Medienschau: NZZ, Tages-Anzeiger – Erneut Streit um Besetzungspolitik des Zürcher Theaters Neumarkt

Theater unter Einfluss?

Theater unter Einfluss?

21. April 2024. Wie schon Ende 2023 sind Vorwürfe einer anti-israelischen Ensemblepolitik am Zürcher Theater am Neumarkt erneut Thema in den Schweizer Medien, unter anderem in der Neuen Zürcher Zeitung und dem Tages-Anzeiger.

Im Dezember 2023 hatte sich der Neumarkt-Schauspieler Yan Balistoy in einem Offenen Brief an die jüdische Gemeinde in Zürich gewandt. Er werde nach nur in der Hälfte aller Stücke besetzt, weil das Theater eine libanesische Schauspielerin schützen wolle, die wie er zum siebenköpfigen Ensemble gehöre. Nach libanesischem Recht sei es der Kollegin verboten, mit einem Juden auf der Bühne zu stehen. Für Balistoy bedeute diese Praxis den "Einbau eines 'anti-Israelischen Boykott der Hisbollah in die Arbeitsstrukturen am Theater Neumarkt'", schreibt nun die NZZ, die die aktuellen Debatten um das Theater am Neumarkt aufgreift.

Zentrale Frage: ausgespart

Ob Balistoys Vorwürfe tatsächlich zuträfen, sei der NZZ zufolge bis heute nicht geklärt. Zwar habe das Theater eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die, kürzlich veröffentlicht, zum Schluss gekommen sei, dass Diskriminierung am Neumarkt "in keiner Form" geduldet werde. "Keine der befragten Personen, die am Theater beschäftigt seien, habe Diskriminierung wahrgenommen oder erlebt. Alle Befragten hätten ausserdem eine deutliche Ablehnung von und Distanzierung zu jeder Form von Antisemitismus und antiisraelischer Gesinnung zum Ausdruck gebracht", beschreibt die NZZ die Ergebnisse.

Die explizite Frage, ob der Schauspieler, der vom Theater keine neue Anstellung mehr erhalten habe, tatsächlich wegen seiner israelischen Staatsbürgerschaft diskriminiert worden sei, sei bei der Untersuchung allerdings gar nicht gestellt worden – aus arbeitsrechtlichen Gründen, wie der Verwaltungsratspräsident des Theaters am Neumarkt, Thomas Busin, gegenüber der NZZ erklärte. Balistoy müsste sich dafür ans Arbeitsgericht wenden, so Busin, was bislang offenbar nicht erfolgt sei.

Künstlerische Belange oder Fehlentscheidung?

Im Zürcher Gemeinderat forderte die FDP-Fraktion dieser Tage die Entlassung des Verwaltungsratspräsident. Thomas Busin habe bei einer Nachfrage zur Besetzungspolitik am Neumarkt an die Direktion verwiesen, die über Besetzungen entscheide. "Als Verwaltungsratspräsident mische ich mich nicht in künstlerische Belange ein, das wäre unangemessen", zitiert ihn die NZZ. Aus Sicht von FDP-Gemeinderat Michael Schmid müsse aber eine Theaterdirektion, die es für richtig halte, libanesische und israelische Ensemblemitglieder nicht gemeinsam auf der Bühne einzusetzen, von ihren Aufsichtsgremien in ihre Schranken gewiesen werden. "Andernfalls wären Konsequenzen in Bezug auf die städtischen Subventionen zu ziehen", greift die NZZ eine Aussage Schmids auf.

Im Kern geht es um die Frage, ob das Theater am Neumarkt falsche Rücksichten auf eine Schauspielerin genommen hat und sich damit über geltendes Schweizer Recht hinweggesetzt hat. "Wer sich in seiner Bubble aber eigene Gerechtigkeitskonzepte nicht nur ausdenkt und über sie debattiert, sondern diese auch umsetzt, gefährdet längerfristig unser Zusammenleben und das unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger", schrieb schon im Dezember 2023 das St. Galler Tagblatt. Der SVP-Gemeinderat Stefan Urech sprach der NZZ zufolge nun von "Narrenfreiheit" für das Theater.

Taktik des Verzögerns

Dem Theater werde "ein Persilschein ausgestellt", schreibt auch Michèle Binswanger im Tages-Anzeiger. "Wer einer Sache auf den Grund gehen will, muss die richtigen Fragen stellen", kommentiert sie die Auslassungen im Untersuchungsbericht. Wie könne es sein, "dass eine öffentlich finanzierte Institution wie das Theater Neumarkt bei der Besetzung ihrer Stücke auf Gesetze fremder und in diesem Fall islamischer Staaten Rücksicht nimmt" und wie sei das zu beurteilen? "Was, wenn künftig afghanische Schauspieler nicht mit Frauen oder Schwulen auf der Bühne stehen wollen, weil dies in ihrem von Taliban beherrschten Land verboten ist? Würde man diesem Wunsch auch stattgeben? Das sind lupenrein politische Fragen", so Binswanger in ihrem Kommentar.

