Presseschau vom 3. September 2010 - Anna Bergmann spricht in der SZ über die Probleme junger Regisseure im deutschen Stadttheatersystem
Aufschrei nach mehr Anarchie
3. September 2010. In der Süddeutschen Zeitung spricht die Regisseurin Anna Bergmann, "erfolgreich, umworben, professionell gemanagt", kritisch Klartext über das durchkonventionalisierte Stadttheater. "Nehmen Sie meine Inszenierung Bunbury vom Thalia Theater, die zum Festival Radikal jung nach München eingeladen wurde", beginnt sie das Interview mit Vasco Boenisch, "eine Scheiß-Inszenierung. Warum wird gerade die eingeladen? Ich habe große Stücke in der Provinz inszeniert, aber nie ist irgendjemand von einem größeren Haus angereist und hat sich eine Arbeit von mir angeschaut. Es werden immer nur die gleichen großen Eckpfeiler Deutschlands abgeklappert. Und daraus soll sich der Regienachwuchs entwickeln?"
Hingeschmissen hatte sie nicht, aus Angst, was daraus folgen könnte. "Heute frage ich mich, ob das nicht besser gewesen wäre. Diese Premiere hat gegen mein Herz, gegen alles, an was ich glaube, stattgefunden. Aber Tom Stromberg meinte damals auch: Zieh es durch. Und es war ja schließlich auch ein Erfolg."
Dass es jetzt auch für Theaterregisseure Manager gibt, sei eine neue Entwicklung. "Aber auch eine sinnvolle. Ich sage ganz ehrlich: Ich habe viel weniger verdient, bevor Tom Stromberg meine Verträge verhandelt hat, weil man als Frau immer ein paar tausend Euro weniger bekommt – für den gleichen Job, mit der gleichen Berufserfahrung."
Dass sie bei der Akkord-Produktion am Theater selbst mitmache, in der vergangenen Spielzeit hat sie fünf Inszenierungen erarbeitet, das tue sie nie wieder. "Denn ich merke, das funktioniert nicht, wenn man ein Stück nach dem anderen raushaut. Da wirst du blöd. (...) Natürlich leidet die Qualität, wenn man so viel inszeniert. Vielleicht nicht bei allen, bei mir schon. Allein bei 'Leonce und Lena' in Bochum könnte ich Ihnen zwanzig Sachen aufzählen, die ich mit mehr Zeit und mehr Vorbereitung besser hingekriegt hätte."
Ganz oft sei es so, dass einen die Intendanten, die einen engagieren, doch gar nicht kennen. "So ein Gespräch über Ideale und Interessen, wie wir es hier jetzt führen, das findet mit einer Theaterleitung selten bis nie statt." Zuletzt am Gorki Theater dachte man, okay, fragen wir mal die Anna. "Es lief rein über persönliche Kontakte. Armin Petras, der Chef vom Gorki, hätte sich nie eine Inszenierung von mir angeguckt. Er hat von mir 'Lulu' auf Video gesehen, und das wahrscheinlich auch noch mit Vorspultaste. Das können Sie ruhig schreiben."
Ihr Fazit: "Es wird zu viel geplant, durchgerechnet, strategisch ausbalanciert. Es bräuchte mehr Anarchie, mehr Sich-zur-Disposition-Stellen. Wenn nur noch Finanzbosse und Verwaltungsexperten die Häuser führen statt Künstler, wird das Theater langweilig und berechenbar (...) Und früher gab es jedenfalls weniger Leute, die 'Künstler' werden wollten, weil es Mode ist. Es gab weniger Regieschulen, die ständig Nachwuchs liefern, dem man sagen kann: Du, mach mal für 4000 Euro diese Inszenierung. Es gab nicht den permanenten Drang nach Uraufführungen: Junge Regisseure, macht das bitte, das bringt uns Publikum und Presse. Und es gab dieses Ethos von Leuten wie Klaus Michael Grüber, der sagte: Ich bin ein großer Romantiker, ich stehe dazu, und wenn ihr mich hier nicht sehen wollt, gehe ich ins Ausland."
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Das Ganze dann feststellen, nachdem es einem in den Spielzeitferien mal gelungen ist, so etwas ähnliches wie "Abstand zum Stadttheaterbetrieb" zu entwickeln. Sich dann mit der SZ treffen und die Schuld den Theatern in die Schuhe schieben...
Das klingt mehr nach der Ego-Kränkung einer etwas zu naiven Regiestudentin als nach einer geschäftserfahrenen Regisseurin, die im Stande ist die sicherlich absurden Gesetzmäßigkeiten des Theatermarktes – so muss man ihn nennen - zu bearbeiten oder zu verändern.
