Faust 1 & 2 - Matthias Hartmanns Burgtheatereröffnung
Ein Theatermani-Fest
von Eva Maria Klinger
Wien, 4. September 2009. Mit einem Aplomb wolle er seine Ära beginnen, verkündete Matthias Hartmann in unzähligen Interviews. Das Statement der Selbstsicherheit hat er nun mit der Bewältigung dieser Mammutaufgabe eingelöst. Keiner hat das an diesem Ort seit einem Vierteljahrhundert fertig gebracht. Claus Peymann versprach 13 Jahre lang einen Faust, Klaus Bachler hatte für den Abschluss seines 10jährigen Wirkens ebenfalls ein Faust-Projekt angesetzt – mit Joachim Meyerhoff als Faust und Michael Maertens als Mephisto. Der Plan musste mit dem Tod des Regisseurs Jürgen Gosch begraben werden.
Nur Katharina Lorenz als Gretchen blieb – welch Glück! – von diesem Plan erhalten. Sie ist jetzt bei Hartmann ein modernes, selbstbewusstes Mädchen, das sich dennoch voll Naivität und Reinheit ihrer ersten, tragischen Liebeserfahrung hingibt. Bedingungslos, forsch und niemals larmoyant nimmt sie ihr Schicksal an. Sie entzückt in anfänglicher Unbekümmertheit, erschüttert später in Schmerz und Verzweiflung. Katharina Lorenz, eine unvergleichliche Darstellerin und die Entdeckung dieses Abends.
Das Gemurmel des großen Monologs
Mephisto, die "Spottgeburt", ist Gert Voss. Ein abgeklärter, verschmitzter Schelm, der sich den Spaß vergönnt, der Welt noch einmal zu zeigen, wohin die Reise wirklich geht, nämlich nicht entlang des "rechten Weges". Dass der Doktor Faustus vermutlich Mephistos letzter Fall ist, stört nicht. Dass dieser Faust in Tobias Morettis zerknitterter Gestalt zum älplerischen Gymnasiallehrer mutiert, schon eher. Kahlköpfig, mit Nickelbrille spricht er mit belegter Stimme all die klugen Worte des Denkers, des verzweifelt Suchenden, des an seiner Sehnsucht Scheiternden. Allein man kann nicht glauben, dass dieser Mann wirklich ein existentielles Problem hat.
Zu Beginn dringt aus der schwarzen Bühnentiefe das Gemurmel des großen Monologs. Faust sitzt am Laptop und trägt sich mit dem Gedanken sein Leben aus gescheiterter Sinnsuche zu beenden. Den Laptop wirft er in eine grellgelbe Müllmaschine, die ihn zu Staub atomisiert. Da weiß man schon, dass man die Sache nicht so ernst zu nehmen hat. Bereits im kabarettistisch angelegten "Prolog im Himmel" wippten über den Glatzen der älteren Herren absturzgefährdete Heiligenscheine.
Das Mysterienspiel, das "Faust" auch darstellt, hat Matthias Hartmann entsorgt. Vier Leichen hat Faust am Ende des ersten Teils auf dem Gewissen, da ist auch die Apotheose "gerettet" unangebracht, und daher gestrichen. Die Suche nach Wahrheit und Genuss, die Sehnsucht, zum Augenblick zu sagen, "verweile doch du bist so schön", ist zwar verständlich, aber vermessen und sogar an einen Teufelspakt geknüpft und führt, wie Goethe zeigt, ins Verderben.
Gretchens bange Frage
Matthias Hartmann hat einen pragmatischen Zugang zu dieser Parabel, aber keinen unbedingten Interpretationswillen. Faust kennt schließlich jeder, der ins Burgtheater geht! Die Bühne von Volker Hintermeier bleibt im ersten Teil leer und schwarz, von schmalen LED Lichtstäben umrahmt. Das lässt Spielraum für Phantasie und verursacht keine Umbauten. Die Schauspieler schieben immer wieder einen weißen Würfel in die Bühnenmitte, mal Auerbachs Keller, mal Marthes Sperrholzzimmer, (wo sich eine großartige Maria Happel an Mephisto heran macht), oder Gretchens Stube. Gretchens bange Fragen "Er liebt mich, liebt mich nicht" wird nicht an Blütenblättern abgezählt, sondern an Wäschestücken, die sie von der Leine reißt.
