Identitäten eskalieren

von Falk Schreiber

Berlin, 23. November 2018. Nora Abdel-Maksoud weiß schon, was Sache ist. Nämlich: Political Correctness gibt es nicht. Beziehungsweise gibt es Political Correctness schon, aber nur als Schreckgespenst für Rechtsaußen: als Gender Science, die die Romantik zwischen Mann und Frau zerstört, als Neusprech, das die schöne, unschuldige, deutsche Sprache vergewaltigt, als Bedrohung für den TWEM, den "Weißen europäischen Mann", und das "T" steht für "Tot". Was natürlich ein Witz ist.

Abdel-Maksoud hat mit "The Making of" vor knapp zwei Jahren eine ziemlich lustige Satire über politisch korrektes Filmemachen auf die Studiobühne des Berliner Gorki gebracht, als Theatertravestie des Making-of – dem wohl langweiligsten Auswuchs der Kinokultur: ein routinierter Blick hinter die Kulissen eines Gewerbes, das Blicke hinter Kulissen nur als Inszenierung zulässt. Allerdings sind Witze nicht lustig, wenn man sie ein zweites Mal macht. Weswegen es von charmanter Chuzpe zeugt, dass Abdel-Maksoud mit Karacho zur Neuauflage ansetzt, diesmal mit dem zweitlangweiligsten Auswuchs der Kinokultur: dem Sequel, der Neuauflage eines einmal erfolgreichen Formats. Also: "The Sequel" thematisiert das Phänomen Fortsetzung, indem es selbst die Fortsetzung eines älteren Stücks ist, und im Titel steht, dass man es hier mit einer Fortsetzung zu tun hat. Das ist das Diskursniveau, auf dem man sich hier bewegt. Respekt.

TheSequel2 560 Ute Langkafel uDer Cast: Stella Hilb, Taner Şahintürk, Eva Bay, Svenja Lisau © Ute Langkafel
"The Sequel", das heißt: Die Regisseurin Gordon hat einen erfolgreichen Film gedreht und will noch einen draufsetzen. Und weil aktuell wenig erfolgsversprechender ist als das Rühren an nicht existenten Tabus, plant sie eine Neuverfilmung von George Orwells mittlerweile zum Lieblingsbuch der Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Rechten avancierten Roman "1984" (und wie dieses doch eigentlich totalitarismuskritische Buch eines antistalinistischen Sozialisten so auf den Hund kommen konnte, das sollte auch einmal untersucht werden). Allerdings aus Political-Correctness-kritischer Perspektive. Und als Superheldenfilm. "1984. Oder: Die Freiheit zu sagen, dass ein Fledermausmann ein Fledermausmann ist". Orwells Held Winston (Dolph Lundgren) ist hier ein Kunstprofessor (in Bottrop!), der glaubt, in der Studentin O’Brien (Matteo) eine Kampfgenossin gefunden zu haben, die mit ihm gegen die kunstfeindliche Korrektheit kämpft. Aber: O’Brien ist in Wahrheit eine PC-Aktivistin, die Winston ausschalten will. Da kann nur noch der Fledermausmann helfen (Lundgrens unehelicher Sohn Mads)… Ein sicherer Hit, der Sarrazin-Jünger ebenso ins Kino locken dürfte wie Batman-Fans und verstörte Philologen, die nicht verstehen, weswegen Gomringer-Gedichte an Berliner Hochschulwänden übermalt werden. (War das jetzt eine Diskussionsschraube zuviel? Hilft nichts, so arbeitet Abdel-Maksouds Theater.)

