur in einem Fall dergestalt beschrieben, dass sexistische Verhaltensweisen an ihnen festgestellt wurden. Und in der Tat ist es möglich, dass sich ein und die selbe Person nicht kontinuierlich sexistisch verhielt, ja sogar gegenteilig auftrat, aber in einem speziellen Fall sexistisch agiert haben soll, (oder aber in diese Richtung provoziert wurde) denn man kann Frau Stocker nicht einfach ihre Wahrnehmung absprechen und sagen, es war nicht so. Was man aber feststellen darf, dass zwei verschiedene Personen wie Frau Rabe und Frau Stocker bei ein und demselben Vorgang zu zwei völlig unterschiedlichen Urteilen kamen, womit weder etwas bewiesen noch etwas widerlegt wäre.
Nun ist dieser Fall in der Tat nicht so spannend, weil es sich dabei um nicht justiziable Vorgänge gehandelt haben soll. Interessant wird es in dem Moment, wenn solche Fälle Konsequenzen haben und Veränderungen hervorrufen sollen. So war es Frau Stocker´s Interesse, aus bekannten Gründen, die Leitung abzusetzen. Hierfür erhielt sich nicht den entsprechenden Zuspruch ihrer Kolleginnen, was sie darauf zurückführte, dass es entweder an Mut, oder aber an Einsicht und Kenntnisreichtum gefehlt haben soll. Und an dem Punkt wird der Einzelfall, der ja einen gesamten Studiengang betraf, wiederum hochinteressant. Wenn ich für meine einzelne Wahrnehmung keine Mehrheit hinter mich bringen kann, ist dann meine Wahrnehmung fehlerhaft? Diese Frage steht im Raum. Wenn meine Wahrnehmung über eine sexistische Struktur an einer Schreibschule nicht von der Mehrheit geteilt wird, sind dann wiederum sexistische Strukturen und Personen am Werke, oder aber muss ich diese Relativierung meiner Wahrnehmung hinnehmen und anders verarbeiten?
Irgendwo zwischen den beiden Antworten auf diese beiden Fragen verharrt die Debatte gerade. Von der Theorie her hätte Frau Stocker also immer Recht und die meisten würden ihr in ihrer Ansicht folgen wollen, in dem konkreten Fall wird sie stark relativiert, da der Studiengang durchaus auch als positives Beispiel gelesen werden kann, der es gerade Studierenden exklusiv ermöglicht derartige Probleme nachhaltig zu reflektieren, womit wir wiederum an dem Punkt wären, dass man Fortschritte um der Sache willen nicht leugnen darf.
Themas entwickelt.
ich nehme einmal an Sie wählen ihr Pseudonym nach der französischen Feministin „Olympe de Gouges“, die während der französischen Revolution tätig war und auf dem „Place de la Concorde“ hingerichtet wurde. Des weiteren nehme ich an, dass sich hinter ihrem Pseudonym sie selbst verbergen, nämlich Darja Stocker, die ein bekennender Fan von „de Gouges“ ist, oder aber, dass Sie Frau Stocker zu mindestens nahe stehen. Wie gesagt, alles nur Vermutungen. Aber, ihr Pseudonym ist Programm und widerspiegelt im Prinzip den ganzen Konflikt.
Ausgerüstet mit Kategorien aus einer Zeit der Revolution wird hier an einem aktuellen Zustand laboriert, so als ob es eine außerordentliche Dringlichkeit gäbe und unbedingt sofort etwas geschehen müsste, ansonsten stünde nur noch die komplette Verzweiflung als Alternative da. - So ist es wohl nicht.
Ich denke, diese Debatte verläuft ähnlich wie die Diskussionen damals in den Seminaren, nur das sich hier keine zwei Gruppen herauskristallisieren, sondern beinahe jeder gegen jeden argumentiert, und dies zu einem Thema, welches man nur gemeinsam bearbeiten kann.
Die Flucht auf Allgemeinplätze, wie sie gerade gefordert wird, ist insofern problematisch, weil bei der Reihe im „Merkur“ ausschließlich Sexismus an Hochschulen verhandelt werden sollte, zudem ist von einer solchen Debatte im Konkreten, dass sich so komplex aufstellt, wie in diesem Fall, keine Lösung zu erwarten. Trotzdem wäre es sehr schön, wenn man einmal dieses Reizklima verlassen könnte und den akuten Druck von der Debatte nehmen würde. Denn bei einer solchen Debatte muss man die Menschen dort abholen, wo sie gerade sind, und sie sollte in einer friedlichen Atmosphäre stattfinden, so dass sich Frauen wie Rebekka Kricheldorf nicht gleich wieder verabschieden wollen, ähnlich eben wie Frau Rabe, die damals für sich forderte keinen Seminarraum mehr mit Frau Stocker teilen zu müssen. Ist dieses Klima hergestellt, kann man sicher abstrahieren. Hierzu müsste Frau Stocker eventuell ihre Position ein wenig relativeren, damit andere Beteiligte überhaupt ein Interesse empfinden an dem Gespräch erfolgreich teilnehmen zu wollen.
Wenn jemand anonymisiert, ohne wirklich zu anonymisieren, weil er z.B. keine durchweg abstrakten Beispiele konstruieren kann, ist das einfach kein guter Debattenstil.
Alternativ kann man die Debatte direkt und "intern", also mit den betreffenden Beispiel-Personen selbst führen, bevor man sie ins öffentliche Allgmeine trägt. Hat aber den Nachteil, dass man dafür keine mediale Aufmerksamkeit bekommt, das ist schlecht, wenn man die mit dieser Sache unbedingt will.
Wir denken, dass diese Zusatzrunde der Diskussion noch einmal etwas mehr Klarheit gebracht hat. Weshalb wir sie lohnend fanden. Es stehen sich jetzt ganz grob gesagt zwei Positionen gegenüber: zum einen diejenigen, die auf den strukturellen Sexismus an zum Beispiel Kunsthochschulen verweisen und für sich in Anspruch nehmen, niemanden persönlich kritisieren zu wollen. Zum anderen jene, die über ihre konkreten Erfahrungen an der UdK sprechen und keine sexistische Struktur erlebt haben und sich auch nicht als mehr oder weniger bewusste Opfer oder uninteressierte Zeugen einer sexistischen Struktur bezeichnen lassen wollen.
Diese Positionen halten wir für nicht weiter vermittelbar, weshalb wir allen Teilnehmer*innen der Auseinandersetzung danken und den Thread schließen.
für die Redaktion
jnm