Art but fair – Der Verein kümmert sich um faire Arbeitsbedingungen für Künstler und bereitet ein Gütesiegel für fair produzierte Bühnenprojekte vor
Ohne Schamgrenzen
von Birgit Walter
Berlin, 8. Januar 2015. "Jämmerlich!", maulte der Online-Redakteur der Berliner Zeitung, als im Kulturteil die 1762 Likes eines Facebook-Portals Erwähnung fanden. 1762, das sei doch keine Zahl! "Das ist nichts!", urteilte er streng. Ja ja, vielleicht. Aber die Seite "buehnengagen" war damals, im Februar 2013, gerade erst drei Tage alt und schon vollgeschrieben – jeder Eintrag ein Erlebnis. Die Seite gibt Künstlern die Chance öffentlich zu erzählen, wie der Kulturbetrieb sie behandelt. Unanständig, fies und gemein natürlich, sonst würden sich Künstler nicht darüber aufregen. Die meisten mussten sich in ihrem Berufsleben längst Genügsamkeit und finanzielle Anspruchslosigkeit antrainieren. Die Seite www.facebook.com/Kuenstlergagen über die traurigsten und unverschämtesten Künstlergagen wuchs eilig und dramatisch.
Manche Einträge ("Als Gage bieten wir die Teilnahme am anschließenden Sektempfang.") will man gar nicht für wahr halten, sie ziehen ihre Glaubwürdigkeit aus der schieren Masse der Erzählungen. Denn es gibt keinen Grund, generelle Einkommens-Klagen anzuzweifeln, man muss nur einfach die Statistik der Künstlersozialkasse bemühen – danach verdienen die Freiberufler unter den Künstlern – also die Mehrzahl – im Durchschnitt der letzten Jahre etwa 12.000 Euro. Es gibt Bundestagsabgeordnete, die das Problem nicht erkennen wollten, bevor sie bemerkten, dass mitnichten die Monatseinkommen gemeint waren, sondern Jahreseinnahmen. Die wenigsten Künstler können von ihren Gagen leben. Normalerweise reden sie nicht darüber. Künstler beschweren sich nicht, sind flexibel, spielwütig und optimistisch.
Einen Künstler zu finden, der über die Zustände aus eigener Anschauung berichtet, bleibt mühsam. Ein Berliner Kontrabassist erzählte für einen Zeitungsartikel mit Klarnamen, welche Hunger-Gagen er nach der Abwicklung seines A-Orchesters annehmen muss. Wie er sein Arbeitslosengeld für jeden Auftrag neu an- und abmeldet, dass er zur Wahrung der Form selbstverständlich täglich mehrere Stunden übt. Dass ein Musiker über 35 nicht mehr zum Vorspielen für eine Orchesterstelle eingeladen wird – zu alt. Der Musiker versucht, seine begabten Kinder von einer musikalischen Laufbahn abzubringen und erwägt nach 25 Berufsjahren eine Arbeit als Koch. Als der Text erscheint, bekommt er monatelang kein einziges Engagement mehr. Der Kulturbetrieb nimmt übel.
Revolution der Künstler
Das Übelnehmen beherrscht er gut, und öffentliche Kritik nimmt er wahr. Aber die Zustände beginnen sich zu ändern, sehr vorsichtig. Aus der Facebook-Plattform "buehnengagen", die der Musical-Produzent Johannes Maria Schatz 2013 geschaffen hat, ging im selben Jahr ein Verein hervor: art but fair. Er hat heute fast 100 Mitglieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz und entwickelt Regeln für Anstand im Umgang mit Künstlern aus dem Bereich der darstellenden Kunst und Musik, entwarf Selbstverpflichtungen für Arbeitgeber, Agenten, Lehrer und Künstler. Dass der Verein sich ziemlich schnell Gehör verschaffen konnte und zwar überregional, verdankt er einem Namen aus der High Society des Kulturbetriebs: Die österreichische Mezzosopranistin Elisabeth Kulman empörte sich über Zustände bei den Salzburger Festspielen. Mehr noch, sie rief zur Revolution der Künstler auf.
Allein die Wortmeldung gleicht einer Revolution. Elisabeth Kulman kritisierte den Festspiel-Intendanten Alexander Pereira dafür, dass er Probengelder bei mehrwöchigen Opernproduktionen strich, alles mit einer Abendgage abdeckte und das Ausfall-Risiko allein auf die Künstler abwälzte. Sie beklagte zu enge Termine für Sänger, Inkompetenz und Korruption bei den Entscheidungsträgern. Und das in Österreich – da opponiert jemand mit sehr großem Standing.
Solidarität der Stars
Das setzte eine Bewegung in Gang, wenn man so will von oben und unten gleichzeitig. Der Vereinsvorsitzende in Deutschland, Johannes Maria Schatz, erlebt, was seiner Frau als Musical-Darstellerin zugemutet werden soll: 300 Vorstellungen am Stück für 1200 Euro brutto monatlich. Er weiß, dass Auditions, also Vorspieltermine, kurzfristig abgesagt oder nur als luftiger Testballon für die Sondierung des Marktes gestartet werden. Dafür reisen Darsteller auf eigene Kosten bis ans andere Ende der Republik. Die neueste Frechheit besteht darin, dem Künstler Gebühren für Raumnutzung und Korrepetition bei der Audition aufzunötigen. Für das demütigende Procedere des Aussortiertwerdens soll er auch noch zahlen. Ein Veranstalter verpflichtet für sein Musical Orchester-Musiker aus Weißrussland, die für einen Bruchteil der Gage unterbezahlter deutscher Kollegen spielen, schlechter reisen und wohnen – in billigen Mehrbettzimmern – als der Rest des Ensembles. Nach unten gibt es keine Schamgrenzen. Das erlebte man auch über Jahre bei der Vergabe von Projektmitteln für freie Künstler in Berlin, wo Gagen in den Anträgen so zusammengestrichen wurden, dass drei bis fünf Euro pro Stunde übrig blieben, behördlich sanktioniert.