Die Kostüme von Johanna Lakner sind unauffällig heutig. Mephisto stakst in schwarzen 7/8-Hosen und einem schwarzen Adidas-Blousson über die Bretter. Am grauen Lockenhaar trägt er ein schwarzes Filzkäppchen, auf das er auch schnell, wenn der Pudel angesagt ist, eine Quaste zaubert. Solche Gags, die dem hehren Spiel das Pathos austreiben, liefert Matthias Hartmann zu Hauf. Es wird viel gelacht in diesem "Faust" und das mag nur jene stören, die das größte philosophische Drama der deutschen Literatur als Bildungsgut durch die Jahrhunderte tragen wollen. Die anderen erfreut die ironische Betrachtung.
Die Welt als technisches Zauberspiel
Teil zwei ist ein neues Theaterstück, in anderer Besetzung und völlig anderer Ästhetik, wird später auch getrennt aufgeführt. Die Reise durch die Welt ist ein technisches Zauberspiel auf vier riesigen Videowänden, die von mehreren Kameras bespielt werden. Auf zwei Stunden verknappt, spricht Hartmann alle Themen an, die Goethe als ewige Menschheitsthemen erkannt hat. Die Erfindung des Geldes, die Korruption und Inflation mit sich bringt und im übrigen ein Werk des Teufels ist. Das Verhältnis von Kirche und Staat, die Geburt des neuen Menschen im Labor, die Vergänglichkeit von Glück und Schönheit, die Welt als Krisenherd zwischen Kriegen und Finanzdebakel.
Matthias Hartmann lässt Regieanweisungen und Inhaltsangaben zwischen mehrstimmig vorgetragenen Goethe-Versen sprechen, begleitet von Livemusik. Sehr eindrucksvoll. Zu den acht SchauspielerInnen, die alle Rollen des zweiten Teils übernehmen, gehören der wunderbare Joachim Meyerhoff, die famose Caroline Peters und ein nachdenklicher Tilo Nest als "Manager" Faust, der den magischen Moment, den ersehnten Augenblick vor sich sieht, aber nicht erreicht: Menschen, die Land kolonisieren. Auf der Schaukel sitzend, schwebt er – das ewig Weibliche zieht uns hinan – in den Bühnenhimmel. Ein Theatermani-Fest. Im Anfang war die Tat. Matthias Hartmann hat sie gesetzt, von einem laut und lange jubelnden Publikum bedankt.
Faust – der Tragödie erster und zweiter Teil
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Matthias Hartmann, Bühne: Volker Hintermeier, Kostüme: Johanna Lakner, Musik: Arno Waschk, Jörg Gollasch, Live-Kameras: Stephan Komitsch, Moritz Grewenig.
Mit: Gert Voss, Tobias Moretti, Katharina Lorenz, Maria Happel, Yohanna Schwertfeger, Franz Csencsits, Ignaz Kirchner, Simon Kirsch, Dietmar König, Peter Matic, Hermann Scheidleder, Stefan Wieland, Simon Kirsch, Peter Knaack, Joachim Meyerhoff, Tilo Nest, Caroline Peters.
www.burgtheater.at
Mehr lesen? Matthias Hartmann verabschiedete sich im Februar 2009 als Intendant des Zürcher Schauspielhauses mit seiner Inszenierung von Jon Fosses Ich bin der Wind. Im April 2009 stellte Hartmann in Wien seine Burgtheaterpläne vor.
