Abseits des Glamours

10. Mai 2024. Nach ihrem Erfolgsstück "It's Britney, Bitch" erzählen Lena Brasch und Sina Martens in ihrem neuen Stück wieder von exemplarischen Frauenschicksalen, die bestätigen, dass das Patriarchat auch in Zeiten von #MeToo keinesfalls abgeschafft ist.

Von Elena Philipp

"Spielerfrauen" am Berliner Ensemble © Jörg Brüggemann

10. Mai 2024. Blond und blöd? Spielerfrau! Mit diesem Klischee umzugehen gehört zum Job der Frauen und Freundinnen von Fußballspielern. Dafür gibt’s Ruhm und Reichtum. Oft aber auch: Gängelung und Gewalt. Mit "Spielerfrauen" tritt am Berliner Ensemble erneut das Duo Sina Martens und Lena Brasch an, das mit dem Emanzipations-Abend "It’s Britney, Bitch" schon einmal in ein exemplarisches Frauenschicksal hineingeleuchtet hat und dabei einen Komplex von Machtmissbrauch und patriarchaler Unterdrückung aufzeigte. So auch hier.

Die Bombenidee mit dem Fußball-Hype

Harmlos beginnt die Inszenierung, mit einem Monolog von Martens, in grüner Rasenhose und weißem Tornetz-Top, die sich über die Allgegenwart von Fußball beschwert. Mehr Beachvolleyball wünscht sie sich und möchte dann doch wissen, "wie es gerade steht“. Das um 21 Uhr angesetzte Europa League-Spiel zwischen dem Deutschen Meister Bayer Leverkusen und dem AS Rom ist da noch gar nicht angepfiffen, aber den täuschenden Einwurf eines Zuschauers, "2:0, Wolfsburg“, pariert Sina Martens locker: "Dieses Spiel ist schon lang vorbei. Merkst Du selbst?" Der Ton ist gesetzt. Aber er täuscht.

Mit ihrem Bühnenpartner Gabriel Schneider imaginiert Martens, schon etwas unbehaglicher, die Erfindung des Fußball als "das vielversprechendste Produkt der Neuzeit“. Ominös leuchten die beweglichen, Stadionleuchten nachempfundenen Kasten-Scheinwerfer, auf denen Martens und Schneider hier stehen wie im Zeugenstand vor Gericht. Angeblich stammt die Bombenidee mit dem Fußball-Hype von Dr. Oppenheimer – in grauem Anzug mit Hut zitiert Schneider das Oscar-prämierte Biopic um den berühmten Atomphysiker und Nuklearwaffen-Entwickler. 

Spielerfrauen 2 foto Jorg BruggemannGabriel Schneider und Sina Martens im Bällebad © Jörg Brüggemann

Wichtiger als dieses Popkultur-Zitat ist das (noch) komische Gerangel zwischen der sich naiv gebenden Martens und dem überlegen auftretenden Schneider, der mit der Abseitsregel den letzten Kniff seiner Erfindung hochjazzt – scheinbar kompliziert, aber ganz einfach zu erklären, auch einem Date nach ein paar Bier. "Stichwort: 80 Millionen Bundestrainer“, heißt es dazu im Skript von Leo Meier, der mit Laura Dabelstein die Texte für "Spielerfrauen“ geschrieben hat. Prost dem Patriarchat!, sagt Martens’ missbilligende Miene.

