Die Ratten – Jette Steckel stellt am Thalia Theater Hamburg mit Gerhart Hauptmann Wahrhaftigkeitsfragen
Duell der (Un)glaubwürdigen
von Katrin Ullmann
Hamburg, 17. Januar 2014. "Es ist doch alles gespielt, es darf nur keiner was merken", sagt Jette John (Lisa Hagmeister) ganz zum Schluss. Ihre Welt war, nein: schien, für kurze Zeit perfekt. Mann, Kind, Einbauküche. Sie schien den Aufstieg geschafft zu haben in ein ganz normales Leben. Doch die Hochglanzküche entschwebt bald wieder in den Bühnenhimmel, aus dem sie kam, ihr Mann Paul (Jörg Pohl) verlässt sie, und das Kind war sowieso geklaut. Vom Dienstmädchen Pauline (Maja Schöne).
Von Schauspielern und Pennern
Gerhart Hauptmanns "Die Ratten" aus dem Jahre 1911 spielt im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu eines Berliner Mietshauses. Tief aus dem Naturalismus heraus erzählt Hauptmann darin von Aufstieg und Fall, von düsteren Verhältnissen und großen Hoffnungen und nicht zuletzt auch von der Möglichkeit der Darstellung von Wirklichkeit auf dem Theater. Detailgenau und realistisch sollte es sein, möglichst nah dran am "echten Elend".
Jette Steckel verzahnt jetzt das Sozialdrama mit Auszügen aus Maxim Gorkis "Nachtasyl" und fragt mit Einar Schleef (aus "Die Schauspieler"): "Kann man einen richtigen Schauspieler mit einem richtigen Penner verwechseln?" Einmal mehr diskutiert sie mit diesen Zusatztexten grundsätzliche Theater- und Schauspielerfragen nach Wahrhaftigkeit, Kunstanspruch und Illusion – und zerrt damit auch die Diskussionen, die der ehemalige Theaterdirektor Hassenreuter (Karin Neuhäuser) mit dem jungen überambitionierten Möchtegernschauspieler Spitta (Mirco Kreibich) auf dem Dachboden führt, weiter in den Fokus: Von Diderot über Nietzsche, von den Fantasielosen und der richtigen Form. Wie darstellbar ist eigentlich die Wirklichkeit? Und: Was ist wichtiger, Wahrhaftigkeit oder Glaubwürdigkeit? Jette Steckel sucht (manchmal ein wenig zu fleißig) nach Antworten und gibt gleichzeitig selbst psychologisch-realistisch gearbeitete Einblicke in alle verhandelten Milieus. Da wird Berlinisch gesprochen, wird gestritten und vergewaltigt. Es wird gequalmt, gezündelt und Obdachlosigkeit illustriert.
Letzte Illusionen
Die Darsteller sind durchweg großartig: Catrin Striebeck (als Sidonie Knobbe) und Maja Schöne etwa ereifern sich in einem Duell der Glaubwürdigkeit. Karin Neuhäuser (im Intendantenoutfit als Joachim Lux) und der klemmig-idealistische Spitta liefern höchst unterhaltsame Diskussionen zur Theaterästhetik und Lisa Hagmeister bewegt sich in traumwandlerischer Schwebe zwischen Wohlstand und Wahnsinn. Die Bühne von Florian Lösche bleibt weitgehend leer. Schwarze Wände, der pure Bühnenraum, Probenatmosphäre. Nur zwei unübersehbare Scheinwerfer stehen wie Ausrufungszeichen am Bühnenrand. Tapfer arbeitet sich Jette Steckel durch das Stück, erledigt gewissermaßen ihre Hausaufgaben. Manchmal wird's ein wenig lang und ein bisschen zu oft wird selbstredende Musik hinzugezogen: "Let's just imitate the real until we find a better one" (The Notwist) zum Beispiel.
Das, was Steckel in guten zweieinhalb Stunden etwas mühsam auserzählt, realisiert Bühnenbildner Florian Lösche in weniger als zwei Sekunden. Als Jörg Pohl den Theaterraum am Ende durch die Hintertür verlassen will, läuft er gegen die perfekte Illusion: Ein fotorealistischer Stoff hatte den gesamten Abend über die Bühnenhinterwand verhüllt. Dann fällt er sanft zu Boden und mit ihm auch die letzte Illusion. 1 : 0 für das Bühnenbild.