Kritikenrundschau
"Etwas Mätzchenhaftes" haftet der Inszenierung Matthias Hartmanns aus Sicht von Roland Pohl vom Wiener Standard (5.9.) an. In dessen "kohlrabenschwarzem Klassikerland" herrschten immer nur die einfachsten Verhältnisse. "Vor Überraschungen bleibt man während dreier, recht genügsamer Stunden verlässlich gefeit." Denn an "unterirdische Gehalte, an das Erz der Interpretation, das es vielleicht zu schürfen gäbe", wolle Hartmann wohl nicht rühren. Stattdessen wolle er "kindlich und verbindlich" bleiben, wo er doch anfangen müsste, "in Goethes herrlichen Papierfluten umzurühren". Er zitiere, "wenn er sich nicht gerade auf Voss' Eingebungen verlässt, Skizzen eines Kleinbürgertums: hübsch in der Schachtel verräumt, mit Katzenkratzbaum, mit der Billig-Couch aus dem Einrichtungsmöbelhaus".
Auch Sophie Felbermair vom Radio des ORF (4.9.) drängt sich bereits in den ersten Szenen der Verdacht auf, "dass es dem Regisseur für das Stück an einer zündenden Idee gemangelt hat". Ein Konzept lasse sich nicht erahnen, die Handlung plätschere, musikalisch untermalt durch einen Männerchor, ohne wirkliche Schwer- und Höhepunkte vor sich hin. Es vermittelt sich der Kritikerin nicht, "was Hartmann dem Publikum durch seine Inszenierung eigentlich erzählen will". In der Personenführung fehlt ihr ebenso eine Regiehandschrift. Dass die darstellerischen Leistungen trotzdem teilweise sehr stark sind, liegt aus ihrer Sicht daran, "dass das Ensemble bis in kleine Rollen mit großen Schauspielern besetzt ist". Trotzdem zeigt der Abend ihr vor allem eins: "Selbst wenn Text und Darsteller den Abend tragen, reicht es nicht, sich ohne Vision an diesen Stoff zu wagen, um ihm gerecht zu werden. Auch nicht für einen Burgtheater-Direktor". Eine völlig andere Herangehensweise allerdings habe Hartmann für die zweite Premiere des Abends gewählt, die Felbermair "modern, ironisch und oft witzig" fand.
Einen "Suppenwürfel-'Faust' mit seinen Instant-Zugaben aus dem Kochbuch des Regietheaters" beklagt Dirk Schümer in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (6.9.). Die "größten Meriten" des Abends bestehen für ihn noch "im unverbauten Blick auf Goethes Text und im Genuss des eigentlichen Titelhelden Mephisto". Tobias Morettials Faust bleibt für ihn blass. Hartmann hätte Moretti gegen den "teuflisch guten Konterpart" Gert Voss aufrüsten, hätte ihm einen wilden Trieb, eine Besessenheit, wenigstens einen charakterlichen Tick – und nicht nur eine Glatze – mitgeben müssen, findet Schümer. "So stemmt der nette Moretti, wahrlich kein blasser Anfänger, keinen grauenerregenden Heinrich, sondern einen Mann ohne Eigenschaften. Keinen hirnzermarternden Titanen, sondern ein Fäustchen, in das sich Mephisto mit wachsendem Vergnügen lacht. Der Tragödie zweiter Teil sei dann eine "gnädig zusammengestrichene Version, beliebig wie der Workshop einer Theaterklasse". Als kurz vor Mitternacht dem gesamten Ensemble sein Faustblock endlich vom Herzen gefallen sei, "und sich der neue Chef, den die milde gewordenen Wiener nicht gleich verschrecken wollen, seinen wohlwollenden Applaus abholen kommt, ist das Bürgertum schon lange von seinen besseren Plätzen zum Tafelspitz aufgebrochen".
"Kein großer Abend, aber ein massiver", schreibt Norbert Mayer in der Wiener Tageszeitung Die Presse (6.9.). Und: "Der traut sich was, der Hartmann!" In einem wesentlichen Punkt jedoch hat Hartmann aus seiner Sicht versagt: "Morettis Faust wurde im ersten Teil zu langatmig angelegt. Da gibt es keine magischen Momente, kein Verzweifeln an universalen Fragen, sondern Biederkeit, als ob das Stück im Zürcher Lehrermilieu spielte. Aus einem glatzköpfigen alten Gelehrten, der von allerlei technischen Mätzchen umgeben ist, der den ersten Monolog wie im Diktat in einen Laptop hackt, um diesen dann tatsächlich zu zerhacken, wird in der Hexenküche ein hölzerner junger Faust, der im Vergleich zu Mephisto, aber auch zu Gretchen farblos bleibt."