Häusliche Gewalt und Verschwiegenheitsverpflichtungen

Tief in die Tragik des Themas führt das Sonntagmorgen-Geplänkel zwischen Spielerfrau und Spielermann, wie es hier gendergerecht mehrfach heißt. Sina Martens aalt sich in der Badewanne, einem Bällebad aus weißen Plastikkugeln hinter atmosphärisch ausgeleuchteten Metallgittern, Für das intime Soap-Gefühl ist der Ton mit Mikroports verstärkt. Sooo stolz ist sie auf ihr "Babe“ – ein Tor, eine Vorlage und Man of the Match. "Großartig“. Was er denn morgen an seinem freien Tag mache, fragt Martens' Frau denkbar distanziert. Ist ja auch eine Geschäftsbeziehung, so eine Fußballer-Ehe. Auto kaufen! Aufregend, findet sie, das hat er sich verdient. Kommt er mit zum Geburtstagskaffee bei ihrer Mutter? Aufbrechende Aggression: "Wir spielen Champions League in Mailand!" Beschämtes Babe. Und dann sein Wutanfall, den Martens’ genau modulierte Körpersprache lang schon vorwegnahm. 

Spielerfrauen 2 foto Jorg BruggemannSchluss mit lustig © Jörg Brüggemann

Häusliche Gewalt ist auch im Fußball ein Problem: Wie meist junge "Spielerfrauen" in auffällig vielen Fällen misshandelt, bedroht und zum Verstummen gebracht werden, haben die Süddeutsche Zeitung und Correctiv 2022 in einer umfangreichen Investigativ-Recherche beschrieben. Etliches davon scheint in "Spielerfrauen" eingeflossen zu sein: die Schläge und Bisse, mit denen Jérôme Boateng seine Freundinnen traktiert haben soll; die Hämatome, mit denen eine Betroffene ins Krankenhaus eingeliefert wird; Verschwiegenheitsverpflichtungen als "Geheimwaffe“, um die Spieler, millionenschwere Investments ihrer Clubs, vor schlechter Presse oder gerichtlicher Verfolgung zu schützen. Gegen #MeToo zeigt sich der milliardenschwere Fußballzirkus noch immer immun.

Mainstream-Thema als Erfolgsgarant

Auf dem Theater ist #MeToo als Thema längst Mainstream. Allein am Berliner Ensemble gibt es mit Inszenierungen wie Revolt. She said. Revolt Again. von Christina Tscharyiski (2018), "It’s Britney, Bitch“, der Debüt-Inszenierung von Lena Brasch (2022) oder #MotherFuckingHood von Jorinde Dröse (2024) eine ganze Reihe von theatralen Diskursbeiträgen zu Fragen von Gender, Gewalt und Geschlechterungerechtigkeit. Mit "Spielerfrauen“ rennen Sina Martens und Lena Brasch also offene Tore ein.

Für die durchschlagende Wirkung hätte es den tränenseligen Monolog zum Schluss – das Schwarze Loch, das die Sprecherin verschluckt – nicht gebraucht. Die dramatischen Szenen zuvor brachten das Wesentliche über die Rampe. Auch wenn der letzte Auftritt von Victoria Beckham (Gabriel Schneider mit Blonde Bixie-Perücke) dann wieder sitzt. Als Vorbild aller Spielerfrauen und Stilikone rät Posh Spice: "Anziehen. Nicht werden. Das ganze Schwarz." Spielerfrau – blond und schlau.

Spielerfrauen
von Sina Martens und Lena Brasch
Mit Texten von Laura Dabelstein und Leo Meier
Regie: Lena Brasch, Bühne: Karl Dietrich, Joel Winter, Kostüme: Esther von der Decken, Musik: Johannes Aue, Paul Eisenach, Licht: Sebastian Scheinig, Dramaturgie: Amely Joana Haag, Künstlerische Mitarbeit: Mira Gebhardt.
Mit: Sina Martens, Gabriel Schneider.
Premiere am 9. Mai 2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.berliner-ensemble.de

 

Kritikenrundschau

"Der Abend will erfreulich viel – und er möchte, dankenswerterweise, vor allem komplex sein", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (11.5.2024). In dem Stück, das "die mental womöglich hartnäckigste Männderdomäne aus unterschiedlichen weiblichen Blickwinkeln" betrachtet, prallen "mitunter ziemlich verschiedene Systeme aufeinander. Und im vergleichsweise rasanten Szenen-Hopping gibt es immer wieder gute Ansätze, die mit dem nächsten Spielzug allerdings schon wieder in einen andere Richtung gelenkt werden, bevor der entscheidende Pass in die Tiefe erfolgt."

