Laichen - Johannes Hoffmanns Stück über ein versumpfendes Bio-Paar von Juliane Kann in Mainz uraufgeführt
Gülden quakt das Musterglück
von Marcus Hladek
Mainz, 7. Juni 2013. Kinder und Tiere, hört man von Theaterleuten, sind tendenziell gefürchtet, weil die schönste Schauspielkunst gegen ihren naturwüchsigen Reiz schwer ankommt. In Johannes Hoffmanns "Laichen" auf dem Mainzer Dachtheater-"Deck 3", wo Juliane Kann mitten unter die Zuschauer im Karree einen Swimmingpool aus Leichtmetall mit Schwimmleiter, Startblocks und Riesenschlüssel wie zum Aufziehen einer leblosen Spieluhr stellt, sind die drei Kindstatisten freilich entwaffnet, da sie neben Marcos Eltern Sandra und Herwig (Andrea Quirbach, Tibor Locher) permanent mit auf der Bühne stehen, sitzen, liegen und agieren. Das stumpft denn doch ein Stück weit ab gegen ihre kreatürliche Anmut. Immerhin schlägt sich das kleine Mädchen mit Rouge auf den Wangen, das da im Regenbogenkleid mit monströser Popart-Eiswaffel das "Werden" verkörpert, so gut, dass sie beim Liedersingen und Gedichtrezitieren durchaus verzückt.
Damit der mehrdeutige Titelklang vom Laichen (der Frösche) und Leichen auch bühnenfällig werde, ist dem "Werden" in Kanns Regie eine zweite Allegorie als grau-in-graues Kindgespenst mit bleichem Antlitz beigesellt: Hoffmanns "Vergehen". Wo der lebende Sohn Marco im grünen Schlafanzug nicht recht präsent werden darf, weil der elterliche "Lebensplan" ihn mehr als Ornament daran vorsieht, steht der mal biblisch verfluchende, mal betende Junge in seiner Rolle als "Vergehen" mit seinem geschächteten Schaf, das Marcos Kuschellamm dementierend verdoppelt, für die traurige Wirklichkeit einer im Schnelldurchgang rekapitulierten, tristen Paar- und Eltern-Kind-Beziehung: der kleine Vampir als Wink mit dem Zaunpfahl aufs ausgezehrte Leben bürgerlicher "Raus-aufs-Land"-Utopien im polit-korrekten Ökoschlüssel. Dagegen kann das feenhafte "Werden" noch so viel Goldregen verteilen.
Geisterseher und Küchenpsychologie
Klar gefällt solches dem Publikum, das dem Dramatiker für "Laichen" schließlich den Publikums-, im Gegensatz zum bis 2011 vergebenen Jury-Preis im Nachwuchswettbewerb "Text trifft Regie" zusprach: eine Detailunterscheidung, die Intendant Matthias Fontheim im sehr kurzen Gespräch vorab nicht zu ziehen versäumt. Heiß ist es in Hoffmanns Stück, Sommer, Wochenend, zwitschernde Vögel und das wohlsituierte Paar mit Kind im akustischen Landambiente am sichtbaren Städterpool. Dem winkenden Nachbarn, der nur per Mauerschau zugegen ist, verkörpert all dies ein Musterleben, also steckt das Paar in goldenen Bodysuits (alles gold!), wenn es nicht gerade im gefransten Kitsch-Partnerlook gesellschaftstanzt oder künstlich-legeren Pool- und Lebensalltag aufträgt (Kostüme: Josephin Thomas).
Nur gehen Geisterseher (wie Sohn Marco, der mit Werden und Vergehen aufs Metall-"Wasser" malt: alles vergebens, weil "written in water") und aufgeklärtes Musterglück schlecht zusammen. Die ewig quakenden Frösche im stagnanten Pool und Marcos unsichtbare Freunde wollen zwar auf brodelnde Existenznöte unter der Oberfläche hinaus, nur reicht es dazu nicht recht hin, weil das tragisch-lyrisch Gemeinte am Stück, dieses einmal pathetische "Wenn die Kinder nicht mehr rufen, werden die Steine schreien", ansonsten daherkommt wie Küchenpsychologie und folglich so trivial bleibt wie Fernsehen – "Ghost Whisperer" für die Bühne.
Nichts laicht
Auch der kalkuliert aufgesetzte Duktus der beiden jätenden, tanzenden, streitenden, peinlich erotisierenden Darsteller in Sprache und Gebaren erweckt die Stück-Leich' aller Verve zum Trotz nicht zum Leben: nichts laicht. Botho Strauß hat solche Figuren und ihr Spießerwesen vor Längerem wirksamer, ja endgültig abgeräumt – auch darum eignet "Laichen" etwas Epigonales. Hoffmanns versumpfendes Bio-Paar nebst Sohn erinnert in Frosch-Motiv und Titel wohl eher, und unfreiwillig, an Christoph Martin Wielands Romansatire "Die Geschichte der Abderiten" mit ihrem lachenden Philosophen Demokrit: ein verkorkster Bogen von BRD-demokratisch zu demokritisch zu kritisch.
Laichen
von Johannes Hoffmann
Uraufführung
Regie und Bühne: Juliane Kann, Kostüme: Josephin Thomas, Musik: Daniel Freitag, Choreografie/Tanztraining: Nadja Blank, L.K. von Volckamer.
Mit: Andrea Quirbach, Tibor Locher und Kindern aus der Statisterie in Sprechrollen: Moritz Urs, Emely Floch/Lena Mrse, Hugo Flynn.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause
www.staatstheater-mainz.de
"Wohlstandsbürger", die "sich in seelischem Weltschmerz" ergehen – sei "dieser Ansatz des österreichischen Jung-Autors Johannes Hoffmann schon wenig originell und irgendwo zwischen Tschechow und Schnitzler einzuordnen, so wäre es ratsam gewesen, sich auch anderweitig inspirieren zu lassen", meint Martin Eich in der Mainzer Allgemeinen Zeitung (10.7.2013). "Keine der Figuren lebt, die Dialoge sind so verklemmt, dass die Schauspieler das Textbuch bei der ersten Leseprobe wahrscheinlich nur mit einem Brecheisen öffnen konnten." Die Inszenierung Juliane Kanns passe sich dem Niveau an, sie zerfalle, "so disparat sind die Abschnitte in Tempo und Stimmung. Mal obszön, larmoyant oder aggressiv, aber immer selbstreferentiell: Die Dekonstruktion einer banalen Familienidylle gelingt nicht, weil bereits ihre Konstruktion misslingt."
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