"An Faust kann man nur Scheitern, die Frage ist nur, wie: kläglich, in Würde oder grandios", schreibt Thomas Götz in der Kleinen Zeitung (6.9.), der größten Tageszeitung in der Steiermark. Matthias Hartmann ist aus seiner Sicht eine Mischung aus grandiosem und würdevollem Scheitern gelungen. "Das ist schon viel, angesichts der Fallhöhe." Besonders groß sei die Neugier gewesen, ob das Besetzungskalkül aufgehen würde. Ein junger Faust, ein alter Mephisto: Tobias Moretti gegen Gert Voss. "Ein ungleiches Kräftemessen, das übel endet: Mephisto fährt mit des Doktors Seele ab." Tobias Moretti wirkt auf den Kritiker indisponiert. "Vielleicht ist der sympathische Mann das aber habituell. Den intellektuell überheblichen, egomanischen Widerling zu geben, muss man wohl ein Stück davon in der Brust tragen. (...) Anders Gert Voss. Der Mann kann alles und muss es nicht mehr beweisen. Lässig streunt er über die Bühne, mit dem schwankenden Gang, den der Filmschauspieler Heath Ledger als Joker geprägt hat. Auch der rot geschminkte Mund und die ungewaschenen Haare erinnern an den Psychopathen aus dem Batman-Film 'The Dark Knight'. Es ist unmöglich, den Blick von diesem Teufel zu wenden. (...) Das Publikum lacht wie sonst nie bei 'Faust'. Matthias Hartmann, der neue Burgtheater-Direktor, habe hoch gepokert, sein Plan sei jedoch aufgegangen: "das nach sechseinhalb Stunden erschöpfte Publikum war begeistert."
Es sei, "als hätte der Zahn der Zeit, den ihre moderne Kostümierung nahelegt, diese Aufführung bis auf die ödesten Banalknochen geist- und sinnfrei abgenagt", schreibt Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (7.9.). Man sehe "keine Gedankenlüstlinge und Fühlungsnehmer, nur lauter Leerläufer, die ihren schnöde zusammengekürzten Versen verzweifelt hinterherklappern. Sieben Stunden lang. Diese dehnen sich in der Tragödie zweitem Teil trotz purem Videoschnipselreigen und dümmlichster Szeneninhaltsangabe statt Szenenspielen ('Der Kaiser beklagt ein investitionsfeindliches Klima', 'Faust steht auf seinem Balkon') endlos lange." Hier werde, so Stadelmaier, "vor Goethes allegorischer Phantasie und Fülle aufs kläglichste kapituliert." Auch Gert Voss findet keine Gnade vor seinen Augen. Denn für Stadelmaier "wurstelt" Voss sich durch die Teufelsrolle derart virtuos selbstgenügsam, "als beule er launisch nölend einen alten, längst abgetragenen Narrenanzug noch einmal aus, an dem aber außer ihm ringsum keiner ein Interesse zeigt."
Als "Chaos in progress, anders gesagt: Augenwischerei", bewertet Barbara Villiger-Heilig in der Neuen Zürcher Zeitung (7.9.) Matthias Hartmanns Eröffnungsinszenierung, in der für sie "das Unzulängliche auf der Bühne Ereignis wurde". Denn "Faust I" verkommt aus Sicht der Kritikerin unter Hartmanns Regie "zu einer in Kästchen verpackten Folge von Häppchen und Gags", der es an einer "wirklichen Idee" fehle. "Hartmann spielt den Text ab Blatt, ohne ihm durch irgendeinen Deutungsansatz inneren Zusammenhang zu geben. So fällt fatalerweise dahin, was das Theater zum Theater machen würde: die Interaktion zwischen den Schauspielern. Jeder spielt hier für sich." "Faust II" sei eine "virtuelle Ausstattungsorgie", und zwar "unter Aufbietung all jener Mittel, die Hartmann anderweitig schon ausführlich zelebriert hat". "Ist er nicht noch etwas zu jung, um sich schon selber zu zitieren?"