Die Ratten
von Gerhart Hauptmann
Mit Szenen von Einar Schleef und Maxim Gorki
Regie: Jette Steckel, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Pauline Hüners, Musik: Mark Badur, Licht: Paulus Vogt, Dramaturgie: Carl Hegemann.
Mit: Markus Graf, Lisa Hagmeister, Franziska Hartmann, Mirco Kreibich, Karin Neuhäuser, Thomas Niehaus, Jörg Pohl, Maja Schöne, Catrin Striebeck.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, keine Pause
www.thalia-theater.de
Kritikenrundschau
Auf Spiegel Online (18.01.2014, 14:15 Uhr) schreibt Werner Theurich, Steckel mache das Theater zum Thema und Hassenreuter zur zentralen Figur. Was sich aufdränge, da mit Karin Neuhäuser eine "Ausnahmeschauspielerin" zur Verfügung stehe. Sie ziehe denn auch "alle Register ihres komödiantischen Könnens, ihrer Zwischentöne und ihrer Komik". Die "Diskursstrecken" mit Mirco Kreibichs Spitta gerieten allerdings "papieren". Weil "die Geschichte bekannt" sei, müsse sie, interpretiert Theurich die Regisseurin, "aufgebrochen werden". Die durchaus funktionierenden Gewaltszenen der Gorki-Reminiszenz bildeten indes eine "ehrgeizige Gefahrenzone ohne Wirkung". Im Vergleich dazu liefe die Fortsetzung der Geschichte einfach "zu schlicht, zu ruhig, zu zeitlupenartig" aus. Unterm Strich: "Ein großer Aufriss, dramatische Momente, große Komik in Einzelleistungen, aber kein großer, bewegender Bogen".
Auf der Website des Hamburger Abendblattes (18.1.2014) fragt asti in einer Kurzkritik: Wie lasse sich heute glaubhaft "eine Milieustudie auf der Bühne behaupten"? Jette Steckel nehme Maxim Gorkis "Nachtasyl" und eine Reflexion Einar Schleefs über Repräsentation auf dem Theater zu Hilfe. Viel Raum nehme dabei die Hassenreuther-Nebenhandlung ein, mit Karin Neuhäuser als "gekonnte Joachim-Lux-Parodie". Steckel verhandele das ganze mit "viel psychologischem Spiel und zuweilen arg illustrativer Folk-Musik". Der Satz: "Es ist doch alles gespielt, es darf nur keiner was merken", beschäftige die Regisseurin "zweieinhalb Stunden lang". Doch gehe diese "Verbindung von Inhalt und Nachdenken über die Form" nur bedingt auf.
"Wer einmal betrachten möchte, wie eine sehr begabte junge Regisseurin an einem im Grunde unverwüstlichen modernen Klassiker komplett scheitert, weil sie ihm zu viel zumutet und ihn – aus Misstrauen oder um dem Stück einen zeitgemäßen Dreh zu geben – mit noch einer Idee und noch einer Metaebene garniert, mit lauter Einfällen also, die das ohnehin schon verschachtelte Drama gar nicht braucht, und erst recht nicht in dieser Kombination", schreibt Volker Corsten in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (19.1.2014), "wer das sehen möchte, der sollte sich Jette Steckels Inszenierung von Gerhart Hauptmanns "Die Ratten" am Hamburger Thalia-Theater ansehen."
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RATTEN-PLAGE
(aber in wirklichkeit waren es ja gar keine ratten)
ziemlich schlimm war´s, auch wenn das publikum klatschen mag!
die gefeierte regie-nachwuchs-hoffnung gescheitert an einem öde altmodischen stück, wie schade.
vielleicht macht es auch - hoffentlich vorübergehend bloß - kraftloser und ältlicher, wenn künstler eltern werden...
thalia-liker mummenschanz mit perücken: frauen in männerkleidung, männer in frauenkleidung, geschenkt, abgedroschen vor allem hier am thalia eben.
