Der Wegbereiter

2. Mai 2024. Als der Regisseur und ehemalige Burgtheater-Direktor Achim Benning im Januar starb, galt er in den Nachrufen vor allem als Vorgänger von Claus Peymann. Nun sind posthum gesammelte Texte Bennings zum Theater erschienen, die das Bild eines eigenständigen, aber sanfteren Erneuerers seiner Kunst zeichnen.

Von Thomas Rothschild

2. Mai 2024. Das Bessere ist der Feind des Guten. Claus Peymanns überragender Erfolg am Wiener Burgtheater hat eine gerechte Erinnerung an seinen Vorgänger Achim Benning verhindert. Peymann selbst ist daran nicht ganz unschuldig. Benning seinerseits hat sich, nicht sehr souverän, für die gesammelten Kränkungen gerächt. In einem der Aufsätze des Buchs über Elias Canetti zitiert Benning dessen kleinliche Reaktion auf eine Kritik des österreichischen Marxisten Ernst Fischer an "Masse und Macht". Er, Canetti, könne "nur mit Ekel an Fischer zurückdenken". Benning selbst verhält sich aber im Fall Peymann ähnlich. Die Wahrheit ist: Achim Benning hat den Boden für Claus Peymann bereitet.

Wer das Burgtheater vor der Ankunft von Benning im Jahr 1976, unter der Direktion von Ernst Haeusserman, Paul Hoffmann und Gerhard Klingenberg, kannte, weiß, dass dessen Beitrag zur Modernisierung der "Schnarchbude" am Ring nicht geringer war als der seines deutschen Landsmanns zehn Jahre danach.

Der Anti-Provokateur

Achim Benning war nur zwei Jahre älter als Peymann, aber ein ganz anderes Temperament. Provokation war seine Sache nicht. Gleich nach dem Abschluss des Studiums am Max Reinhardt Seminar ging er als Schauspieler ans Burgtheater. Der gebürtige Magdeburger hatte sich die österreichischen Gepflogenheiten und Umgangsformen angeeignet wie einige seiner aus Deutschland stammenden Protagonisten, wie Michael Heltau, wie Joachim Bißmeier, wie Robert Meyer, wie Andrea Jonasson.

Claus Peymann brachte von draußen einen Hauch des abklingenden Sturms von 1968 nach Wien, was nicht allen gefiel, ihm aber ein begeisterungsfähiges junges Publikum bescherte. Dass er mit verstaubten Konventionen von der Kleiderordnung bis zum "Vorhangverbot" aufgeräumt hat, mag von eher symbolischer Bedeutung sein, hatte aber seine Wirkung als Signal an jene Generation, die mit den Rolling Stones vertrauter war als mit dem klassischen Kanon. Da war es Programm, wenn Gert Voss gleich zu Beginn als Richard III. nach dem Winter seines Missvergnügens aus dem Gully kroch.

Sieg der Wirklichkeit über die Ideologie

Anfang des Jahres ist Achim Benning kurz nach seinem 89. Geburtstag gestorben. Zu diesem Zeitpunkt war die überarbeitete und stark erweiterte 2. Auflage einer Sammlung von Texten zum Theater aus den Jahren 1976-2023 bereits abgeschlossen. Der Herausgeber Peter Roessler, Professor am Max Reinhardt Seminar, konnte das Todesdatum gerade noch hinzufügen.

Schon im ersten Aufsatz aus dem Jahr 1976 zitiert Benning den erwähnten Ernst Fischer, wonach Kunst immer Cover Benning"ein Sieg der Wirklichkeit über die Ideologie sei". Stets aufs Neue versucht er, das Allgemeine und das Besondere des Burgtheaters zu definieren, sich zwischen dessen Möglichkeiten und den Forderungen des Publikums zu positionieren. Dabei erweist er sich als überzeugter Demokrat, eher der linken oder genauer: der sozialdemokratischen als der rechten Hälfte des österreichischen Spektrums zugehörig. Das war in einem Land, in dem in den Jahren der Burgtheater-Intendanz Benning konservative "Selbstverständlichkeiten" – trotz Kreisky – immer noch den Ton angaben, keineswegs selbstverständlich.