In seiner Reaktion wälze der Verwaltungsrat die Schuld auf den Geschädigten ab, der vors Arbeitsgericht ziehen müsse. Dass sich Yan Balistoy aufgrund der Vorgänge am Neumarkt in Behandlung befinde und nicht mehr arbeitsfähig sei, werde, so der Tages-Anzeiger, "geflissentlich verschwiegen". Und die Stadt fordere eine schriftliche Stellungnahme, statt den Verwaltungsratspräsidenten zu sich zu zitieren. "Auch so kann man sich um eine klare Position drücken – in der Hoffnung, dass die gegenwärtige Intendanz bald abtritt und sich die Aufregung bis dahin gelegt hat."

(NZZ, Tages-Anzeiger, St. Galler Tagblatt / eph)


Kommentare  
Medienschau Neumarkt: Identitätspolitische Dynamiken
Interessant ist in dem Kontext auch eine Passage aus der Biographie des betroffenen jüdischen Schauspielers:

"Während seinen Berufsjahren auf der Bühne setzte er sich faire Löhne und gerechte Arbeitsbedingungen für Bühnenkünstlerinnen und -künstlern ein. Es folgte eine engere Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft SzeneSchweiz."

Wenn die FDP nun Einkürzungen der Subventionen einfordert, ist das sehr eine sehr gefährliche Lage. Dieses Problem müsste rasch gelöst werden. Die Komplexität der Geschichte war schon im November 2023 erahnbar. Komplex war nie die Frage, ob ein Theater die Besetzungspolitik der Hisbollah beachten soll - das sollte das Theater auf keinen Fall - sondern von hoher Komplexität war die Frage, wie sich das Theater aus dem bestehenden Problem hinausmanövrieren kann, während des laufenden Performanz-Betriebs. Die Vorschläge waren da: U.a. Das Haus für zwei Wochen schliessen, mit dem Segen des Verwaltungsrats, der die Komplexität des Falls erkennt und auf Druckausübung verzichtet. Dann das Problem lösen und das so, dass es für alle Beteiligten würdevoll wäre. Beispielsweise wäre möglich gewesen, die libanesische Kollegin in Stückvertrag zu nehmen, potentiell sogar mit monetären Vorteilen für sie).
Aber ein "Ensemble" ist ein "Ensemble" - wenn es die Bedingungen "fair" sein sollen, dann muss gerade das Solidar-Ensemble geschützt sein vor übergriffigen Forderungen einzelner Ensemble-Mitglieder. Auf die Forderung der libanesischen Kollegin, nicht mit dem jüdischen Ensemble-Kollegen spielen zu wollen, einzugehen, erscheint als Machtmissbrauch der Leitung. Eine Untersuchungskommission, die diese offenen Fragen dann nicht prüft (obschon sie deswegen einberufen wurde) erscheint sinnlos, gerade dann, wenn in der Untersuchung nur "Nicht-Diskriminierte" zu Wort kommen.

Könnte es sein, dass diese identitätspolitische Dynamik jenen zudient, die nicht grundsätzlich über 'faire Bedingungen' sprechen wollen, sondern lieber über jüdische und muslimische Identitäten? Das wäre dann ein Klassiker aus dem Lehrbuch: Eine überzogene Identitätspolitik dient dem nur dem Machterhalt zu- und nicht echter Inklusion und Diversität, wie sie vom schönen städtischen Kulturleitbild 2024 gefordert werden. Und diese Art von Identitätspolitik ist dann auch nicht mehr "links", sondern hat einen totalitären Kern, der Vernunft und Fairness ausschalten will zugunsten der Unterdrückung von Systemkritik.

Der Einsatz für "faire Bedingungen" stünde letztlich über identitätspolitischen Kriterien. Was hier abgeht ist ganz sicher "nicht fair". Und darauf sollte man nun den Fokus richten. Wie kann diese Fairness hergestellt werden?

Was die städtischen und kantonalen Vertreter im Verwaltungsrat da für eine Rolle haben, scheint auch etwas unklar. Das scheinen Leute zu sein mit wenig juristischen und gesellschaftspolitischen Kenntnissen. Die Stadt und der Kanton sollten als wichtige Subventionsgeber:innen (und Vertreter:innen der Bevölkerung) solche unnötigen Vergiftungen innerhalb eines Theaterbetriebs nicht decken, sondern verhindern helfen.

Zitat:
https://www.yanbalistoy.net/bio
Medienschau Neumarkt Zürich: Fundiert und unaufgeregt
Eine weitere Stimme, fundiert und unaufgeregt;
https://www.srf.ch/kultur/buehne/debatte-laeuft-weiter-antisemitismus-vorwuerfe-theater-neumarkt-kommt-nicht-zur-ruhe
Medienschau Neumarkt: Keine Ruhe
Nun ja. Unaufgeregte Analyse legt grundlegende Kernfragen an diesem Theater wohl nicht offen.

https://ensemble-magazin.ch/2024/05/02/hoehere-mindestgagen-nur-das-theater-am-neumarkt-sperrt-sich/?fbclid=IwZXh0bgNhZW0CMTEAAR0F5C2KjoCL_NaL4CsQbIc0uHoO4bDxUkR-mAUP4wdhkd8yIpG6PBr8Hdw_aem_AeZr-WclNsJ4OZuXFr1EzJi30ANeF34gtu-jFYxeMOypeBgu_ZQoPM7oBx-r1TyJtDDnvj6f7ew04qjKaUgkSfL8
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