Mit Elisabeth Kulman solidarisieren sich Stars wie Edita Gruberova, Jonas Kaufmann, Thomas Moser, Marlis Petersen, Markus Brück. Aber natürlich kämpft die Sopranistin auf einem anderen, luxuriösen Niveau. Ihre Sorgen nähmen fast alle ihrer Kollegen mit Begeisterung auf sich. Auch Misstrauen keimte auf – sollen die Star-Gagen in Salzburg weiter wachsen? Elisabeth Kulman, die für Transparenz eintritt, redet auch nicht über die Höhe ihrer Abendgage, von der sie die wochenlange Probenzeit samt Hotel in Salzburg zahlen sollte. Wahrscheinlich fällt sie sehr üppig aus, im Bereich eines durchschnittlichen Künstler-Jahreseinkommens. Aber warum nicht? Warum sollen sich ausgerechnet Spitzenleute in der Kunst mit ihrem begrenzten und fragilen Limit an Lebensarbeitszeit bescheiden, während sich Banker und Manager ungenierte Wettbewerbe liefern um höchste Boni für missratene Arbeit?
Auseinanderdriftendes Gefüge
Es gibt Gründe, warum Künstler sich zurückhalten. Hohe Gagen sind in der Regel subventioniert, was die Idee einer halbwegs gerechten Verteilung nahelegt. Tatsächlich sollte da klug abgewägt werden. Überdies stehen Künstler grundsätzlich im Verdacht, Spaß zu haben bei der Arbeit, ein schwerwiegender Vorwurf. Ein Brautpaar weist die Gage seiner Hochzeitsband als zu hoch zurück, worauf der Bandchef vorschlägt: "Ruft sechs Installateure an, sie sollen Sonnabend Nacht acht Stunden in Eurem Haus arbeiten kommen. Was sie auch verlangen, wir machen es für die Hälfte." Geschenkt, dass die Ausbildung der Künstler fünf mal so lange dauert wie die der Klempner, dass jemand für so etwas Herrliches wie Singen, Musizieren oder auch Theater spielen noch Geld bekommt, wird allgemein nicht jedem zugestanden.
Selbst das ist im Grundsatz vernünftig. Lange hat sich der Profi-Markt in dem Bereich eigensinnig, aber doch irgendwie selbst geordnet. In Deutschland hilft der Staat der Kultur zudem massiv durch die Künstlersozialkasse, indem freien Künstlern der Arbeitgeberanteil für die Kranken- und Rentenkasse quasi geschenkt wird, ein unschätzbares Privileg. Dennoch driftet das Gefüge in Zeiten des frei flottierenden Kapitalismus auch hier auseinander, einfach, weil der Markt übervoll ist und die Staatsbühnen und Orchester gleichzeitig wachsenden Sparzwängen gehorchen. Die zahllosen Sänger, Tänzer, Schauspieler, Musiker, Dirigenten, Regisseure und Bühnen- und Kostümbildner, ausgebildet auf höchstem Niveau, nicht nur in Deutschland, sondern überall in der Welt, vor allem in Asien, verkraftet die stabilste Nachfrage nicht. Man muss sich nur mal anhören, was für großartige Profi-Sänger in Konzerten von Laienchören auftreten, was für multibegabte Darsteller sich für Musicals bewerben, welche Solo-Virtuosen für Orchester vorspielen – es fehlt in Deutschland an vielem, aber nicht an guten Künstlern.
Deshalb ist dieser sympathische Verein art but fair überfällig und begrüßenswert. Ob er aber mehr als moralischen Druck ausüben kann, muss bezweifelt werden. Art but fair hat leicht unscharfe, aber doch vernünftige und fordernde Regeln der Selbstverpflichtung für Arbeitgeber, Künstler und Ausbilder aufgestellt, die angemessene Gagen und Arbeitszeiten regeln. Allein, sie haben keinerlei rechtliche Bindung. Und ein Künstler dürfte im Zweifel kaum auf ein schlecht bezahltes Engagement verzichten, solange er Hoffnung auf Entdeckung hegt oder keine Alternative sieht. Auch die zu Selbstausbeutung neigenden Künstler der freien Szene würden durch angemessene Gagen um das Erlebnis des Ausprobierens gebracht. Viele Projekte fänden einfach nicht statt. Um manche wäre es bestimmt nicht schade – miese Musical-Veranstalter zahlen miese Gagen nicht zwingend aus finanzieller Not, nicht jedes freie Experiment braucht Unterstützung.
Schauspieler kann jeder sein
Schließlich sind auch Hochschullehrer durch art but fair aufgefordert, nur wirklich begabte Studenten auszubilden. Das dürfte eine der leichteren Übungen sein angesichts des internationalen Überangebots an Bewerbern. Das Problem liegt woanders. So bilden künstlerische Hochschulen in Deutschland Jahr für Jahr 2000 Profi-Musiker aus, darunter 800 Orchester-Musiker. Höchstens 150 von ihnen finden eine bezahlte Stelle in einem Orchester. Das Studium kostet den Staat 45.000 Euro, spätere Umschulung nicht inbegriffen. Gerade entsteht in Berlins Mitte für Daniel Barenboim eine Akademie zur Ausbildung von weiterem Spitzenpersonal, dazu ein eigener Konzertsaal. Aber kein Hochschullehrer wird einräumen, dass allüberall weit über Bedarf ausgebildet wird.