Ein guter Ort für diesen Witz

Und, ja, es ist wirklich lustig, diesem Stück dabei zuzusehen, wie es die Indienstnahme des PC-Diskurses von rechts ironisiert und gleichzeitig die eigenen Versuche aufs Korn nimmt, Ideale zu leben, die doch eigentlich überhaupt nicht existieren. Wenn aber der Filmdreh verunmöglicht wird, weil Lundgren (den Taner Şahintürk verschwitzt-derangiert als Studie in gestriger Männlichkeit anlegt) und Matteo (die bei Svenja Liesau zwischen Unsicherheit und überspanntem Oberwasser pendelt) die jeweiligen Identitäten von Satz zu Satz tiefer verletzen, bis irgendwann jede Entschuldigung nur die Forderung nach einer weiteren Entschuldigung nach sich zieht, dann ist das erstens eine kluge Beobachtung der Gesprächsunfähigkeit in Zeiten von Identitätspolitik, zweitens ein hübsch kompromissloser Boulevarddialog, drittens von hochmotivierten Schauspielern exekutiertes Eskalationstheater. Und viertens ein Witz, über den man nur lachen mag, weil er am mit allen Diskurswassern gewaschenen Gorki gerissen wurde, den man aber zu Recht doof fände, käme er von, sagen wir, Fips Asmussen.

TheSequel3 560 Ute Langkafel uLiebesgrüße aus dem Maxim Gorki Theater. Taner Şahintürk, Svenja Lisau © Ute Langkafel

Ein bisschen ist "The Sequel" immer klüger als seine eigenen Gags. Ja, natürlich ist es lustig, dass Fledermausmann Mads bei Eva Bay mit ganz und gar nicht superheldenhafter Piepsstimme quäkt und das auch noch auf Schwäbisch, dann aber denkt der schwäbischstämmige Kritiker: Schwabenwitze? 2018? Geht’s noch? Der Identitätsdiskurs, den Abdel-Maksoud mit viel Respektlosigkeit erst verlacht und dann doch noch durch die Hintertür einführt, ist vielleicht doch einen Tacken komplexer als es hier den Anschein macht. Zumal das komödiantische Talent der Schauspielerinnen überdeckt, dass "The Sequel" eigentlich nie über die Diskursebene hinausweist: Theaterästhetisch gibt der Abend wenig her, zu sehen sind (auch durch die forcierte Guckkastenbühne Katharina Faltners) praktisch ausschließlich Talking Heads, wenn auch garniert mit hübschen Special Effects. Was zwar dem Making-of-Charakter des Stücks entspricht und auch über 80 Minuten trägt, aber eben über kaum eine Minute länger.

Der Schluss jedenfalls ist böse: Gordon hat ihren Film beendet, er wurde zum erwarteten Hit, sie konnte ihre Steuerschulden bezahlen. Aber sie hat mit der Angst vor Political Correctness ein rechtes Narrativ bedient, und da bekommt auch die bei Stella Hilb zwischen Alice Weidel und Christian Lindner changierende Leistungsideologin ein schlechtes Gewissen. Denn wo soll das hinführen – soll sie noch einen zielgruppenoptimierten Film drehen, und der hat dann zur Folge, dass es Tote gibt? Wozu das alles? Nur damit sie ihr Appartement auf Ibiza endlich abbezahlen kann? Und dann gefriert ihr Blick.

 

The Sequel
von Nora Abdel-Maksoud
Regie: Nora Abdel-Maksoud, Ausstattung: Katharina Faltner, Musik: Enik, Dramaturgie: Tobias Herzberg.
Mit: Eva Bay, Stella Hilb, Svenja Liesau, Taner Şahintürk.
Premiere am 23. November 2018
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

"Wer Teil eins kennt, wird von Teil zwei nicht wirklich überrascht sein. Auf sehr hohem Niveau unterhalten wird man mit 'The Sequel' aber fraglos", sagt Fabian Wallmeier im rbb Kulturradio (24.11.2018). "Was für ein Tempo, was für eine Gag-Parade! Dass das Ganze so schnell und genau ineinander greift, macht auch locker wett, dass nicht jeder Gag brillant ist."

