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Regisseur Frank-Patrick Steckel gestorben
26. Januar 2024. Der Regisseur, Übersetzer und Intendant Frank-Patrick Steckel ist am 25. Januar 2024 verstorben. Das teilt seine Familie mit.
Geboren am 10. Februar 1943 in Berlin, studierte Frank-Patrick Steckel Kunstgeschichte in Hamburg und begann als Regieassistent an der damals von Claus Peymann geleiteten Studiobühne der Universität Hamburg. Ein erstes Engagement als Regisseur erhielt er bei Ida Ehre an den Hamburger Kammerspielen. Er gehörte zu der Gruppe von Theaterleuten um Peter Stein, die 1970 die Schaubühne am Halleschen Ufer in Berlin übernahmen. Dort inszenierte er gemeinsam mit Peter Stein auch die erste Arbeit der neuen Truppe, Bertolt Brechts "Die Mutter" mit Therese Giehse in der Hauptrolle.
Von 1978 bis 1981 war Steckel Oberspielleiter am Bremer Theater, 1986 wurde er Claus Peymanns Nachfolger als Intendant des Bochumer Schauspielhauses, das er bis 1995 gemeinsam mit der Choreografin Reinhild Hoffmann leitete.
Seit 1995 arbeitete Steckel wieder als freier Regisseur und inszenierte unter anderem am Wiener Akademietheater, am Schauspiel Köln, am Theater Bonn, am Nationaltheater Mannheim und am Wuppertaler Schauspielhaus. Im Lauf seiner Karriere als Regisseur wurden fünf seiner Produktionen zum Berliner Theatertreffen eingeladen: "Die Mutter" von Bertolt Brecht (1971, Regie in Zusammenarbeit mit Wolfgang Schwiedrzik und Peter Stein) sowie "Der Lohndrücker" von Heiner Müller (1975) von der Schaubühne am Halleschen Ufer, "Der arme Vetter" von Ernst Barlach (1978), Schauspiel Frankfurt, "Timon aus Athen" von William Shakespeare, Schauspielhaus Bochum (1991) sowie "Die Regierung des Königs Edward III." von William Shakespeare (2000) vom Schauspiel Köln.
Steckel übersetzte außerdem Stücke von Shakespeare und Molière. Für seine Shakespeareübertragungen erhielt er 2013 den Preis der Autoren.
Auf nachtkritik meldete er sich in Kommentaren und eigenen Texten regelmäßig zu Wort. Hier sein Lexikoneintrag mit seinen Texten und allen Nachtkritiken zu seinen Arbeiten.
(Familie Steckel / sd)
Medienschau
Rüdiger Schaper vom Tagesspiegel (27.1.2024) würdigt Frank-Patrick Steckels Schaubühnen-Zeit mit diesen Worten: "Man war damals links im Theater, radikal. Sozialismus war eine Frage der Haltung, aber auch Pflichterfüllung und eine Rolle. Steckel konnte man glauben. Er wirkte knorrig, aufrecht, brachte die dicken Brocken auf die Bühne, vergessene Stücke von Hans Henny Jahnn, Ernst Barlach, Friedrich Hebbel." Über Steckels Bochumer Intendanz schreibt er: "Der in Berlin geborene Steckel machte einen strammen Spielplan. Er habe dem Publikum viel abverlangt, hieß es oft. Und das ist nicht das Schlechteste, was man von einem Regisseur sagen kann."
"Die schweren, nicht auf der Hand liegenden Stoffe" waren "sein Metier", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (27.1.2024). "Man mochte Steckel als Spaßbremse und Miesmuffel ansehen – als solcher gerierte er sich in den letzten Jahren auch als kritischer, bissiger Kommentator in dem digitalen Theaterforum Nachtkritik.de –, aber das Theater war diesem 'letzten Dinosaurier', als welchen er sich selbst bezeichnete, einfach eine sehr ernste Angelegenheit. Er nannte es einen 'Ort der Katastrophen', dazu da, 'der Gesellschaft in die Suppe zu spucken'".
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Ich hatte das Glück, den Hauptteil der Jahre seiner Bochumer Intendanz zu erleben. Nie wieder habe ich mich in einem Theater, unter einer Intendanz so wohl gefühlt.
Viele verklären ja die Peymann-Zeit, doch der Wechsel zu Steckel war phänomenal: Ein fast komplett neues großartiges Ensemble, das sofort als Einheit wahrnehmbar war. Armin Rohde war gefühlt in fast jeder Inszenierung auf der Bühne, Nicole Heesters in einigen Inszenierungen atemberaubend. Steckels eigene Inszenierungen waren im besten Sinne eine Zumutung: Sie verlangten und förderten das Mitdenken. Gleichzeitig waren sie optisch beeindruckend, ich denke an "Timon von Athen" mit den großen Masken. "Germania Tod in Berlin" konnte man als Gesamtkunstwerk begreifen: Den Abend beherrschte auch eine andauernde Geräuschkulisse. Schauspieler:innen wurden präzise geführt: In Steckels Bochumer Einstandsinszenierung von Hebbels "Nibelungen" spielte die eher im komischen Fach verortete Tana Schanzara die Ute und ich weiß noch, wie in der von mir besuchten Aufführung die Besucherin neben mir mit dem Satz "Das ist ja die Schanzara!" erst relativ spät bemerkte, wer da auf der Bühne sprach.