In mehreren Texten ist der Balanceakt zu erkennen zwischen der Verteidigung gegen den Vorwurf der Zurückgebliebenheit, vor allem durch die deutsche Kritik, und dem vorsichtigen Widerstand gegen deren tatsächliche Präsenz. Rückblickend muss man sagen, dass Benning da beträchtliches diplomatisches Geschick bewiesen hat. Am Zürcher Schauspielhaus, wo er nach seinem Abgang vom Burgtheater drei Jahre lang Intendant war, begegneten ihm durchaus vergleichbare Verhältnisse.

Erinnerungen an Legenden

Zu den Pflichten eines Burgtheaterdirektors gehören Würdigungen und Nachrufe. Sie nehmen breiten Raum in dem fast 500 Seiten starken Band ein und erinnern an große Namen, die heute noch in Österreich und darüber hinaus Wertschätzung erfahren, wie beispielsweise Friedrich Heer, Friedrich Dürrenmatt, Leopold Lindtberg, Norbert Kappen, Adrienne Gessner, Oskar Werner, Heinrich Schweiger, Karlheinz Hackl, Pavel Landovský, auch an die damals noch lebenden Werner Schneyder, Annemarie Düringer und die erfreulicherweise immer noch unter uns weilenden Robert Meyer oder Erika Pluhar.

Leider gibt es kaum Ausführungen zum Spielplan und zu einzelnen Inszenierungen. Eine der wenigen Ausnahmen bildet Arthur Schnitzlers "Professor Bernhardi", allerdings nicht anlässlich der sensationellen Version von Angelika Huwicz aus dem Jahr 1981, sondern für das Programmheft von 1997/98, als sich Benning selbst das Stück mit Karlheinz Hackl in der Titelrolle als Regisseur vornahm.

Zu Bennings besonderen Vorlieben gehörten die Russen, Turgenjew, Tschechow und Gorkij. Unvergessen, neben seinem "Kirschgarten" mit Erika Pluhar, Helmuth Lohner und Heinz Werner Kraehkamp als Gast in der Rolle des Lopachin, seine "Sommergäste", die er 1979 als österreichische Erstaufführung, fünf Jahre nach der legendären Inszenierung von Peter Stein, mit den damaligen Stars des Burgtheaters auf die Bühne brachte. Da gibt es leider nur ein paar Bemerkungen en passant, vorwiegend zum Bühnenbild. Kein Wort auch über Erwin Axers großartige "Entdeckung" von Robert Musils "Die Schwärmer" im Jahr 1980.

Bedauerliche Auslassungen

Zu den besonderen Leistungen Achim Bennings zählen seine anhaltenden Bemühungen um jene osteuropäischen Dramatiker, allen voran Václav Havel, die nach der militärischen Niederschlagung des "Prager Frühlings" in ihrer Heimat in Ungnade gefallen waren und zu "Unpersonen" gemacht wurden. Auch darüber würden wir gerne etwas lesen. Es könnte einen Beitrag liefern zu den aktuellen Diskussionen über den Umgang mit ukrainischen Theaterleuten. So bleiben nur Notizen, die über Namedropping und ein paar Fotos nicht hinausgehen. Hatte Benning zu Havels Stücken "Das Gartenfest" oder "Die Benachrichtigung" nichts zu sagen?

Achim Benning gehörte wie Claus Peymann und anders als zum Beispiel Ivan Nagel oder Ulrich Khuon zu den Regie führenden Intendanten. Ein Verzeichnis seiner Inszenierungen erhöht zwar den Gebrauchswert des Buchs – mangels Besetzungslisten allerdings nur geringfügig.

In den Spiegel greifen. Texte zum Theater 1976-2023
von Achim Benning
Herausgegeben und mit einem Essay von Peter Roessler
Wien: Hollitzer Verlag, 2024, 480 Seiten, 28,00 €

Kommentar schreiben