Oder um es mal einfacher auszudrücken - ein kleiner Tipp: Alles, was Frau Bergmann in dem Interview beschreibt, sind doch wunderbare Themen für eine Inszenierung. Da braucht sie gar nicht in die USA reisen, um zu recherchieren. Die Wut, die sie ja scheinbar mit sich herumträgt, einfach mal in die eigene Arbeit mitnehmen und diese Geschichten mal erzählen. Das sind dann zwar voraussichtlich keine aufregend neuen Beobachtungen oder Perspektiven - da gab's ja schon so einige, die sich mit der Ohnmacht des Individuums im Kapitalismus auseinandergesetzt haben - aber zur Steigerung des eigenen Wohlbefindens im Beruf, das scheint ihr Problem zu sein, würde dies allemal dienen.
Kurzum: Kritik auf die Bühne, nicht in die Zeitung!
Zur Anarchie habe ich ja gestern schon was geschrieben. Die ließe sich natürlich nur von außen durch die Künstler selber einbringen. Intendantensessel gegen IKEA-Hocker tauschen, z.Bsp. Scheiße, schon wieder Schleichwerbung.
Und wo wir gerade beim Thema Regieschule sind: Was glauben Sie eigentlich, worauf die da vorbereitet werden? Ich kann nur sagen: Wer von der Ernst Busch kommt und mir nach den ersten Inszenierungserfahrungen erzählen will, dass er den Stadttheaterbetrieb und das dazugehörige Business zum Kotzen findet, den nehme ich nicht nicht ernst.
Leute, die solche stromlinienförmigen Inszenierungen rausbringen, in denen Widerstand oder kritische Gedanken so wenig Gegenstand sind, und die dann plötzlich in einer großen deutschen Zeitung anfangen groß rumzuwettern, denen wünsche ich im allerbesten Sinne eins: (...) nicht zur Zeitung rennen, sondern Theater machen und da kritisch, hinterfragend und fordernd sein. Dafür ist Theater da.
im übrigen habe ich selbst regie studiert, kenne viele andere absolventen von diversen hochschulen und keinen einzigen, der nicht früher oder später einen mittelgroßen bis sehr großen berufsschock hatte. völlig normal. und sehr unangenehm.
was ist falsch daran, offenzulegen, dass intendanten sich für die regien im vorfeld kaum interessieren und nur dem sogenannten hype folgen?
was ist falsch daran, dass jemand sich einen manager nimmt (im musiktheater und im film gibt es das für regisseure schon seit ewigkeiten)?
was nun ist aber richtig daran, mitzuteilen, dass frauen in diesem fach nach wie vor weniger verdienen? in einer großen zeitung zu der einsicht zu stehen, dass man zuviel gearbeitet und scheiß dabei rausgekommen ist und konsequenzen gezogen hat?
wen es interessiert? es stößt eine diskussion los über bestimmte vorgänge, die erstens theater als einen mglw. ebenso kommerziell-denkenden apparat entlarven wie viele andere gesellschaftliche bereiche - man hätte das als publikum nur nicht unbedingt erwartet. und hoffentlich auch theaterimmanent: viele regieleute können genau diese verhältnisse bestätigen und vielleicht "regen" wir uns ja in zukunft mehr. super. danke.
Es geht hier doch auch gar nicht darum, irgendein Theatersystem zu verteidigen oder gut zu heißen - das ist alles billige Andichterei von Ihnen, kh! Natürlich gibt's da viel zu beklagen im Theater. Herrjeh. Und ich wiederhole mich glaube ich, wenn ich sage, dass es einfach sturznaiv ist zu glauben, dass im Theater andere "Marktregeln" gelten würden, als in anderen Berufszweigen. Das ist doch alles ein alter Hut und lässt mich gähnen.
Auf diese ach so aufrührerischen Entlarvungen kann ich verzichten. Stattdessen nicht labern, sondern machen. Sachen ändern, anpacken, kritisch sein und den Intendanten dann mal Paroli bieten, bitteschön. Aber bitte nicht dieses Gejaule...
lust auf einen Kaffee?
Ich danke Dir sehr für diesen wunderbaren, offenen und ehrlichen Artikel in der SZ. Du hast mich zum Lachen gebracht! Herrlich.
Was ist nu mit RADIKAL JUNG? Setzt du ein Zeichen und lehnst ab?
Es wird also Zeit: Ihr jungen, unverbrauchten Regisseure da draußen - auch die in der Provinz.
Wann beginnt Eure Revolution? Fangt endlich an Eure Meinung zu sagen!
Alles Gute!