Die Inszenierung wirbelt "Figuren der Popkultur, klugen Feminismus, Frauenbilder, Männlichkeitsklischees, Glamour-Trash und ein paar grundsätzliche Frage von Einsamkeit, Liebe und Wahrheit sehr lässig und charmant durcheinander", freut sich Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (11.5.2024).

"Irgendwie geht's um alles rund um Fußball, was man halt so aufschnappen kann", berichtet Barabara Behrendt für "Fazit" auf Deutschlandfunk Kultur (9.5.2024) und findet den Zugriff auf das Thema "Spielerfrauen", um das es erst am Ende so richtig gehe, teils klischiert und auch unentschieden: "Man weiß gar nicht, ob sich die Produktion über diese Paare lustig machen will oder nicht." Um einen feministischen Zugriffe auf die patriarchale Welt des Fußballs gehe es "viel zu wenig". Der Text biete eher "Szenensplitter", die "nicht zu einem richtigen Ganzen werden".

"Das Duo Martens und Schneider spielt hervorragend präzise zusammen, oft durchaus mit unterhaltsamem Unterton", schreibt Katrin Pauly in der Berliner Morgenpost (13.5.2024). "Insgesamt hätte dem Abend etwas mehr Fokussierung gutgetan."

Kommentare  
Spielerfrauen, Berlin: Treffer gegen Ende
Der neue Abend des BE-Shooting Stars-Duos Sina Martens/Lena Brasch braucht eine Weile, bis sie sich warmgespielt haben. Vorsichtiges Herantasten ist in der ersten Hälfte angesagt. Ihr "Spielerfrauen"-Projekt ähnelt in dieser frühen Phase eher noch einer Stoffsammlung und Aneinanderreihung kabarettistischer Schnipsel rund ums Thema Fussball.

Manche Spielzüge von Sina Martens, die sich diesmal Gabriel Schneider auf die Bühne des Neuen Hauses des Berliner Ensembles dazugeholt hat, sind schön anzusehen, zwingende Torchancen bleiben zunächst Mangelware.

Aber ein Spiel dauert ja bekanntlich 90 Minuten. In der zweiten Hälfte agiert das "Spielerfrauen"-Team deutlich fokussierter. Klasse-Mannschaften wie Real Madrid oder Bayer Leverkusen zeichnet es aus, dass sie in den Schlussminuten noch mal alle Kräfte mobilisieren und die entscheidenden Treffer erzielen können.

Eine Angriffswelle rollt in der Schlussphase nach der nächsten. Den ersten Treffer landen die „Spielerfrauen“ mit der Szene im Bällebad, wo Schneider das Klischee eines Fußballstars spielt, der nicht die hellste Kerze auf der Torte ist, und Martens mit ihrer Rolle als Anhängsel hadert, die nur schön aussehen muss.

Schlag auf Schlag geht es weiter mit einem emotionalen Monolog von Sina Martens, in dem sie sich in das Schicksal von Kasia Lenhardt einfühlt. Der heiter-witzelnde Spielverlauf wird auf den Kopf gestellt, der Abend bekommt Tiefe und Format. Ganz zum Schluss auch noch Glamour, als Schneider im Victoria Beckham-Look auf die Bühne kommt und den jungen Kolleginnen erklärt, wie man die Rolle als Spielerfrau ausfüllt.

Als der Abend nach 90 Minuten und der üblichen Nachspielzeit abgepfiffen wird, lässt sich ein positives Fazit ziehen. Aber die Top-Form ihres Überraschungshits „It´s Britney, Bitch!“ erreichen Brasch/Martens diesmal nicht.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2024/05/11/spielerfrauen-berliner-ensemble-theater-kritik/
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