Queen Lear

23. November 2021. Im Dramenkanon sind Frauenfiguren oft Nebenrollen: Verzweifelt liebend, verlassen, am Ende häufig tot. Kann man diesen Klischees entgehen und trotzdem weiter "Die Räuber" oder "Faust" spielen? Leonie Böhm und Antú Romero Nunes über problematische Klassiker und ihren Umgang als Regisseur:innen damit.

Von Susanne Burkhardt und Elena Philipp

Mächtige Frau: Constanze Becker in "Caligula", 2017 am Berliner Ensemble © Julian Roeder

23. November 2021. Gretchen: von Faust geschwängert, sitzen gelassen, am Ende tot. Ophelia: von Hamlets Wahnsinns-Spiel verwirrt, begeht Selbstmord. Amalia: aussichtslos verliebt in Karl, lässt sich lieber von ihm erdolchen, als ohne ihn zu leben. Ob Schillers "Räuber", Shakespeares "Hamlet" oder Goethes "Faust": Frauen kommen in Theaterklassikern oft nicht gut weg. Kann man diese Texte heute noch vom Blatt spielen oder sollte man sie bearbeiten? Wie man alte Stücke so aktualisiert, dass sie Spielende wie Zusehende etwas angehen können, erproben die Regisseur:innen Leonie Böhm und Antú Romero Nunes in ihren Inszenierungen, wie sie im Theaterpodcast #41 erzählen.

 

Alte Texte neu zusammensetzen

Leonie Böhm weiß, was sie erzählen möchte: das, was uns in den Klassikern heute noch angeht. Bekannt geworden ist sie mit Inszenierungen, die kanonische Dramen befragen, eindampfen und auf ihren Kern reduzieren. Gemeinsam mit einer Gruppe von Schauspieler:innen setzt sie die alten Texte neu zusammen, um auf dem Theater eine Utopie von solidarischem Zusammenleben zu entwerfen. 2019 waren ihre "Räuberinnen" an den Münchner Kammerspielen eine Gruppe therapiebedürftiger Individuen, die sich in ein ausgelassenes Miteinander befreiten: "Schillers 'Räuber' ist für mich ein Stück über Gewalt und Einsamkeit und spiegelt eigentlich gar nicht Schillers Utopie wieder, dass der Mensch nur im Spiel wirklich frei ist", sagt sie im Gespräch. "Ich wollte unbedingt herausfinden, ob das mit dem Stück möglich ist: Wie wird man zu einer Gemeinschaft?"

Rollen paritätischer verteilen

Antú Romero Nunes, Co-Direktor der Schauspielsparte am Theater Basel, hat am Berliner Ensemble schon 2017 Caligula mit Constanze Becker in der männlichen Hauptrolle inszeniert. Aktuell probt er dort mit einer Truppe starker Spieler:innen Goldonis "Diener zweier Herren" – und setzt noch mehr auf krachende Herrenwitze als die Commedia dell’arte-Vorlage. Denn Frauen in Hosenrollen haben seiner Meinung nach riesiges Potenzial: "Man wird ja auch müde, dass Männer auf der Bühne dazu angehalten sind, immer alles zu sein und Frauen, immer das zu sein, was sie schon sind. 'Die schöne Frau‘ spielt 'die schöne Frau' und keiner merkt je, dass sie eigentlich ziemlich gut darin ist, alte Männer zu spielen. Das wird nie erforscht. Jetzt löst sich das auf, weil man diesen Schritt gemacht hat, paritätischer zu besetzen."

Was sich verändert, wenn man als Regisseur:in mit mehr Rollen für Frauen Fakten schafft, besprechen Leonie Böhm und Antú Romero Nunes im Theaterpodcast #41 mit Susanne Burkhardt und Elena Philipp.

 

Der Theaterpodcast greift einmali im Monat die wichtigsten Debatten rund ums Theater auf und widmet sich übergreifenden ästhetischen Fragestellungen. Der Theaterpodcast ist eine Kooperation von nachtkritik.de und Deutschlandradio Kultur. Über die Kunst und den Betrieb sprechen die beiden Theaterredakteur:innen Elena Philipp von nachtkritik.de und Susanne Burkhardt vom Deutschlandfunk-Kultur-Theatermagazin Rang 1.

 

 In Kooperation mit Deutschlandfunk Kultur.

 Deutschlandfunk Kultur Logo Farbe sRGB

 

Mehr zum Thema

-  "Die Ära der Frauen. Warum Schauspielerinnen heute so oft Männerfiguren spielen" von Georg Kasch (Januar 2020)

- "Don't make Femicide sexy again! Femizide auf den Bühnen und der männliche Blick" von Jorinde Minna Markert (Oktober 2021)

Kommentar schreiben