They Them Okocha - Schauspiel Frankfurt
Die Ära von alles ist gut
13. April 2024. Früher war alles besser. Für die vier Figuren in Bonn Parks neuem Stück auf jeden Fall: Sie reisen zurück in die Zeit, als sie Kinder waren und beste Freunde. Ihre damalige Verbundenheit hat sich in nichts aufgelöst – und wie sie aufs Damals blicken und sich im Jetzt verhalten, erzählt viel über den (weißen, westlichen) Menschen der Gegenwart.
Von Esther Boldt
13. April 2024. Wo fing das an und wann? Was ist passiert? Was hat, um es mit der Band "Die Sterne" zu rufsingen, dich bloß so ruiniert? Wann kam es zum Bruch zwischen Ich und Welt, zwischen Vorfreude und Zukunftsangst, Traum und Arbeit? Wann haben sich die Freunde aus Kinder- und Jugendtagen in alle Winde verstreut?
In Bonn Parks neuem Stück "They Them Okocha" reisen vier zurück durch die Zeit, auf der Suche nach Antworten. Im Gepäck: diverse Coming-of-Age-Filme, das heimelige Flimmern des Fernsehgeräts samt Antenne, diverse Songs und Zitate. Vom titelgebenden Fußballspieler Jay-Jay Okocha und seinem legendären Tor 1993 im Frankfurter Waldstadion bis zu den Teletubbies, dem Sound ihrer Kindheit, dessen sie sich im schönsten Lala-Dada bedienen: "War alles gut? – Ja, alles war gut."
Vorwärts in die Vergangenheit
Also zurück dorthin, wo alles gut war: in ein gedrungenes Kinderzimmer mit peinlich nahgerückten Wänden (Bühne: Sina Manthey), in helle Hemden und angegraute kurzen Hosen, die Gesichter grauweiß geschminkt wie auf einer alten Fotografie (Kostüme: Leonie Falke). Parks Protagonisten Cem, Noah-Wilhelm, Jürgen A. und Jürgen D. reenacten die Spiele ihrer Kindertage, sie wedeln mit selbstgebastelten Laternen und spielen "Der Boden ist Lava", sie zanken darüber, was Spiel ist und was echt, und reichen einander zur Versöhnung feierlich die Hände.
Dabei bleibt die Reibung zwischen Erwachsenenkörper und Kinderspiel stets sichtbar, wenn mit eckigen Schultern Kinderweisheiten und Elternlogik repetiert werden. Was, fragt Jürgen D. (Jannik Mühlenweg) einmal, "Was ist Freundschaft nochmal?". Auf der Suche nach Antworten ringen die drei anderen, die im Stück schön schräg unter "beste Freundschaft" versammelt werden, um Worte. Freundschaft sei, findet schließlich Cem (Lioba Kippe), der angeblich immer der Klügste der vier war, "gegenseitig das Leben besuchen". Bis diese Besuche, fast unbemerkt, ausbleiben. Bis sich die Zeiten ändern.
Erwachsensein ist tonnenschwer und freudlos
Und so überprüfen die vier immer wieder: Ist dies noch die "Ära von alles ist gut", das Jahr, in dem noch alles in Ordnung war? Oder sind wir schon im unerträglichen Erwachsenenleben angekommen, das tonnenschwer wiegt und grau und freudlos daherkommt? In dem Freundschaft zu etwas geronnen ist, an dessen Bedeutung man sich kaum mehr erinnern kann, in dem man, "nichts gegen euch", niemanden mehr mag wie Jürgen A. (Arash Nayebbandi) und am liebsten einfach allein wäre mit allem, was man braucht?
Fein hangelt sich "They Them Okocha" entlang an genretypischen Plattitüden und knappen Paraphrasen, die aus den Mündern dieser ungelenken Heimsucher ihres Lebens dennoch berührend klingen und nah. Mit hochgezwirbelten Tollen und Jeansjacken gehen sie auf Stippvisite in ihre Teenage-Jahre, in die Zukunft reisen sie mit der Geisterbahn, durch den nebelspeienden Teufelsschlund am rechten Bühnenrand – um als graue Herren mit schlecht sitzenden Anzügen und Aktenkoffern wieder herauszukommen.
