Kolumne: Als ich noch ein Kritiker war - Die unterschätzten Abonennten
Lob des Abonnenten
22. Februar 2022. Abonnenten gelten im Reden über Theater oft als rückständig, bequem, interessiert am Gefälligen und Seichten. Menschen sind das, die Theaterleute wahlweise erschrecken oder aufrütteln wollen. Nur: Im Abopublikum muss niemand mehr geweckt werden! Eloge auf eine unterschätzte Spezies.
Von Wolfgang Behrens
22. Februar 2022. Was ist das für ein Mensch, der Abonnent? (Wenn ich in diesem Text überwiegend das generische Maskulinum verwende, so geschieht das aus der stilistischen Erwägung heraus, dass "Was ist das für ein Mensch, der/die Abonnent*in kein schöner Einstieg in eine Kolumne ist. Wobei zugegebenermaßen "Was ist das für ein Mensch, der Abonnent?", gefolgt von einer ellenlangen Klammer, auch nur als ein suboptimaler Einstieg gelten kann.)
"Abonnentenschreck": Prädikat künstlerisch wertvoll?
Wenn man sich auf nachtkritik.de ein wenig umtut – und die notorisch unterschätzte Suchfunktion bietet dazu bequeme Gelegenheit –, dann möchte man dem Abonnenten im realen Leben nicht unbedingt begegnen. Die Abonnenten sind auf jeden Fall erzkonservativ, "wollen immer nur ihre Klassiker sehen" und "tun sich mit neuen Autor*innen schwer", sie sind "sogenannte Bildungsbürger, Akademiker, die vor der Veränderung der Welt Angst haben" und lieber "umlullt" werden, sie sind "verwöhnt" und wollen nicht, dass "die Bühne eine richtige Herausforderung" sei, und sie wissen schon "vor Beginn, dass sie in der Pause gehen werden".
Für Abonnenten Theater zu machen scheint so ziemlich das Schlimmste zu sein, was Theatermacher*innen widerfahren kann; einem Künstler oder einer Künstlerin die Wörter "abonnentenfreundlich" oder gar "Abonnenten-Tröster" anzuhängen gleicht einer Höchststrafe (nur noch übertroffen von "gefälliger Abonnenten-Ranschmeiße"), denn dann hat man mit Sicherheit nur "seicht und sanft" inszeniert, vermutlich eine Liebeskomödie, ganz sicher aber nichts mit "Mut zum Aufbrechen". Umgekehrt ist es ein Ehrenzeichen, wenn jemand den Ehrentitel "Abonnentenschreck" verliehen bekommt, denn dann hat er oder sie mal wirklich Kunst gemacht und sich auf keine Kompromisse eingelassen. Bis zum Erscheinen dieser Kolumne haben sich diese Auszeichnung auf nachtkritik.de die Regisseure Sebastian Hartmann, Laurent Chétouane und Herbert Fritsch verdient.
Ich weiß nicht, ob ich in der Zeit, als ich noch ein Kritiker war, jemals in den Chor der Abonnentenverächter eingestimmt habe – wenn ja, dann würde es mir heute leid tun. Denn Abonnenten sind mitnichten die Theater- und Kunstverhinderer, die einem bei der Lektüre so mancher Kritik vor Augen geführt werden. Sie sind vielmehr Ermöglicher. Das beginnt – natürlich! – ganz basal auf der finanziellen Seite.