"Auf denkwürdige Weise leer" findet Stephan Hilpold im Zürcher Tagesanzeiger (7.9.) die Inszenierung, der er gleichzeitig "Großmannssucht" bescheinigt. Dabei erweise sich der Regisseur allenfalls als Arrangeur. Schön brav reihe er "Bild an Bild: Das karge Studierzimmer. Auerbachs Keller als Pandoras Wunderbox. Die Hexenküche als Zaubermaschine. Die Walpurgisnacht als Schattenspiel." Die besten Momente gehen nach Ansicht Hilpolds auf das Konto der Schauspieler. Im zweiten, auf zwei Stunden gekürzten Teil erweise sich Hartmann dagegen als "Bilderjongleur, der Goethes Text aus dem Geist der Kamera erschafft". Auch hier reihe er Bild an Bild, "doch wo im ersten Teil die Schauspieler in der Nahaufnahme zu sehen waren, geht er jetzt in die Totale. Szenendramaturgie und Figurenidentität sind keine Kategorien mehr, die ihn interessieren."
"Erstaunlich vor allem in seiner absoluten Unbelecktheit von jedes Regie- oder sonstigen Gedankens Befruchtung", ist der Wiener Faust aus Sicht von Peter Michalzik von Frankfurter Rundschau (7.9.). Denn da findet sich seiner Ansicht nach, "auch bei bereitwilliger Suche, keine Idee in diesem Philosophendrama, diesem Weltstück, diesem Gedankenturm." Tobias Morettis Faust sei eine Leerstelle, Hartmanns "Faust" somit ein "Faust" ohne Faust. Katharina Lorenz als Gretchen dagegen sei eine Sensation. "Wahrscheinlich ist das die zugleich zeitgemäßeste und textnaheste Interpretation des Gretchens seit langem." Dass Hartmann sie sich nackt ausziehen läßt, nimmt Michalzik übel, denn das sei "wegen absoluter Sinnfreiheit und definitiver Fleischbeschau bei gleichzeitiger Kunsthuberei so schmierig wie die nackten Weibchen auf der Bild-Zeitung".
"Konzeptuell und intellektuell ist dieser 'Faust I' ein Armutszeugnis," stellt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (7.9.) fest. Lediglich Katharina Lorenz rage "aus der interpretatorischen Nichtigkeit des Abends funkelnd heraus". "Faust II" mache mehr her, habe Hartmann für dieses kaum spielbare Werk hier doch zumindest eine Grundidee und setze dafür "seine in Bochum und Zürich erarbeiteten Multimedia-Fertigkeiten als technisch raffiniertes Erzählprinzip ein." Fazit der Kritikerin: Der Kontinent 'Faust' werde im zweiten Teil zwar nicht urbar gemacht, "aber immerhin: ein Ufer erreicht".
"Einfällchen folgt auf Einfällchen, manchmal bloß Einfallslosigkeit", schimpft Ulrich Weinzierl in der Berliner Tageszeitung Die Welt (7.9.). "Peinlich lästig sind die Mikroports. Derlei ist auf der Bregenzer Seebühne erlaubt, wo man zumindest die Technik des Aussteuerns beherrscht. Mühsal bereitet auf Dauer auch Volker Hintermeiers ansonsten schwarzer, leerer Raum mit den weißen Würfeln jeglicher Größe, die Mephistos Trickkiste symbolisieren und zu Szenenschauplätzen werden. Kubus hin, Incubus her – es nervt, verschärft durch Männerchorgesang, der vergeblich versucht, über das grundsätzlich Unmusikalische der Regie hinwegzutäuschen. Der absolute Tiefpunkt: die Walpurgisnacht in einer Mischung aus Schwimmbecken und Darkroom. Weit hat es das Orgiastische gebracht: Es wird gefurzt und scharf geschissen. Matthias Hartmanns Inszenierung verärgert nicht zuletzt in ihrer intellektuellen Dürftigkeit: Wir finden nicht die Spur von einem Geist, und alles ist Dressur."