Am Theater ist die Situation noch bizarrer, denn Schauspieler kann jeder sein, der sich dazu erklärt. Mancher Star legt viel Wert auf sein Naturtalent, von keinerlei Ausbildung "verdorben". Doch liegt die Zahl der Profi-Schauspieler in Deutschland bei mindestens 15.000, gerade mal 2200 davon in fester Anstellung am Theater. Allein die staatlichen Schauspielschulen schicken jedes Jahr 200 erstklassig ausgebildete Spielhungrige auf die Bretter und vor die Kameras, die wachsende Zahl der Privatschulen nicht mitgerechnet. Das Angebot verleitet dazu, Künstler – und längst auch deren Lehrkräfte – zu Dumpinghonoraren zu verpflichten. Denn selbst, wer nach Tarif bezahlt wird, beginnt bei lächerlichen 1650 Euro brutto (Normalvertrag Solo) am Theater. Ein Tarif, ungetrübt von hässlich einengenden Grenzen, vielmehr erlaubt er den Einsatz nahezu rund um die Uhr. Kein Beleuchter würde sich das bieten lassen. Aber Schauspieler und das künstlerische Personal sind die letzten, die Beschwerde führen. Auch an hoch subventionierten Häusern ist es längst üblich, Assistenten jeglicher Art gesetzwidrig undotiert arbeiten zu lassen. Ihr Vertrag sieht Stillschweigen vor.
Keine Kunstpolizei
An der Komischen Oper Berlin wurden jahrelang bei hohen künstlerischen Anforderungen für die Statisten für drei Stunden Probe 18 Euro gezahlt. Jeder einzelne Tag zieht eine Anmeldung von Kranken- und Rentenversicherung mit dem zugehörigen Papierkrieg nach sich. Als das öffentlich wurde, als der Intendant wechselte, schnellte das Salär auf 20 Euro in die Höhe, das sind 6,66 Euro Stundenlohn, klar unter dem Berliner Mindestlohn von 8,50 Euro. So arbeiten die Millionen-Abnehmer von Subventionen. Der Intendant Barrie Kosky mit seinem gewaltigen künstlerischen Erfolg gehört zu den Unterzeichnern der Art-but-fair-Regeln.
Art but fair kann und will keine Kunstpolizei sein, sagt Johannes Maria Schatz, aber mehr als eine rechtsunverbindliche Selbstverpflichtung strebt er schon an: Ein Gütesiegel, wie für fair gehandelte Schokolade, aber eben für Kunst und zwar europaweit. Zusammen mit der Kulturpolitischen Gesellschaft und der Hans-Böckler-Stiftung soll eine entsprechende Studie die Voraussetzung dafür schaffen.
So ein Siegel ist mit administrativem Aufwand verbunden, mit Kosten, die ja wiederum der Kunstproduktion nicht zur Verfügung stehen, aber vermutlich ist es ein Weg, Aufmerksamkeit zu erlangen, auszusortieren, Selbstverständlichkeiten durchzusetzen. Auch für die Politik wäre ein Siegel etwas Greifbares, denn es ließe sich in Förderkriterien einbinden.
Wenn schon die Gewerkschaften der Künstler bis auf die der Orchestermusiker gemeinschaftlich versagen, bleibt dies ein Weg zur Selbsthilfe. Er verschafft Aufmerksamkeit – die Facebook-Plattform liegt inzwischen bei über 17000 Likes. Das muss ja nichts heißen, aber als Forum zum Austausch, zum Vernetzen oder einfach zur Warnung ist sie unverzichtbar. Und wenn sie nur dazu anregt, den Berufswunsch Künstler wirklich gründlich zu prüfen.
Birgit Walter war lange Jahre Redakteurin im Feuilleton der Berliner Zeitung und dort zuständig unter anderem für Kulturpolitik.
Mehr lesen? "Warum wir eine Unternehmensethik für Theater brauchen", schrieb Daniel Ris im Sommer 2013 auf nachtkritik.de. "Kreatives Prekariat" war im Februar 2014 das Thema einer Tagung in Loccum, die sich dem Verhältnis von Kulturpolitik und Künstlerexistenz widmete.
Wir bieten profunden Theaterjournalismus
Wir sprechen in Interviews und Podcasts mit wichtigen Akteur:innen. Wir begleiten viele Themen meinungsstark, langfristig und ausführlich. Das ist aufwändig und kostenintensiv, aber für uns unverzichtbar. Tragen Sie mit Ihrem Beitrag zur Qualität und Vielseitigkeit von nachtkritik.de bei.
mehr porträt & reportage
meldungen >
- 03. Mai 2024 12. Festival Politik im Freien Theater läuft 2025 in Leipzig
- 03. Mai 2024 Kleist-Preis 2024 für Sasha Marianna Salzmann
- 03. Mai 2024 Wiener Theatermacher Karl Schuster gestorben
- 03. Mai 2024 Musterklage gegen Salzburger Festspiele abgewiesen
- 30. April 2024 Ehrung für Ulrich Matthes
- 29. April 2024 Theaterneubau in Rostock begonnen
- 29. April 2024 Auszeichnung für Kurzfilmtage-Leiter Lars Henrik Gass
- 29. April 2024 Publikumspreis für "Blutbuch" beim Festival radikal jung
neueste kommentare >
-
Liveblog Theatertreffen Halbherziges Pflichtpensum
-
Liveblog Theatertreffen Schweigen unserer Generation?
