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Grenzenloser Himmel, unheiliges Land

von Harald Raab

Heidelberg, 30. April 2011. Die Blätter des Textbuchs regnet es aus dem Schnürboden herab. Eine Israelin, ein israelischer Araber und zwei Deutsche machen sich über das Rollen-Tohuwabohu her: Willkommen in Israel und auf der Westbank. Leben mit dem Chaos auf einem Pulverfass. Deutsche Gutmenschen mit der Botschaft vom Frieden, wie sie sich ihn theoretisch so schön vorstellen, haben hier keine Chance. Bestenfalls sind sie naive Exoten, oft genug arrogante Ignoranten.

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Mit dem Stück "The Peace Syndrome", das den diesjährigen Heidelberger Stückemarkt eröffnete, geht zugleich die zweijährige Zusammenarbeit des Heidelberger Theaters mit dem Teatron Beit Lessin in Tel Aviv zu Ende. Die Uraufführung eines dokumentarischen Auftragswerks – so etwas riecht nach Volkshochschule, Nachhilfe in Political Correctness beim Praktikanten-Erlebnistourismus für Aktion Sühnezeichen, Friedensdienst e.V. und Co.

Patchwork überraschender Erfahrungen

Doch Regisseur und Autor Torge Kübler hat mit seinem Team aus den Befragungen von freiwilligen Helfern während einer Recherchereise im Sommer 2010 nach Israel und ins Westjordanland ein Patchwork aus überraschenden Erfahrungen, Urteilen und Vorurteilen zusammengestellt und mit Ironie und Tempo zu einem spannenden und an keiner Stelle langweiligen Theaterabend verdichtet. Es werden nicht bloß Thesen vorgestellt. Menschen geben ihren Irrungen und Wirrungen temperamentvoll Figur und Haltung.

Die Bühne (Harel Luz) karg, nur vier Stühle, als Hintergrund ein Wolkenszenarium. Derselbe grenzenlose Himmel spannt sich über Israelis und Palästinenser, über ihren Anspruch auf Heimat und eine ganz andere, oft genug diametral entgegengesetzte Vorstellung von Frieden. Eine Israelin (Yuval Scharf), pragmatisch und schlagfertig, ein israelischer Palästinenser (Amir Shoresh), impulsiv und nicht minder Überlebenskünstler, ein deutscher Jude (Natanael Lienhard) und sein deutscher Volontärskollege (Matthias Rott), beide sendungsbewusst bis überheblich, aber frustriert, weil sie als Konfliktlöser nicht ernst genommen werden.

Der doppelte deutsche Bußgewinn

Da prallen Welten aufeinander – kulturell, mentalitätsbedingt und nicht zuletzt sprachlich. Die Protagonisten sprechen deutsch und hebräisch. Wenn es politisch wird, fliegen die Fetzen. Und was ist im Nahen Osten nicht politisch? Da kann auch ein Dolmetscher (Ariel Nil Levy) nicht mehr helfen. Am deutschen Wesen kann diese Welt sicher nicht genesen. Vielleicht ist schwarzer Humor ein probateres Mittel. Den Palästinensern zur Seite zu stehen, die modische Haltung vieler Deutscher, kommentiert die Israelin: "Den Opfern von Opfern zu helfen, bringt doppelten Bußgewinn."

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The Peace Syndrome © Theater Heidelberg

Viele Israelis sehen deutsche Hilfsaktivitäten mit Skepsis, ja mit Misstrauen. So manche Sympathie der Palästinenser für Deutschland wird mit einem Lob für Hitler ausgedrückt. Bücher zum Eigenbau von Qassam-Raketen sind überall im Palästinensergebiet erhältlich: Das kann irritieren, führt aber zu keiner wirklich kritischen Haltung gegenüber den eklatanten Versäumnissen der Palästinenserführung. Die nice guys sind nun einmal für die Deutschen die Palästinenser und die bösen Buben die Israelis. Nach der Identifizierung mit den Opfern des Holocausts jetzt Mitleid mit dem Schicksal der Palästinenser. Unreflektierte Israelkritik als verkappter Antisemitismus?

Beide, Israelis und Palästinenser, wünschen sich Verständnis für ihre prekäre Lage, erfahren letztlich aber nur leere Sprüche vom Frieden, der mit etwas gutem Willen möglich sei. Sie wollen vielmehr, dass ihre ganz gewöhnliche Existenz nicht immer nur als ewiger Konflikt wahrgenommen wird. Holy Land als Confusing Land, nun ja, aber auch eine Region, in der Menschen sich mit den Umständen arrangieren müssen. Man lebt dafür intensiver. Die Fehler der israelischen und der palästinensischen Politik müssen deshalb nicht ausgeblendet werden.

Für Juliano Mer-Chamis

"The Peace Syndrome" ist ein Beispiel für gut gebautes politisches Theater, wirkungsvoller als so manches Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung. Schade, dass es die besonderen Produktionsbedingungen mit einem deutsch-israelischen Team verhindern werden, dass es in Deutschland nachgespielt wird. Gerade in den bevorstehenden grundlegenden Veränderungen mit der Gründung eines Palästinenserstaates im Nahen Osten bedarf es einer unsentimentalen und nüchtern-realistischen Sicht auf die Verhältnisse.