Gefördert werden darf ja eigentlich nur Kunst, die nicht von dritten, also Privatpersonen ebenso gut finanziert werden könnte. Nun haben sich die Apparate jahrelang an den Forderungen der Effiziens abgearbeitet und stellen selber in der Hauptsache Marken her, die, und das wird von Frau Bergmann indirekt gut erkannt, auch genauso gut privatwirtschaftlich finanziert werden könnten; und so ist es auch nicht verwunderlich, dass ein ehemaliger Intendant wie Stromberg heute als Manager privat auf dem selben Markt, ganz ohne Subventionen agiert.
Warum sich die Mühe machen den Stadt- und Staatsintendanten Paroli zu bieten? Vieler besser man schafft sie gleich ab und mit ihnen das ganze bisherige Subventionssystem. Gebt die Gelder den produzierenden Künstlern direkt. Die wissen schon damit umzugehen.
123, wenn Sie nicht als Utopist reinsten Wassers bekannt wären, müsste man Sie der Stammtischparolerei verdächtigen.
(...)
Die Künstler wären dann ihre eigenen Manager und müssten die administrativen Angelegenheiten selbst klären, also auch die Bezahlung der Bühnentechniker und die Werbung. Um den Blick auf die Kunst nicht zu verlieren, müssten dann diverse Organisationsaufgaben weiterdelegiert werden, sonst käme vor lauter Verwaltung gar nichts mehr zustande.
Ein interessantes Experiment wäre es auf jeden Fall.
Fundamentalkritik am Stadttheatersystem ist immer auch etwas leichtfertig, vor allem, wenn man nicht wirklich weiss, was man da attackiert und vielleicht auch abschaffen will.
Frau Bergmann dagegen hat das System aus sich selbst heraus kritisiert und die Dinge beim Namen genannt, und dies in voller Kenntnis der Verhältnisse im deutschen Theaterbetrieb. Meine Hochachtung dafür! Und Danke für den großen Unterhaltungswert, den dieses Interview für die eingeweihten LeserInnen bereithält!
Und ihr habt schon zwanzigtausend Zigaretten ausgedrückt
Redet nur von den Projekten und von eurem neuen Stück
Manchmal frage ich mich bin ich oder ihr verrückt?
Ich will nicht schlecht über euch reden
Es ist ja doch nur primitiv
Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst
Ich hab's schon immer geahnt, zu welch überraschend hochliterarischen Versen akademisch-künstlerisch vorgebildete leitende Verwaltungsangestellte im Stande sind. Ich beneide Sie um ihre (hohe) Kunst. Ein wahres Kleinod der gesellschaftkritisch-selbstreflektiven Sicht einer unter der Flut unausgegorener Kreativität leidenden armen Seele. Ein überraschend-treffender Blick auf die Verhältnisse, der den zahllosen, sprechen wir es ruhig aus, psychopathologischen, hoffnungslos naiven Möchtegernkünstlern, die anstatt gegen Institutionen anzurennen, doch lieber das Verhältnis zu ihrem Vater im Zuge eines ausgedehnten Klinikaufenthalts aufarbeiten sollten, anstatt zu versuchen Kunst zu drechseln, (letztlich doch alles geborene Verlierer, geben wir's zu...) übel aufstoßen wird.
Wir sollten doch weiterhin zusehen, dass dieses wadenbeißerisch-kleingeistige Gesochs ihr prätentiös-dümmlich-dilettantisches Zeug vielleicht auf Kinderspielplätzen und Hinterhöfen aufführt aber doch bitte nicht an einem Haus...
Lust auf eine Partie Golf?
Es wäre mir eine Freude, bei der Gelegenheit meinen neuen Schläger auszuprobieren.
Rockbands werden auch nicht subventioniert, sie müssen für ihre eigene Logistik aufkommen, die Hallenmiete und die eigenen Techniker bezahlen. Natürlich hinkt der Vergleich, denn sie leben vom Verkauf ihrer Musik.
Wenn nun die Millionen an Subventionen direkt an die Schauspieler fließen würden, müssten sie sich eben auch um solche Dinge wie die Bühnenmiete kümmern oder ein eigenes Theater gründen. Damit wäre aber auch dem Dilettantismus Vorschub geleistet, jedenfalls bei einigen Akteuren.