-
Medienschau Theater-Challenge Es gibt auch Bielefeld
-
Liveblog Theatertreffen Eröffnung mit "Nathan"
-
Pollesch-Feier Volksbühne Antwort an #8
-
Pollesch-Feier Volksbühne Namensnennungen @rabea
-
Medienschau Theater-Challenge Echt jetzt?
-
Musterklage Salzburg Offene Frage
-
Pollesch-Abschied Volksbühne Im tiefsten Sinne Freudiges
-
Moby Dick, München Hinweis
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
als so genannte tarifmächtige Organisationen etwas erreichen - könnten. Aber sie sind einfach zu schwach. so z.B. die GDBA, die nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Einzig massenhafte Eintritte würden die Gewerkschaften wieder stärken. Aber das muss jeder für sich entscheiden.
Leider würde es für die beschriebenen Fälle nur wenig bringen, die GDBA zu stärken, bzw. nur auf sehr lange Sicht. Die im NV festgeschriebene Mindestgage gilt nur für für die ständig Beschäftigten, für Gäste ist die Gültigkeit ausdrücklich ausgeschlossen (§1 Satz 5). Also können abhängig beschäftigte Gäste (Darsteller / Dramaturgen / Assistenten) auch Gagen erhalten die geringer sind als die Mindestgage (Nach dem 1.1.15 wegen des Mindestlohns ca. 1300 EUR monatlich). Für Freiberufler, die über einen Werkvertrag beschäftigt werden gilt noch nicht einmal der Mindestlohn - da sie als Unternehmer gelten, ist ihre Gage grundsätzlich frei zu verhandeln, wobei es weder eine Unter- noch eine Obergrenze gibt.
Besonders grauenhaft ist die Tendenz, immer mehr Kollegen über Werkverträge zu beschäftigen. Auch solche die keine oder nur in besonderen Ausnahmefällen eine Chance haben in die KSK aufgenommen zu werden: Schauspieler, Assistenten, Techniker. Alles Berufe, die nach den Abgrenzungskriterien der Sozialversicherung per se abhängig beschäftigt sind. Keine KSK bedeutet nun, dass sie sich privat krankenversichern müssen, keine Anwartschaft auf Arbeitslosengeld erwerben und auch ihre Altersversorgung privat organisieren müssen.
Das zuerst sollte unterbunden werden. (Das ist übrigens nicht nur unsozial und unterläuft die Fürsorgepflicht, die ein Unternehmen für seine Mitarbeiterinnen undn Mitarbeiter hat –– vielmehr ist das schlicht und einfach Sozialversicherungsbetrug).
Anders sieht es bei den vorübergehend Angestellten aus, die auf Lohnsteuerkarte arbeiten - für sie könnte und sollte es unbedingt verbindlichere Regelungen geben. Allerdings helfen gewerkschaftliche Regelungen nichts, so lange der Markt so übervoll ist mit Arbeitswilligen, dass sich immer irgendwer findet, der den Job für weniger Geld macht, und das ist im Moment leider die Situation, wie ich sie erlebe - viele Menschen arbeiten eben doch lieber für einen Hungerlohn als gar nicht, so schlimm und letztlich auch unsolidarisch das ist.
Tragisch in dieser Hinsicht ist auch, dass meinem Erleben nach gerade in der künstlerisch schreibenden Zunft (Theater, Film, Fernsehen, soweit ich das überblicke) eine Generation heranwächst, in der viele gar nicht mehr ernsthaft damit rechnet, vom Schreiben leben zu können. Da ist Schreiben Selbstverwirklichung und wird vom Partner oder durch fachfremde Nebenjobs finanziert… Und wer nicht mehr erwartet, vom Schreiben leben zu können, arbeitet mitunter auch umsonst oder für fast kein Geld, wie soll man damit noch konkurrieren?
Nur gibt es seit Jahren eine Tendenz, dass die Arbeitsbedingungen an etablierten Theatern, bei Film und Fernsehen immer schlechter werden, für immer weniger Geld immer mehr verlangt wird - nur ein sehr, sehr kleiner Kreis der absoluten Topelite ist davon ausgenommen. Nun müssen wir uns langfristig fragen, wie lange unser Kunst- und Kulturbereich dieser Verfall von Beschäftigungsstandarts noch verträgt. Die Konsequenz ist längst ein Raubbau an künstlerischer Qualität - wenn nicht in der Spitze, so zumindest in der Breite. Das zu hinterfragen und Standarts einzufordern sollte nicht als bloßes Gejammer abgetan werden - und natürlich auch nicht als Gejammer formuliert werden.
Als ob überall da, wo Geld hinfließt auch automatisch Kunst zu vermuten sei.
Aber immer wieder schön zu erleben, wie sich auch Kunstbeflissene in einfache Welten retten wollen.
Der eigentliche Skandal ist der: In einem Land, in dem die Zuschüsse für Kunst höher sind als in jedem anderen, sind ein Großteil der Künstler, die diese Kunst machen, am schlechtesten bezahlt. In Berlin ist das Dilemma am allerdeutlichsten: der Kulturetat von Berlin liegt über 400 Mio €, die Zuschüsse des Bundes für Projekte in Berlin ist etwa genau so hoch, und trotzdem sind die Arbeitsbedingungn für viele Künstler in den Betrieben und für (selbst anerkannte) Künstler in der freien Szene grausig. Das zu ändern ist meiner Meinung nach die Aufgabe der Öffentlichen Hand (nicht durch mehr Zuschüsse, aber durch bessere Auflagen) genauso wie die der Theater selber - eine Gehaltsschere, wie sie in Theatern herrscht, würde in so ziemlich jeder anderen Branche zum Aufstand führen...