Kann Theater dabei helfen? Aufklärung ist die Voraussetzung für rationale Herangehensweisen. Dass die Wirksamkeit von Theater von denen gefürchtet wird, die keine Lösung für die Menschen im Nahen Osten wollen, dafür steht die Ermordung des palästinensisch-israelischen Theatermachers Juliano Mer-Chamis Anfang April vor seinem Theater im Flüchtlingslager Jenin. Ihm hat Torge Kübler sein Stück gewidmet.


The Peace Syndrome
Ein dokumentarisches Theaterprojekt von Torge Kübler und Ensemble
Auftragsproduktion des Theaters Heidelberg und des Teatron Beit Lessin, Tel Aviv
Regie: Torge Kübler, Bühne und Kostüme: Harel Luz, Dramaturgie: Jan Linders und Julia Reichert, Künstlerischer Berater: Ariel Nil Levy.
Mit: Yuval Scharf, Natanael Lienhard, Matthias Rott, Amir Shoresh, Ariel Nil Levy.

www.theaterheidelberg.de

 

Mehr zum Heidelberger Stückemarkt: Vor einem Jahr eröffnete der Stückemarkt mit der deutsch-israelischen Koproduktion Undercover Tel Aviv. Zuvor bereits war die Kooperation zwischen dem Theater Heidelberg und dem Teatron Beit Lessin mit They call me Jeckisch an den Start gegangen. Den Theatertransit zwischen Tel Aviv und Heidelberg beschrieb der israelische Regisseur und Dramaturg Avishai Milstein für nachtkritik.de in einem Theaterbrief. Ein demjenigen von Torge Kübler vergleichbares Theaterprojekt stellt Yael Ronens gefeiertes work in progress Dritte Generation dar.

 

Kritikenrundschau

Die Erzählungen und Erfahrungsberichte, die für "The Peace Syndrome" zusammengekommen seien, würden von den vier Darstellern "vital, amüsant oder aggressiv an das Publikum weitergegeben", berichtet Alfred Huber im Manheimer Morgen (2.5.2011). "Zwar wissen wir nicht, weshalb drei der vier befragten Volontäre eine Fistelstimme haben müssen, wenn sie im Schnellsprechverfahren über Leben und Eindrücke in Israel berichten. Aber unterhaltsam ist das allemal. Und durchaus denkbar ja auch, dass man sich die Naivität und Harmlosigkeit mancher Texte rasch wieder aus dem Kopf reden wollte. Für den Zuschauer jedenfalls ist das höchst angenehm. Schließlich muss er kein Urteil mehr über die Figuren und die Welt fällen, weil es im Eiltempo bereits geschehen ist."

Regisseur Kübler montiere und verdichte die auf der Recherchereise geführten Gespräche "zu einer harten und rasanten Collage", die "die Zuschauer auf eine Achterbahn der Gefühle" katapultiere, meint Heribert Vogt in der Rhein-Neckar-Zeitung (2.5.2011). "Wortfetzen fliegen vorbei wie 'Die Deutschen, die Frieden machen wollen', 'Die Mörder sind Engel geworden' oder 'Der Frieden ist ein Meister aus Deutschland'. Solche Sätze spiegeln vor allem das Unerledigtsein der Geschichte wider." Jeder deutsche Helfer oder Aktivist bringe wohl den Wunsch nach Israel mit, "die historische Schuld zu sühnen – zumindest einen kleinen Anteil daran zu übernehmen. Einen durchschlagenden Erfolg kann es hier nicht geben, aber gerade deshalb zählt jeder Schritt, den die Menschen aufeinander zugehen. Das ist wohl das Fazit dieser Inszenierung". Sicherlich könne das Stück "mit seiner Art von investigativem Theaterjournalismus im 'ewigen' Nahostkonflikt keine neuen Sachverhalte zu Tage fördern. Es kann jedoch die menschlichen Dimensionen spannend vor Augen führen und so zu einer Sensibilisierung für den Konflikt beitragen, was schon sehr viel ist."

In seinem Rundumschlag vom Heidelberger Stückemarkt 2011 geht Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (10.5.2011) auch kurz auf die Eröffnung ein: "In der Uraufführung von 'The Peace Syndrome', einer Kooperation mit dem Beit Lessin Theater in Tel Aviv, geht es um Herzensergüsse junger Helfer, die im gelobten Land Gutes tun wollen. In der Collage aus O-Tönen erfährt man allerdings nur, wie das ist, wenn ein naiver 21-Jähriger einen Tanzkurs mit Shoa-Überlebenden machen darf. Dem Festival angemessen war das nicht."

Kommentare  
The Peace Syndrome, Heidelberg: auch "Medicament" Teil der Koop
Das Stuck MEDICAMENT der israelischen Jungautorin Maya Scheye, das Sie hier am 14.11.10 rezensiert haben, war auch ein Teil der FAMILIENBANDE-Kooperation.
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