Factory für die Theaterkunst

15. August 2023. Kay Voges hat sich in Köln als neuer Intendant ab 2025/26 vorgestellt. Mit Rockstar-Pilotensonnenbrille, die er fürs Podium flink noch abnahm. Er kommt mit reichlich Vorschusslorbeeren. Als geeigneter Mann. Am Ende eines Auswahlverfahrens, das Fragen aufwirft.

Von Dorothea Marcus

Theatermacher Kay Voges © Lukas Beck / lukasbeck.com

15. August 2023. So begeistert geschwärmt hat wohl noch niemand von jenem hochnotpeinlichen Millionengrab, als das die Baustelle des Kölner Schauspielhauses in der Innenstadt am Offenbachplatz seit nunmehr rund zehn Jahren gilt: eine der "Top-Bühnen Europas" entstehe dort, viele Regisseure würden "schreien, um dort arbeiten zu dürfen", die technischen Möglichkeiten vor Ort seien überwältigend, sagt Kay Voges, als er sich im Muschelsaal des Kölner Rathauses neben Oberbürgermeisterin Henriette Reker und dem Kulturdezernenten Stefan Charles als Kölns neuer Schauspielintendant vorstellt, ganz in Schwarz gekleidet, die Rockstar-Pilotensonnenbrille hat er vorher noch abgesetzt.

Natürlich, das Loben und Preisen der neuen Dienststelle gehört zum Geschäft, wenn man gerade einen begehrten Topjob im städtischen Kulturbetrieb erhalten hat. Aber Voges kommt sympathisch und glaubwürdig rüber, als er vom Baustellenrundgang erzählt, den er gestern noch unternommen hat, davon, dass er Herzklopfen habe an diesem heutigen "großen Tag", davon, wie glücklich er sei, in das Rheinland zurückzukehren – und dass der Rhein in ihm einfach größere Gefühle auslöse als die Donau. Einem Karnevalslied-Contest würde er sich stellen, sagt er.

"Leiter der Kommunikation" am Rhein

In Wien, wo Kay Voges Volkstheater-Vertrag eigentlich passgenau 2025 zum Kölner Intendanzbeginn ausläuft, werde er jetzt zwar noch zwei Jahre lang ein großes Feuerwerk entzünden – doch die Verlockungen der Kölner Intendanz und der Heimat seien einfach zu groß gewesen. Möglichen Vorwürfen, er sei ja eigentlich zu weiß, zu männlich und zu wenig kollektiv unterwegs, kommt Kay Voges zuvor: Als großen "Teamplayer" definiert er sich, und holt Mirjam Beck, die künftige stellvertretende Intendantin, und Alexander Kerlin, künftigen Chefdramaturgen, neben sich ans Mikro, mit beiden arbeitet er schon seit vielen Jahren zusammen.

Voges sieht sich als Intendant vor allem als "Leiter der Kommunikation", nach innen wie nach außen. Das Kölner Schauspiel solle nun ein "Ort der Resonanz, der offenen Räume und Türen, des Partizipierens, Reflektierens, Feierns und Erlebens" werden, ein Ort der Suche, eine "Factory der Theaterkunst". Er wolle Oper, klassisches Theater, Performance, Wissenschaft und Kunst zusammenführen und tiefe Kooperationen mit der Stadtgesellschaft eingehen – etwa der Kunsthochschule der Medien, aber auch lokalen Gruppen der Zivilgesellschaft. Und natürlich auch gerne mit der Dortmunder Akademie für Digitalität und Theater, die nun wieder ganz nah rückt (er hatte sie 2019 als damaliger Dortmunder Schauspielleiter noch mitgegründet).

Natürlich solle das Kölner Schauspiel ebenso ein Ort des progressiven Europas, der internationalen Ausstrahlung und Verbindung sein. Mit seinem Vorgänger Stefan Bachmann habe er gestern noch zu Abend gegessen, mit dem Interimsintendanten Rafael Sanchez telefoniert: Beide hätten ihm volle Unterstützung bei der Übernahme des Hauses zugesagt.

Der geeignete Mann

Nach nur 45 Minuten und drei zahmen Fragen ist die Pressekonferenz vorbei, Erleichterung spürbar – vor vier Jahren hatte es am gleichen Ort noch einen Eklat gegeben. Damals wurde Carl Philipp von Maldeghem als neuer Intendant vorgestellt – und schon an den Fragen aus dem Raum hörte man damals das ungläubige Staunen, weil der Mann vom Landestheater Salzburg als künstlerisch nicht schwergewichtig genug empfunden wurde. Nach vielen Protesten und einer Kampagne des Kölner Stadt-Anzeigers trat er wenig später zurück, und Bachmann erklärte sich bereit, doch als Intendant weiter zu machen – 2024 geht er nun ans Wiener Burgtheater. Also alles perfekt im Kölner Kulturbetrieb?