Sie haben Recht! Nicht alles, was gefördert wird, erreicht die gewünschte Qualität. Und nicht jeder Theaterschaffende ist ein Ausnahmekünstler. Aber darum sollte es auch nicht gehen, denn das Eingehen von Risiken und damit das Inkaufnehmen eines möglichen Scheiterns sollte möglich bleiben. Nein, ist vielmehr die Voraussetzung, um überhaupt zu so etwas wie Qualität zu kommen. Nun gut, die selbstkritische Analyse der eigenen Arbeit gehört nicht zu den Stärken der Theaterschaffenden, die hyperkritische Analyse der Arbeit aller anderen schon.
Aber was mich wirklich an dieser Diskussion verzweifeln lässt ist der weitgehend unwidersprochene Neoliberalismus einiger Beiträge. "Die Gagen sind so schlecht, weil die Theaterschaffenden so schlecht sind, und das Personalangebot so groß. Wer was kann, wird gute Gagen erhalten. Der Markt regelt das schon."
Nur gibt es im Theater (jedenfalls in den institutionalisierten Häusern) keinen freien Markt, denn die Gehälter der allermeisten Angestellten ist tarifvertraglich geregelt, die Kartenpreise werden weitgehend politisch festgelegt, die zu erreichenden Einnahmen richten sich nicht nach der Nachfrage, sondern sind ebenso politisch festgelegt etc. Die "Freiheit" des "Unternehmers" ist generell eingeschränkt, denn die Theater sollen einen bestimmten Zweck erfüllen, dafür gibt es die öffentliche Finanzierung, die das Risiko des unternehmerischen Scheiterns weitgehend ausschließt. Allein die "Gäste" unterliegen einer wirklich freien Gagenverhandlung, und es ist ernsthaft naiv zu glauben, dass ein "besserer" Schauspieler eine höhere Gage verhandelt, als ein "schlechterer", insgesamt versuchen die Theater hier so weit es geht Personalkosten zu reduzieren - das ist ein Grund, warum in den vergangenen Jahren die Ensembles kleiner wurden und die Zahl der Gäste gestiegen ist. Und die Theater nehmen billigend in Kauf, damit Kolleginnen und Kollegen in prekäre Erwebssituationen zu zwingen - sie haben sich von der Verantwortung eines Arbeitgebers für seine Mitarbeiter verabschiedet, sofern es im Theater diese Verantwortung jemals gab.
Diese Situation ist über Jahrzehnte eingeübt, und es gibt wenig Initiative daran etwas zu verändern. Es gäbe meines Erachtens zwei politische Möglichkeit, daran etwas zu ändern: man sollte Theater und Gruppen, die öffentliche Mittel erhalten, zu Einhaltung bestimmter Standards zwingen. Und man sollte den (bzw. einen reformierten) NV für allgemeinverbindlich erklären, und so wenigstens dafür sorgen, dass alle Kolleginnen und Kollegen die Mindestgage erhalten.
Ich antizipiere gern das Totschlagargument: "Dann wird es weniger Produktionen geben." Das kann sein, aber vielleicht auch weniger arbeitende Theaterschaffende, die ihr Leben am oder unterhalb des Existenzminimums bestreiten müssen.
@23
Als Sänger sind sie abhängig beschäftigt: der Regieassistent sagt ihnen während der Proben wann sie wo zu arbeiten haben, der Regisseur sagt ihnen, was sie zu tun haben, der Dirigent sagt ihnen, wie sie zu singen haben, die Arbeitskleidung (Kostüm) und das Arbeitsmaterial (Bühnenbild, Requisiten) werden gestellt, das Theater legt die Zahl und die Zeit der Vorstellungen fest. Sorry, egal wie sehr sie sich als "freier" Künstler fühlen, sie sind Arbeitnehmer im Sinne der Sozialversicherung. Alles andere ist Sozialversicherungsbetrug, und für die nicht gezahlten Beiträge haftet allein das Opernhaus.
Es gibt zwei Ausnahmen: sie springen ein (keine regelmäßigen Proben, wenige Vorstellungen) oder sie können nachweisen, dass sie aufgrund ihres Status' ihre Arbeitszeit völlig frei wählen können und keinerlei Anweisungen unterliegen (allerdings müssten sie dafür schon Netrebko heißen).
Falls sie Assistent, Inspizient, Souffleur, Korrepetitor etc. sind, gilt das gleiche.
@24
Genau!
Wer zudem glaubt, Talent sei heute noch ein Garant für Erfolg glaubt auch an den Osterhasen.
Man sollte ernsthaft darüber nachdenken, ob ein permanentes wegsparen von Stellen und Möglichkeiten, bei gleichzeitigem steten Ausbau der Ausbildungsstätten nicht vielleicht ein typisch neoliberales Phänomen darstellt.
Dann werden Kreativcluster gegründet..an denen letztlich nur die Immobilenmakler verdienen.Da werden dann Konzerthäuser irgendwann mal fertig...nur leider gibt es keine Orchester mehr.Die Intendantenkonferenz diskutiert dann, wie man ganz ohne KünstlerInnen die Läden noch am laufen halten kann.So lange die Theater sich unkritisch dem neoliberalen Diktum ergeben, wird sich nichts ändern..Es kann nur schlimmer werden.