Vier eckige Gegenwartsgestalten
Hier schließt sich der Kreis, hier begegnen sich die vier wieder, ohne einander zu erkennen. Hier ist von bester Freundschaft nichts mehr zu spüren, hier hauen sie sich in knappen Formeln Weltanschauungen um die Ohren: "Meine Pronomen!" – "Ausländer raus!" – "Du bist ein schlechter Mensch!", als wären ihre Eloquenz und ihr Differenzierungsvermögen in Lalaland geblieben. Bonn Park und die Spieler:innen skizzieren zärtliche Karikaturen eines Gegenwartsmenschen, dem die Vergangenheit ein Versprechen und die Gegenwart ein Graus ist, der im Hamsterrad des Alltags feststeckt und das bessere Leben nicht länger im Kommenden sucht, sondern in dem verortet, was er verlor. Der Komplexität meidet wie die Pest und Antworten stets in der Verkürzung sucht.
Etwas gruselig sind diese Spukgestalten schon, die ihr Leben stets zu verpassen scheinen, die groß sein wollen, wenn sie klein sind, und klein, wenn sie groß geworden sind. Und die ein wenig Leichtigkeit zurückholen in ihre eckigen Körper, wenn Des'ree am Ende ihren 1994er-Jahre-Hit "You Gotta Be" schnurrt. Doch während sich der schwarze Vorhang über dem ungelenken Tanz senkt, würde man den vier grauen Herren am liebsten mit den "Sternen" hinterherrufen: Seid ihr nicht immer noch Gott weiß wie privilegiert?
They Them Okocha
von Bonn Park
Regie: Bonn Park, Bühne: Sina Manthey, Kostüme: Leonie Falke, Musik: Ben Roessler, Dramaturgie: Katja Herlemann, Licht: Frank Kraus, Musik: Ralf Merten.
Mit: Lioba Kippe, André Meyer, Jannik Mühlenweg, Arash Nayebbandi.
Uraufführung am 12. April 2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.schauspielfrankfurt.de
Kritikenrundschau
"Ausstattungsmäßig" sei dieser Abend "voller Überraschungen und auch voller Liebe", findet Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (14.4.2024). Zwar gehe er eher nicht "über das hinaus, was ohnehin alle über das Leben in den hiesigen Breitengraden wissen". Bonn Park aber mache seine Figuren "weder klüger noch unsympathischer, als sie sind". Er zeige hingegen "auf ein paar Punkte" – und das "verspielt und völlig unbelehrend".
Martina Jacobi von der Deutschen Bühne (13.4.2024) fühlte sich gut unterhalten. "Inhalt und Text sind feinsinnig und kritisch strukturiert, wollen die vierte Wand aber nicht immer so recht durchstoßen, was vielleicht auch an dem ruhigen und so etwas statischen Vortrag und Tempo liegen mag. Das wiederum passt zum verlorenen, unentschiedenen 'Groß-Sein' doch sehr gut."
Der Glaube an die Unbeschwertheit der Kindertage werde hier gründlich zertrümmert und Nostalgie als lähmende Geisteshaltung attackiert, so Matthias Bischoff von der Rhein-Main-Zeitung (15.4.2024). Sina Mantheys Bühnenbild sein eindrücklich, das Stück grundmelancholisch und pessimismusgesättigt.
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Mir ist aufgefallen, dass in der Kritik vier mal das Aussehen der Figuren beschrieben wird, die Kostümbildnerin aber nicht gennant wird. Die Bühne dahingegen wird einmal genannt, mit direkter Nennung der Bühnenbildnerin in Klammern. Zu recht!
Aber wo bleibt die Anerkennung der Arbeit der Kostümbildnerin?
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Lieber Martin, vielen Dank für den Hinweis! Wir haben das korrigiert.
Herzliche Grüsse aus der Redaktion