PK Voges Intendanz Koeln Pressestelle Stadt KoelnAuf der Pressekonferenz: Stefan Charles (Beigeordneter für Kunst und Kultur der Stadt Köln), Mirjam Beck (stv. Intendantin), Kay Voges, Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Alexander Kerlin (Chefdramaturg). © Pressestelle Stadt Köln

So gut wie Kay Voges tatsächlich zu Köln zu passen scheint, so künstlerisch spannend das Programm auch werden wird – so unbefriedigend, intransparent und gestrig ist die Art und Weise des Auswahlverfahrens doch gewesen. Denn Voges ist eben doch auch wieder jener genialische männliche Künstlertypus, der am Ende gewinnt, weil er als einfachste und naheliegendste Lösung mit der größten Strahlkraft erscheint.

"Es gebe keine geeigneten Frauen im Bewerberfeld", sagte Kulturdezernent Stefan Charles kürzlich noch auf einer Podiumsdiskussion – was definitiv nicht stimmt, ich weiß von mindestens vier spannenden Bewerberinnen. Am ärgerlichsten an dieser Wahl ist nicht, was am Ende herausgekommen ist – Kay Voges ist eine sehr gute Wahl (übrigens soll er vor vier Jahren auch schon im Schlussrennen um die Intendanz gewesen sein).

Procedere wie bei der Papstwahl

Doch warum sollte das Verfahren geheim gehalten werden wie eine Papstwahl? Warum war die Findungskommission, die sich auf öffentlichen Druck outete – Topgirls wie Karin Beier vom Hamburger Schauspielhaus und Kathrin Mädler vom Theater Oberhausen sowie erfahrene Strippenzieher wie Ulrich Khuon können nicht irren – so gar nicht divers besetzt? Warum hatte das Schauspielensemble, das so viel Hin und Her mitgemacht hat, gar keine Stimme? Dass er mit allen Schauspielern sprechen will, hat Kay Voges zugesichert – ob alle bleiben dürfen, ist keineswegs ausgemacht.

Warum hat Kulturdezernent Stefan Charles eine kulturferne Headhunter-Firma mit der Imtendanzsuche beauftragt – während er doch auch das Ensemble-Netzwerk und seine Expertise hätte befragen können? Immerhin zeigte man sich in Köln lernfähig, wurde auf öffentlichen Druck mehr Transparenz zugelassen. Doch die Tatsache, dass die Besetzung kultureller Machtpositionen heute besser gestaltet werden sollte, scheint nicht verstanden worden zu sein – gerade läuft im Stadtmuseum Köln erneut eine blamable Leitungssuche.

Offen und verrückt genug

Wie gerne denke ich noch an die grandiose "Borderline Prozession" zurück, mit der wir – ich war damals in der Jury – 2017 Kay Voges erstmals zum Berliner Theatertreffen einluden: eine rauschhafte Reise durch das menschliche, fragmentierte Bewusstsein im digitalen Zeitalter. Oder an Voges' Einladung des Zentrums für Politische Schönheit nach Dortmund: die gesamte Stadtbevölkerung war alarmiert, weil angeblich Zwergagutis aus dem Zoo entführt wurden und ein Jaguarbaby getötet werden sollte.

Ob der Grenzgänger und große Experimentierfreund Kay Voges mit seinem politischen Ansatz, dem trashigen Mash-Up-Theater, dem Einsatz von Video, Zitaten-Gewitter und Dauerloops aber auch beim doch recht konservativen Kölner Stadtpublikum ankommen wird? Wir werden sehen. In jedem Fall hat er künstlerische Kraft, Format, Energie und Teamgeist, ist lernfähig, offen und verrückt genug. Platz also der Erleichterung und Vorfreude.

 

Marcus Dorothea Niklas BergDorothea Marcus, Jahrgang 1969, Studium der Germanistik, Geschichte und Theaterwissenschaften in Berlin. Seit 1999 freie Kulturjournalistin für Print und Hörfunk in Köln, früher Freiburg. Lieblingsthemen: Kulturpolitik, internationales Theater, Mittlerer Osten / Israel / Frankreich. Sie publiziert unter anderem. für DLF, WDR, Theater Heute, taz und ist Mitglied mehrerer Theaterjurys.

(Foto: Niklas Berg)

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Kommentare  
Kommentar Kay Voges: Wissenschaft und Kunst
Was ist denn damit gemeint, wenn es heißt, er "wolle Wissenschaft und Kunst zusammenführen"? Macht neugierig.
Kommentar Kay Voges: Finden Kritiker*innen toll
Der Mann hat in Wien ein großes Theater ruiniert. Gut, eine Vorstellung wurde zum Theatertreffen eingeladen, sonst aber viel das Haus vor allem dadurch auf, dass nicht gespielt wurde. Durchschnittlich 8 Aufführungen im Monat in der letzten Saison - und trotzdem das schlechtest besuchte Haus in Wien. Gut, Auslastung ist nicht alles, aber welchen Sinn macht es, einem Mann, der kein großes Haus füllen kann, ein großes Haus zu geben. Offensichtlich finden Kritiker*innen seine Visionen toller, als die Zuschauer*innen. Das Publikum hat zumindest mit den Beinen abgestimmt. In Wien trauert ihm niemand nach - außer vielleicht ein paar Kritiker*innen.
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