2.) Es wird auch für begabte Leute "eng", weil einfach wenig Geld da ist. Beispiel: Ein Sender sagt einer Autorin, man könne nur maximal ein Hörspiel von ihr abkaufen, es seien fünfzig Prozent der Sendeplätze weg gefallen, und die gelte es nun, unter allen Autoren halbwegs zu verteilen, da könne man nicht immer dieselben senden. Ein Regisseur berichtet, jeden Tag 70 Minuten hin und zurück zu seinem Wohnort zu fahren, weil keine Übernachtung mehr gezahlt wird. Beide Berichte stammen übrigens von "Preisträgern" (unzählige Bsp. mehr auf Lager).
3.) Die Initiative "art but fair" hat zum Glück die sehr bekannte Sopranistin Elisabeth Kulmann in der Anfangszeit als "Zugpferd" gehabt. Vielleicht zerstreuen ihre Berichte darüber, dass z.B. keine Probenpauschalen mehr gezahlt werden, was bedeutet, dass sie de facto "Minus macht", wenn sie krank werden sollte und nicht auftreten kann etc. die Bedenken, es handle sich nur um "Gejammer" von Menschen, deren Talent leider nicht ausgereicht hat.
Die Pendelei sollte nur was zu den Arbeitsbedingungen "zeigen", die ja auch eine Rolle spielen. Wie auch zu beobachten war: 1 Tag Wortaufnahmen gestrichen, keine Regie-Assistentin im Raum, der Regisseur pendelt nicht nur hin und her, sondern übernimmt auch diese Aufgaben. Und er steht nicht am Anfang, hat Etliches "vorzuweisen". Es stellt sich aber die Frage, wie man auf Dauer immer qualitativ hochwertig sein soll, wenn die Umstände des Produzierens immer schlimmer werden. Zurecht muss der Hörer beim Anhören eines Hörspiels / Features nicht wissen, wie die waren - aber bei einer Debatte über Arbeitsbedingungen / Honorare / und der Frage, ob die Künstler zu schlecht seien, sollten diese Aspekte berücksichtigt werden.
Die Gesamteinnahmen der öffentlichen Theater haben sich von umgerechnet 1,723 Mrd. Euro (Spielzeit 1990/1991) auf 2,723 Mrd. Euro (Spielzeit 2011/12) erhöht. Eine Steigerung um 58%. Die Inflation stieg gleichzeitig um 49%, das ist immer noch ein angenehmes Plus.
Im gleichen Zeitraum blieben aber die Personalausgaben für Solisten nahezu identisch: 1989/90 standen 1.945 Darsteller für Personalkosten in Höhe von 87,4 Mio. Euro auf der Bühne. 2011/12 waren es 1.989 Darsteller für 87,1 Mill Euro. Das heißt: Angesichts der besagten Inflation von 49 %
wurden den Schauspielerinnen und Schauspielern die Gehälter real halbiert.
Hier kann man alles ganz genau nachlesen: http://www.boell.de/sites/default/files/endf_brennen-ohne-kohle_v03_kommentierbar.pdf
Diese fatale Entwicklung war nur möglich, weil die Schauspielerinnen und Schauspieler - im Gegensatz zu den Orchestermusikern - nach wie vor die naive Vorstellung haben, sie könnten ihre Gagen allein verhandeln.
Reden/schreiben darüber allein hilft leider nichts. Man muss aktiv werden und zusammenstehen. Bitte treten Sie art but fair als Mitglied bei. Oder werden Sie Gewerkschaftsmitglied. Oder kämpfen Sie in einem Landesverband der Freien Theater oder im BFFS für das Ziel, den Künstlern wieder angemessene Vergütungen zu ermöglichen.
Vor allem Ihre Begründung "sagt Ihnen..." ist hanebüchen.
Dann wäre auch ein Maler angestellt, wenn ich ihm sage, er solle meine Wand gelb und nicht weiß streichen.
Leider ist die rechtliche Kompetenz an Theatern oft noch geringer, als was Sie hier darstellen.
Grundsätzlich natürlich richtig, Rechtsberatung sollte man dem Anwalt überlassen, aber: Die Ausführungen in #25 sind soweit schon zutreffend. Auch im Falle Ihres Beispiels mit dem Maler: Wenn ich einen Maler beauftrage, kann ich sehr wohl Art und Umfang der zu erbringenden Leistung bestimmen, das heißt aber nicht, dass ich dem Maler oder seinen Angestellten gegenüber weisungsberechtigt bin bei der Ausführung dieser Leistung. Z.B. kann ich nicht dem Gehilfen des Malers die Anweisung geben, hoch auf die Leiter zu klettern und die Decke zu streichen. Umgekehrt hafte ich auch nicht, wenn der Gehilfe z.B. übermüdet von der Leiter fällt. Im Falle, dass ich einen Maler in einem Angestelltenverhältnis beschäftige, bin ich weisungsberechtigt und hafte, wenn mein Angestellter Mist baut. Hier liegt der Unterschied zwischen einer selbstständigen Tätigkeit (mit der ich ein Unternehmen/einen Unternehmer/einen Freiberufler beschäftige, die nicht sozialversicherungspflichtig ist) und einem Angestelltenverhältnis, das der normalen Sozialversicherungspflicht unterliegt. Nach diesem Kriterium geht die KSK vor, was die Feststellung der Versicherungspflicht angeht: Von der KSK versichert werden selbstständige Regisseure, die (per Definitionen der KSK) zwar von ihrem Auftraggeber Art und Umfang der zu erbringenden Leistung vorgegeben bekommen, in der konkreten Ausgestaltung aber frei sind. Inwieweit das der tatsächlichen Arbeitsrealität entspricht, sei dahingestellt, mir persönlich leuchtet diese Regelung z.B. bei freiberuflichen Autoren, die ja in der Tat in Ausführung ihrer Arbeit relativ frei sind, weit mehr ein als bei Regisseuren. Nichtsdestoweniger ist es die Rechtslage. Lieber Gastarbeiter, ich würde mich in puncto Feststellung der rechtlichen Kompetenz anderer nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Freundliche Grüße!