 

Kommentare  
The Sequel, Berlin: wissendes Gelächter
Die cartoonhaft überzeichneten Figuren werfen sich die Pointen und Wortspiele nur so um die Ohren und verschärfen den Diskurs in eine flirrende Ambivalenz, die bald ins Gefährliche kippt. Was ist hier „echt“, was Pose? Was Spiel mit rechten Ressentiments, was tödlich ernste Ideologie? Und worüber lachen wir hier eigentlich zuweilen bis an den Rand der Selbstbeherrschung: die Plumpheit neurechter Tatsachenumdeutung oder lachen wir mit den Altherren über ihre Zoten? Ist das wissende Gelächter über die Karikaturen vermeintlicher politischer Korrektheit ein Lächerlichmachen rechter Zerrbilder der angeblichen Identitäts- und Gender-Mafia – oder doch dieser Ideen selbst? Je weiter sich dieses hochkomische Eskalationstheater weiterschraubt, desto mehr zerfließen die Grenzen, desto unklarer scheint, was und wer hier die Zielscheiben sind.

Immer wieder kippen die Figuren, wird aus dem empathischen Mann ein gnadenloser Chauvinist und aus der verbiesterten PC-Puristin eine gewiefte Pragmatikerin. wer hier was glaubt, scheint egal, die Inszenierung zielt. Das Publikum will überzeugt und verführt werden – das des fiktiven Films und vielleicht auch das im Studio Я des Maxim Gorki Theaters. The Sequel stellt mediale – und künstlerische – Manipulationsstrategien nicht nur aus, es setzt sie auch ein, führt sein Publikum hinters Licht, verführt es zu einem Lachen, das es sogleich in einen Kloß im Zuschauer*innen-Hals umwandelt. Am Ende zeigt die Regisseurin Reue für ihr Spiel mit rechten Narrativen – nur um in der letzten Sekunde auch diese vermeintlich finale Wendung mit dem letzten Blick und dem letzten Ausruf wieder in Frage zu stellen. Die Orwellsche Umdeutung von Wahrheit, die Manipulation des Denkens durch jene der Sprache exerziert der furiose und ungeheuer unterhaltsame Abend durch, bis alles möglich scheint und nichts sicher. Auch wenn er subtil klar macht, auf welcher Seite er steht, gelingt es dem Abend deutlich vorzuführen, wie einfach es ist, Vernünftiges als unvernünftig umzudeklarieren und Anstand als Zensur zu diffamieren, wie schnell wir mit denen lachen, die wir doch ablehnen und über die, mit denen wir übereinstimmen. Eine Film- und Theatersatire, die mal eben in 80 Minuten die Orwellschen Volten einer längst aus dem Ruder gelaufenen öffentlichen „Debatte“, die in erster Linie ein Versuch der Verschiebung der Grenzen des Akzeptierten ist, ausstellt und greifbar macht. Un die unbedingt selbst ein Sequel braucht.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/11/24/kreuzigung-per-hashtag/
The Sequel, Berlin: Aufguss
„Sequels“ haben zurecht einen schlechten Ruf. „Der Pate II“ ist einer der raren Fälle, in denen ein zweiter Teil eines erfolgreichen Films überzeugen konnte. In den vergangenen Jahren verstopfen zu oft Ableger und Franchise-Produkte früherer Kassenhits die Kinopaläste. Das Schielen auf das schnell verdiente Geld bei überschaubarer kreativer Leistung prägt diese Flut von Fortsetzungen.

Es ist eine hübsche Idee von Nora Abdel-Maksoud, dieses Phänomen in ihrer Filmbusiness-Satire „The Sequel“ aufs Korn zu nehmen. Leider liegt aber hier auch schon das zentrale Problem des Abends: er ist selbst nur eine Fortschreibung eines erfolgreichen Originals, nämlich von „The Making-Of“, das seit fast zwei Jahren im Repertoire der Studiobühne des Gorki-Theaters läuft.

„The Sequel“ hat damit zu kämpfen, dass es ein lauer Aufguss ist. Die Spieler*innen werfen sich hochtourig in die Karikaturen. Aber der Satire fehlt der Biss, stattdessen ironisch gemeinte Zoten und ein paar Insider-Gags über den Kulturbetrieb.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/12/02/the-sequel-gorki-studio-kritik/
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