Im Übrigen teile ich Ihre Meinung über die Qualität dessen, was Anne Bergmann in ihrem Interview geäußert hat, obwohl ich nicht zu den Theaterschaffenden gehöre.
was ist eine reiche seele?
warum sollen künstler per se gegen institutionen anrennen?
ich verstehe den konstruktiven ansatz ihres postings nicht, 18,
vielleicht könnten sie ihre grundgedanken ausführlicher ironie-
frei darlegen, ich habe nur verstanden, dass sie ein künstlerbild haben, welches sich in abgrenzung der arbeitswelt versteht, ja?
wie sortieren oder entscheiden sie, wer in ein haus darf und wer im freien auf kinderspielplätzen und auf hinterhöfen - also rein oder raus muss? wer rein darf, der bekommt ja idealerweise von den institutionen produktionsbedingungen gestellt, die den, der im
freien ist und dem es an ressourcen zur optimalen entfaltung der kreativen möglichkeiten mangelt, neidisch am daumen lutschen lässt.
bräuchten wir nicht institutionen wider dem bürokratischen geist, also institutionen, die bedingungen für kreative prozesse und ergebnisse schaffen? wäre ein sturm auf institutionen nicht ein kämpfen für ressourcen, ohne dass man die künstler verachten sollte, die aus mangel an ressourcen leiden? warum sind sie mit denen nicht solidarisch? überdenken sie, ob ein humanistischer ansatz dem arbeitskampf dienlicher wäre als zynismus. die derzeitigen produktionszwäge an häusern sind genauso unmenschlich
- zum beispiel wenn man jungen künstlern unterstützung im produktionsprozess verweigert und sie damit rausmobbt, indem man sie auflaufen lässt - wie der grunddlegende mangel an ressourcen in der freien szene - misserfolg als künstler fällt nicht auf den künstler zurück, auch wenn meine lieben kollegen sich selbst hassen, wenn sie keinen erfolg haben - wer kunst machen will scheitert, wenn er scheitert immer an den bedingungen, kooperation, arbeitsklima, sachmittel, etc - er selbst ist das sekundäre.
ich bin übrigens autor und meine grundlegenden arbeitsbedingungen sind schon grundlegend beschissen, der umgang mit mir an häusern im grunde auch, auch wenn ich nach außenhin als "erfolgreich" plakatiert bin - ich schütze mich gegen selbsthass, indem ich den kontakt zu meinen kollegen meide, obwohl ich gerne mit ihnen (also festen an häusern, freien in hinterhofklitschen) solidarisch sein möchte. grundlegend habe ich tiefes mitgefühl - mit den kollegen aber auch mit mir selbst als künstler. es ist keine feigheit und auch kein "ich beiße nicht die hand die mich füttert" die mich so grundsätzlich von kollegen fernhält. und ich leide auch darunter, vorallem leide ich mit - das kann ich hier ja mit pseudonym sagen - mich kotzt es außerdem an eine harte, professionell harte, kalte maske nach außen zu tragen um mich nicht angreifbar zu machen, weil ich der ressourcen für mich auch als künstler bedarf - ich kann doch nur hinter dem pc menschlich sein. und das ganze problem ist nur, dass es nicht für alle reicht. wenn ich offen sage, dass ich unter der armutsgrenze vegetiere, dann sagt man mir, ich solle mehr produzieren und mich der vermarktbarkeit (nicht verwertbarkeit) meiner texte besser anpassen, ich solle mir einen anderen beruf wählen oder ich solle mich prostituieren. vor scham über meine armut traue ich mich oft nicht aus dem haus - und vorallem darf ich nicht darüber reden, weil meine armut auf grundsätzliches unvermögen, als künstler, zurückgeführt wird.
kain-näh mensch-scheen-lieb-bäh!
kain-fair-ständ-niss
sünd(s) nur schlÄchte hieb-bäh
ah-uff ehr-wertet-es kühnst-leer-klück
dödlicht zieh-gar-retten ah-US-geh-drückt
fair-acht-tät
von wegen zu klein-närr kunnst
fair-ab-scheut ehr euch All(e) zuh-tieffsst
(ah-US tief-fair-renn krr-ründen?)
vieh kann man nuur
ei-nenn so-o subvention-nierten A....
bringen
(is doch zoom himm-mehl-ruf-feen-hände-ringen!)
dörr süch All-s ein soll-cher ah-US-schreibt?!
ein ton ist dies oft in old germany
und schon lange
- eine alte weltberühmte kulturnation -
(un-ehr-hört!)
(unerhört!)
und bitte: die strukturen der freien szene sind doch viel unfreier als das stadttheater - da gibt es mit Intendatewechsel wenigstens mal einen austausch der kreativen. wann wechselt sich in der freien szene schon einmal ein leader selber aus?
beleidigte intendanten - ok - ebenso nervig: jungregisseure, die ein haus monatelang hinhalten, um dann eine inszenierung am wichtigen theatertreffengestählten haus zuzusagen.
Liebe Anna (ironiefrei jetzt): werde selber intendantin und ändere die dinge. wünsche dir, daß du viel zeit für lange Gespräche mit "deinen" Regisseuren hast und nie auf die Vorspultaste drücken musst.