Abonnenten haben den Überblick
Es mag in einigen Metropolen Bühnen geben, die ganz ohne Abonnementsystem auskommen (ich habe das nicht überprüft), doch schon in den mittleren Städten ist (Stadt-)Theater ohne Abonnement kaum denkbar, da nur so halbwegs stabil mit Zuschauereinnahmen gerechnet werden kann. In einer Krise wie derjenigen, die das Coronavirus ausgelöst hat, sind Abonnenten besonders wichtig, weil sie den Häusern jenseits der staatlichen Zuschüsse eine finanzielle Restsicherheit bieten. Gerade jetzt haben sich viele Abonnenten als besonders leidensfähig und solidarisch erwiesen, indem sie ihre Abos gerade nicht gekündigt und vielleicht auch auf manche Gegenleistung verzichtet haben. Tatsächlich geht die Zahl der Abonnements in der Coronakrise jedoch einschneidend zurück, da manche Aboinhaber in Gutscheinen für abgesagte Vorstellungen ertrinken und diese nun erst einmal absitzen wollen. Das kann sich für einige Theater noch zu einer manifesten Gefahr auswachsen.
Doch von den ökonomischen Aspekten einmal abgesehen: Wie kommt denn der Abonnent eigentlich zu seinem rückständigen Ruf? Es sind ja gerade die Abonnenten, die sich im Idealfall alles anschauen und nicht einfach nur zu ihren Lieblingskünstler*innen rennen. Sie sind es, die sich die ganze Bandbreite reinziehen und auch dann noch kommen, wenn mal eine schwierige Autorin, ein sperriger Stoff oder eine zeitgenössische Oper auf dem Programm stehen. Dass diejenigen, die Schenkelklopfkomödie und Musical ansetzen, auf das Abonnementpublikum schielen, um es nicht zu verschrecken, halte ich für ein Gerücht. Im Gegenteil: Komödie und Musical kurbeln den freien Verkauf an, das Zielpublikum bilden da nicht zuletzt vergnügungssüchtige Gelegenheitstheatergänger; der Abonnent wäre auch ohne das gekommen.
Abonnenten ermöglichen Kunst, auch die sperrige
Wer mit Abonnenten spricht – und Dramaturg*innen tun das ja manchmal –, wird im Übrigen oft eine Aufgeschlossenheit und Theaterzugewandtheit erleben, einen Erfahrungshintergrund und eine Fähigkeit zur Einordnung, die mancher Kritikerin und manchem Kritiker zur Ehre gereichen würde. Dass es auch unter den Abonnenten Menschen gibt, die einem auf den Wecker gehen, sei nicht in Abrede gestellt – aber wo gibt es die nicht? Im Schnitt indes scheinen mir Abonnenten toleranter, offener und breiter aufgestellt als die meisten Theaterbesucher.
Ich würde mich sogar zu der Behauptung versteigen, dass die Vielfalt des Stadttheaters und der Regiehandschriften im deutschsprachigen Raum ohne Abonnenten gar nicht möglich geworden wäre. Hätte sie die Abonnenten nicht, dann erst müssten sich die Macher*innen an das Publikum ranschmeißen. Jeder Zuschauer würde in seiner eigenen Theaterblase verbleiben, und alles Schwierige, nicht Marktförmige würde nur zu einer kleinen Gruppe mit special interest gelangen.
Insofern dürfen alle Abonnentenschrecks dankbar sein. Dass es den Abonnenten gibt.
Wolfgang Behrens, Jahrgang 1970, ist seit der Spielzeit 2017/18 Dramaturg am Staatstheater Wiesbaden. Zuvor war er Redakteur bei nachtkritik.de. Er studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Mathematik in Berlin. Für seine Kolumne "Als ich noch ein Kritiker war" wühlt er unter anderem in seinem reichen Theateranekdotenschatz.
In seiner letzten Kolumne widmete sich Wolfgang Behrens dem Bildungskonzept des Philosophen Peter Bieri und der Diskriminierung von Ungeimpften.
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ich habe diese Variante sogar erwogen. Ich habe mich aber dagegen entschieden, weil ich bei der Frage "Was sind das für Menschen, die Abonennt*innen?" eher eine Soziologie erwarte, bei der Frage "Was ist das für ein Mensch, der Abonnent (die Abonnentin)" hingegen eher die Beschreibung eines Typus. Mit ging es um Zweiteres.
Herzlich wb
Eben!