überhaupt die kostüme der beteiligten: häßlich und einfältig, so wie klein erna sich das proletariat vorstellt und all die anderen klassen und schichten.
das bühnenbild, abgesehen vom orangen feuer, enttäuschend un-steckelig; keine drehbühne im einsatz, kein rund, keine kreisbewegungen also, aber auch keine fortschritte, sondern einfalt und intellektueller stillstand.
und eine einzige idee in letzter sekunde reicht nicht wirklich aus, das stundenlange vorangegangene fehlen von ideen wett zu machen.
auch die musik einfältig, beliebig, anbiedernd folkloristisch, da freut sich das hochverehrte publikum.
keine schönen texte (auch keine intelligenten, neues sagenden), vor allem aber kein schönes sprechen, sondern mißlingende dialekt-imitationen, die einem die sonst so lieb gewordenen, beruflich hochgeschätzten schauspieler/innen plötzlich befremdlich wie schmierentragöden erscheinen ließen.
penetrant auch die wohl tausendfache anrede mit den rollen-vornamen, allen voran "jette, jette, jette..." - wie kann man ein stück inszenieren, in dem der eigene vorname ununterbrochen fällt. oder: streichen, baby, streichen! streichen will gelernt sein.
klar durfte, alte jeckel-passion, auch nicht fehlen, daß sich der kleingeraten virile kreibich zum gefühlt wohl tausendsten mal in einer ihrer inszenierungen nahezu entblößen mußte - in dieser szene aber wirkte es wie jugend/gar kinder-theater für schulklassen mit prüdem aufklärungsunterricht.
zweieinhalb vergeudete und wirklich plagende lebensstunden in dem wohl unerfreulichsten und schwächsten thalia-stück seit jahren.
fast könnte man sich nun freuen auf die vielleicht nahenden intendantinnen-künste im schauspielhaus, wäre da nicht, ja, käme da nicht eine intendantin, die in ihrem hamburger einstandsinterview den fernseh-"tatort" tatsächlich zum obligatorischen fernsehhöhepunkt der woche auszurufen versuchte.
dennoch ein - auch im eigenen zuschauerinteresse - herzliches glückauf für´s schauspielhaus und natürlich auch für das thalia und für jette steckel!
http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/feull/premierenkritik_dieratten_thaliatheaterhamburg.php
wir haben ja humor, nicht wahr! sie jedenfalls machen mir spaß, anfänglich jedenfalls!
deshalb sei mir vorweg die pointe gegönnt - ludwig NULL: vielleicht est nomen omen?!
1.
dort oben kein billiger kommentar meinerseits, sondern eine eher teure karte.
2.
ich spiele keine theater gegeneinander aus, auch wenn es durchaus spielstätten sind - schauspielhaus und thalia sind nur einfach zwei gleichberechtigt wichtige theater in hamburg, die in hoffentlich kreativer kooperation und konkurrenz (gibt es das wirklich: konkurrenz, die kreativ wirkt?) den genuß für uns liebhaber erhöhen.
3.
ich, theater-liebhaber, ja, so könnte man es nennen, distanzierter liebhaber.
und sie? steckel-liebhaber!?, der die ratten, so deucht mich - ein wenig beneide ich sie aber auch um ihren eventuellen zeitgewinn -, gar nicht gesehen hat, der also einfach grundsätzlich und loyal zur nach wie vor unbestritten besonderen regisseurin hält; eigentlich eine klassische treuewahrung, für die sie zweifellos respekt verdienen.
4.
ihre die gepflogenheiten des internets nebenbei auch noch verkennende doppelmoral allerdings verärgert mich, weil sie doch ebenfalls anonym bleiben.
5.
endgültig fragwürdig erscheint mir ihre akzeptanz der sanktion "rausschmiß", für mich nämlich kein akzeptables mittel einer aufgeklärten gesellschaft und ihrer kultureinrichtungen.
6.
ihr beitrag geht also mit keiner silbe wirklich auf meine worte oder das zu betrachtende stück ein - er ist damit also eigentlich vollkommen... ...überflüssig.