Mein Beitrag war sicherlich nicht als Rechtsberatung gemeint, und im Zweifelsfall muss ein Steuerberater oder ein Anwalt hinzugezogen werden. Allerdings bleibe ich bei meiner Ansicht, dass es nicht besonders viele Zweifelsfälle geben kann. Die Rentenversicherung hat eine umfangreiche Einschätzung veröffentlicht, in der bestimmt wird, welche Tätigkeit als freiberuflich anzusehen ist und welche nicht.
Unstrittig freiberuflich arbeiten in einem Theaterbetrieb folgende Gäste, sofern sie für eine bestimmte Produktion tätig sind: Dirigenten, Regisseure, Choreografen, Bühnenbildner, Kostümbildner, Komponisten, Arrangeure, Librettisten, Textdichter sofern sie für eine bestimmte Produktion tätig sind.
Für andere Künstler gilt folgendes:
"Abgrenzungskatalog für im Bereich Theater, Orchester, Rundfunk- und Fernsehanbieter, Film- und Fernsehproduktionen tätige Personen
(...)
2.Tätigkeit bei Theaterunternehmen oder Orchesterträgern
2.1 Spielzeitverpflichtete Künstler
Künstler und Angehörige von verwandten Berufen, die auf Spielzeit- oder Teilspielzeitvertrag an- gestellt sind, sind in den Theaterbetrieb eingegliedert und damit abhängig beschäftigt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Künstler gleichzeitig eine Gastspielverpflichtung bei einem anderen Unter- nehmen eingegangen ist.
2.2 Gastspielverpflichtete Künstler
Gastspielverpflichtete Schauspieler, Sänger, Tänzer und andere Künstler (einschließlich Kleindarsteller und Statisten) sind in den Theaterbetrieb eingegliedert und daher grundsätzlich abhängig beschäftigt. Eine selbständige Tätigkeit ist bei Vorliegen eines Gastspielvertrages ausnahmsweise bei einem Schauspieler, Sänger (Solo), Tänzer (Solo) und Instrumentalsolisten dann anzunehmen, wenn er aufgrund seiner hervorragenden künstlerischen Stellung maßgeblich zum künstlerischen Erfolg einer Aufführung beizutragen verspricht und wenn nach dem jeweiligen Gastspielvertrag nur wenige Vorstellungen vereinbart sind. Hierunter sind in erster Linie Gastspiele zu verstehen, denen eine herausragende künstlerische Stellung zukommt, d. h., Künstler mit über- regionaler künstlerischer Wertschätzung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit, die in der Lage sind, ihre Bedingungen dem Vertragspartner gegenüber durchzusetzen. Allerdings kann eine regelmäßige Probenverpflichtung als Indiz gegen eine selbständige Tätigkeit gewertet werden.
(...)
Gastspielverpflichtete Künstler einschließlich der Instrumentalsolisten sind selbständig, wenn sie an einer nur gelegentlich aufgeführten konzertanten Opernaufführung, einem Oratorium, Lieder- abend oder dergleichen mitwirken.
Orchesteraushilfen sind ausnahmsweise selbständig tätig, wenn sie ohne Verpflichtung für den allgemeinen Dienst (z.B. keine regelmäßige Probenverpflichtung) bestimmte musikalische Aufgaben übernehmen und sich dadurch von den fest angestellten Orchestermitgliedern erheblich unterscheiden. Schauspieler, (Chor-) Sänger und Tänzer, die als Aushilfen tätig werden, sind grundsätzlich als abhängig Beschäftigte anzusehen."
Link: http://www.deutsche-rentenversicherung.de/cae/servlet/contentblob/205766/publicationFile/1616/april_top1_rs_selbstaendigkeit_anlage1.pdf
@Klaus M. Ein Steuerberater darf in diesen Angelegenheiten nicht beraten.
Der Abgrenzungskatalog ist in der rechtlichen Grauzonenangelegenheit selbstverständlich ein Hilfsmittel, war aber in meiner Praxis 50% der Theater nicht bekannt (sic!!!). In einem Fall bestand das Theater darauf, den Text des Katalogs bewußt flasch zu zitieren. Soviel zur Kompetenz der Theater. Obwohl es langsam besser zu werden scheint.
Der Abgrenzungskatalog läßt aber viele Fragen offen, ist in sich widersprüchlich, und widerspricht in vielen Fällen dem allgemeinen Sozial- bzw. sonst anwendbaren höheren Recht. Der Abgrenzungskatalog ist darüber hinaus in keinster Weise Gesetz, sondern letztlich die Meinungsäußerung der Sozialversicherer, also der "Gegen"partei, die im Zweifelsfall selbstredend so viele Beiträge wie möglich einzusammeln Interesse hat. Sollte man also dringend mit der Gesetzeslage hinterfragen, bevor man sich dem zu seinen Ungunsten beugt.
Abschließend ist aus meiner Praxis anzumerken, dass viele Theater schon allein aus Rechtsunkenntnis oder -unsicherheit gerne einfach alles und jedes auf Verdacht als abhängig angestellt abrechnen. Ist das einfachste, die Ämter beschweren sich natürlich nicht über zuviel gezahlte Sozialbeträge, und der Künstler wird sich nicht beschweren, der ist ja froh, dass er überhaupt arbeiten darf. Und die unnötig verschwendeten Arbeitgeberanteile sind ja nur Steuergelder. Obwohl man das auch Veruntreuung nennen könnte.