Das ist jetzt alles lange her und die Aufführungen stehen mir noch vor Augen. Das ist spricht für ihre Qualität.
Auch dass auf der Rückseite der Programmbücher ein kleines durchgestrichenes Atomkraftwerk abgebildet war, dürfte typisch für Steckel gewesen sein. Es ging um Theater mit Haltung.
Ein Verlust.
Ruhe sanft Frank Patrick
Viele haben ihm vorgeworfen, sein Theater sei düster und grau. Hierbei wird vergessen, dass er mit ganz unterschiedlichen, auch farbenfrohen Mitteln gearbeitet hat. Seine Inszenierung des expressionistischen Stückes „Die Wupper“ von Else Lasker-Schüler z. B. war an ausdrucksstarker Bildkraft kaum zu überbieten. Auch die Inszenierung des selten gespielten Shakespeare-Stückes „Timon von Athen“ ist mir mit seinen ausdrucksstarken übergroßen Masken noch lebendig vor Augen. Mit Ibsens „Brand“ hat er die Gefahr eines linken Sektierertums inszeniert.
Eröffnet hat Steckel sein Intendanz 1986 in Nachfolge auf Claus Peymann mit Hebbels „Nibelungen“. In Protest zu Peymanns flirrender, leichtfüssiger und frivoler Inszenierung der „Hermannsschlacht“ von Kleist – mit den begnadeten Schauspieler:innen Kirsten Dene und Gerd Voss – wollte Steckel einen ernsthafteren und kritischeren Umgang mit der deutschen Mythologie und ihrer Bemächtigung durch den Nationalsozialismus. Entsprechend protestierte er auch mit dem Bühnenbild seiner Einstandsinszenierung „Nibelungen“ mit einem bewußt gewählten Grau und zeigte die deutsche Tragödie eher in der Ästhetik eines Heiner Müller als Katastrophe. Steckel hat gezeigt, was in dieser Zeit zu zeigen war. Er rebellierte er gegen das überkommene Theater der Nazi-Väter-Generation. Im Juni 1986 veröffentlichte Ernst Nolte einen Artikel, der den Holocaust in Form rhetorischer Fragen als Reaktion des NS-Regimes auf die Massenverbrechen der „Säuberungen“ Stalins und des Gulag-System der Sowjetunion dargestellt hat. Hierauf reagierte Jürgen Habermas und andere in einer später als „Historikerstreit“ benannten Debatte: Es sei ein „Revisionismus“, der ein deutsches Nationalbewusstsein durch Abschütteln einer „entmoralisierten Vergangenheit“ erneuern solle. Steckel hat mit den Mitteln des Theaters „die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung“ (Habermas) aufgezeigt. Steckels Wachsamkeit könnten wir heute im Kampf gegen die AFD und Teile der „Freien Wähler“ brauchen.
In seiner grandiosen Abschiedsinszenierung von 1995 hat Steckel den polemischen Vorwurf einer „grauen Intendanz“ ironisch aufgenommen, indem sowohl das schlichte Bühnenbild als auch die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer ganz unterschiedliche Grautöne verwendet haben. Seine ungekürzte Fassung von Hamlet in einer von ihm selbst vorgenommenen Übersetzung dauerte - wenn ich mich recht erinnere - sieben Stunden, doch war gerade in seiner Konzentration auf den Text für mich so faszinierend, dass ich sie mir drei mal angesehen habe. Auch der damals junge Martin Feifel als Hamlet, der sich gegen die Willkürherrschaft zur Wehr gesetzt hat, wird mir unvergesslich bleiben.
Frank-Patrick Steckel dachte das Theater als politischen und ästhetischen Ort, kompromisslos in seinen moralischen Überzeugungen und engagiert in seinen künstlerischen Visionen“, so der heutige Intendant des Schauspielhauses Bochum, Johann Simons. „Als solcher ist er bis heute ein Vorbild für Theatergenerationen, die nach ihm kamen und noch kommen werden.“ Steckel selbst nannte das Theater einen „Ort der Katastrophen“, das dazu da sei, „der Gesellschaft in die Suppe zu spucken“. Ich bin ihm dankbar, ein Theater gezeigt bekommen zu haben, das nicht verschweigt, sondern sich traut zu zeigen, wo „die Welt aus den Fugen geraten ist“.
„Unser Bemühen gilt diesem Versuch: das Publikum in die Nähe der Sache zu bringen und nicht die Sache in die Nähe des Publikums.“
Auch hatte er eine hohe Meinung von den Theatertexten, alten und neuen. Es ging nicht um ihn, es ging um die Sache. Und wenn es um die Sache ging, konnte er kompromisslos und unbestechlich sein. Gedankt wurde ihm das nicht in der Theaterwelt. Auch nicht in Berlin. Er galt als unbequem. Dass er hier in seiner Geburtsstadt nicht mehr arbeiten konnte, ist ein Armutszeugnis für die Theaterstadt Berlin, in der er im Kreise seiner liebenden Familie nun seinen Tod fand.