Medienschau: FAZ – Theater in Griechenland heute
Seelendrama, nicht Touristenattraktion
Seelendrama, nicht Touristenattraktion
28. Oktober 2022. Im antiken Griechenland ist das Theater zur Welt gekommen. Aber was macht es dort heute? Das fragt sich Simon Strauß in der FAZ.
"Fast jeder kennt die antiken Dramen, weiß von der ungeheuren Zahl an Tragödien, die im Laufe des fünften vorchristlichen Jahrhunderts entstanden." Aber die Rolle, die es derzeit spielt in dem von Wirtschaftskrisen und Massentourismus dominierten Land, liege unterhalb der europäischen Wahrnehmungsschwelle. Der Pädophilie-Skandal um Dimitris Lignadis, den künstlerischen Direktors des Nationaltheaters in Athen, habe die Szene erschüttert. Die griechischen Kulturministerin bezeichnete ihn als "gefährlichen Mann", sie war es allerdings, die bei seiner Berufung 2019 auf die vorgeschriebenen Regeln einer öffentlichen Ausschreibung verzichtet hatte. "Das deutete schon auf ein zweifelhaftes Kennzeichen des griechischen Theaterbetriebs hin: Er wirkt undurchsichtig bis korrumpiert, politischen Affiliationen scheint eine große Bedeutung bei der Besetzung von Chefpositionen zuzukommen. Oder ist das nur wieder ein deutsches Vorurteil gegenüber dem südlichen Problemnachbarn?"
Zweifellos schlage das Theaterherz in Athen am lautesten. Alles existiert nebeneinander, "es gibt imposante Privattheater, eine lebendige freie Szene, und inzwischen hat auch das staatliche Nationaltheater seine (von Lignadis geschlossene) experimentelle Nebenbühne zurückbekommen". Aber wie so oft sei das Zentrum nicht der interessanteste Ort, um etwas über Eigenarten herauszubekommen, so Simon Strauß, der dafür nach Thessaloniki gefahren ist, "wo es ebenfalls ein Nationaltheater gibt. Und eine hochfrequentierte Schauspielschule, auf der man innerhalb von fünf Jahren auch das Regiehandwerk lernen kann". Strauß hat in der zweitgrößten Stadt Griechenlands mit unterschiedlichen Theatermacher:innen gesprochen, die etwa sagen, dass die Gemütslage Thessalonikis für die philosophischen Fragen der griechischen Tragödie wie gemacht sei, aber auch, dass man sie dafür wieder als Seelendrama und nicht als Touristenattraktion inszenieren müsse.
(faz.net / sik)
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