Ich muss Ihnen recht geben, wenn Sie ausführen, dass es in den Theatern nur begrenzte juristische Kompetenzen gibt. Allerdings muss ich diese Aussage gleich präzisieren: den vor allem Intendanten (und evtl. Betriebsdirektoren) fehlen oft die notwendigen Kenntnisse, um die Konsequenzen ihrer Handlungen und die Folgen von Verträgen abzusehen. Beispiele gab es in den vergangenen Monaten genug. Das Problem wird weiterbestehen, so lange das Findungskommissionen Kandidaten auswählen, die zwar über die künstlerischen Kompetenzen zur Leitung eines Theaterbetriebs verfügen, nicht aber über das Wissen und die Fähigkeiten, die für die Führung eines mittelständischen Betriebs mit evtl mehreren hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern notwendig ist.
Diese Wissenslücke auf Seiten der Kunst muss nun durch die Kolleginnen und Kollegen der Verwaltung geschlossen werden. Und auch wenn hier die notwendige Sachkenntnis vorhanden ist, braucht es immer noch einen Intendanten oder eine Intendantin, der/die bereit ist, diesen Vorgaben zu folgen (und damit anzuerkennen, dass ihm oder ihr bestimmtes Wissen fehlt).
Nicht einverstanden bin ich mit Ihrer These, dass es für die Theater einfacher ist, Künstler als abhängig beschäftigt zu führen, und deshalb Darstellerinnen und Darsteller nicht als Honorarkräfte angestellt werden. Und das aus zwei gründen: erstens ist der Aufwand für die Personalabteilungen bei abhängig Beschäftigten ungleich höher (Personalakte ist zu führen, Meldungen an die Sozialversicherung sind abzugeben, Steuerabzug vom Gehalt ist vorzunehmen und abzuführen etc.) und zweitens sind abhängig Beschäftigte für ein Theater ungleich teurer (Lohnnebenkosten von etwa 25% statt 5,2% Pauschalabgabe an die KSK).
Nebenbei stellt für die Theater der von ihnen angezweifelte Abgrenzungskatalog ein Risiko dar, denn die Sozialversicherung prüft die Betriebe alle vier Jahre - und nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge zahlt allein der Betrieb (Arbeitgeberanteil und Arbeitnehmeranteil) falls Täuschungsabsicht nachzuweisen ist, kann darüberhinaus Geld- oder Gefängnisstrafe drohen. Das bayrische Finanzministerium veröffentlich regelmäßig "Steuertipps für Künstler" und folgt bei der Abgrenzung zwischen freiberuflicher Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung dem Abgrenzungskatalog der Sozialversicherung.
http://www.bestellen.bayern.de/application/stmug_app000017?SID=1205157798&ACTIONxSESSxSHOWPIC(BILDxKEY:06003010,BILDxCLASS:Artikel,BILDxTYPE:PDF)
Und für Darstellerinnen und Darsteller sind die Aussagen im Abgrenzungskatalog meines Erachtens sehr klar. Auch wenn ich versuche Ihren Gedanken zu Folgen, ich sehe weder die Widersprüche im Text, noch wüsste ich wo dieser Abgrenzungskatalog der aktuellen Gesetzeslage widerspricht. Aber bevor wir uns hier das EStG, das SGB und das UStG um die Ohren hauen, verständigen wir uns doch einfach darauf, dass wir unterschiedlicher Meinung sind.
http://www.finanzamt.bayern.de/Informationen/Steuerinfos/Zielgruppen/Kuenstler/default.php?f=muenchen&c=n&d=x&t=x
Jedenfalls wäre ein Künstler im Zweifelsfall sicher nicht schlecht beraten, auch dazu seinen Anwalt zu konsultieren.
Viel schwerwiegender scheint mir, dass allzu oft noch nicht mal dieser Mindeststandard von abrechnenden Theatern in Erwägung gezogen wird. Ein befreundeter Dirigent berichtet mir, dass er in 9 Fällen eindeutiger unabhängiger Projekttätigkeit 8 Mal zu Unrecht als Angestellter abgerechnet werden sollte. Dabei war 6 Mal der Abgrenzungskatalog den zuständigen Personen unbekannt (sic!), einmal bestand man darauf ihn mit verändertem (und sinnverkehrendem) Wortlaut falsch zu zitieren, und einmal bestand das Theater auf jahrelangem "das mache wir immer so" ohne weitere Begründung (dasselbe verweigerte die Bezahlung komplett und verlor nach 2 Jahren die rechtliche Auseinandersetzung).
Ich fürchte, dies belegt die oft anzutreffende rechtliche Inkompetenz einer ganzen Reihe von Theatern fürs erste.
Nach Aussagen meines Anwalts ist auch das weit verbreitete Gerücht falsch, Theater müssten alle Abgaben allein tragen, wenn sie einmal eine Beschäftigung zu unrecht als unabhängig abgerechnet hätten, das ist bis zu 4 Jahre revidierbar.
Im übrigen auch für den Künstler. Da sollte manch einer vielleicht seine Abrechnungen nochmal überprüfen.
Und lieber Klaus M., sie sehen keine Widersprüche? Einer fällt mir gerade ein:
Nach Gesetz ist eine Tätigkeit etwa eines Schauspielers, der keine Urlaubsvergütung erhält, und keine Gage, wenn er krank ist, eindeutig unabhängig. Der Katalog ignoriert das.
Herzliche Grüße