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 11. Mai 2024 EU-Nachhaltigkeitsprojekt "Greenstage" gestartet
- 10. Mai 2024 Berlin: Produktionsmanagerin Christine Elbel verstorben
- 10. Mai 2024 Mainz: Europäisches Arbeitsstipendium vergeben
- 10. Mai 2024 Deutscher Amateurtheaterpreis "Amarena" vergeben
- 09. Mai 2024 Oberammergau: Stückl-Uraufführung abgesagt
- 08. Mai 2024 Intendantin Annemie Vanackere verlängert am Berliner HAU
- 06. Mai 2024 Bochum: Sabine Reich leitet ab 2025 das Prinz-Regent-Theater
- 06. Mai 2024 Wiener Festwochen: Kritik an Rede an Europa
neueste kommentare >
-
Hund, Wolf, Schakal, Berlin Wie im Western
-
Sonne/Luft, Stuttgart Gravitas ohne Schwere
-
Frauenquote & Spielplan Weitere Bereiche
-
Frauenquote & Spielplan Jakobiner-Polizei
-
Christine Elbel Schmerz
-
Game on - Zauberflöte, Freiburg Zwischentexte?
-
Frauenquote & Spielpan Behauptungen
-
Theatertreffenauswahl Frauenbild?
-
Die Vaterlosen, München Klaumauk & Späßchen
-
Akins Traum, Köln Hamilton light
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
Dass der Abend natürlich sehr stark von den bekannten Burgstars sowie Katharina Lorenz in die Zuneigung des Publikums getragen wurde, ist nicht abzustreiten. Aber unübersehbar eindrucksvoll erwies sich auch Tilo Nest und in dem Auftritt als Lieschen Yohanna Schwertfeger.
Mit mir hat es eindeutig dem überwiegenden Teil des Publikums gefallen, das bis knapp vor 24.00 Uhr den Marathon ohne bemerkenswerte Ausfälle mitgelaufen ist. Und dann auch für Matthias Hartmann und nicht nur für die Schauspieler anhaltend applaudiert hat.
und zu den stars: voss und co haben da mitgemacht, sie haben nicht gesagt, das ist uns zu fad. die finden das gut. dumme schauspieler gibt's eben auch überall.
Wenn wer raus will, kommt er auch raus! Und die Fluchtwege waren während der laufenden Vorstellung weder von Kameras verstellt noch vom Personal. Ein Kameramann mit Handkamera ist erst beim beginnenden Beifall den recht breiten Gang zur Bühne nach vor gegangen. Und in oberen Rängen und Logen gab es überhaupt keine Kameras und Fotografen.
ad 7/goethelein:
Für mich und die meisten anderen auch sagt wenn Leute klatschen, dass es ihnen gefallen hat.
Ad 6+7) Warum wird denn jetzt in dem Forum versucht anonym etwas anders darzustellen, als es stattgefunden hat. Sie hätten doch gestern Möglichkeit genug gehabt ihr Missfallen auszudrücken. Sind die Verkleinerungsformen "Schillerchen" und "Goethelein" vielleicht gar signifikant für Ihren Charakter???? Und die Angst vor Kameras gar größere Triebkraft als Ihre Überzeugung?
ja und wenn die leut die immer so gscheit reden als hättens sie s erfunden nicht ins theater gehn könnten, über was sollten sie sich dann ihre mäuler zerreissen!!!
lernen sie erst mal gescheit deutsch reden, dann reden wir weiter.
es gibt hier einige, die durchaus "theater machen", wie sie das ausdrücken, und die auch mitreden können. es gibt einige, die herrn hartmann seit seiner regieassistentenzeit in kiel (!!!!) kennen... damals kannte er sehr wenig theaterliteratur. es gibt einige hier im forum, die haben ihm in dieser zeit nachhilfe gegeben. dann traf man sich wieder in hannover, er hatte bestimmte theaterbücher auch und immer noch nicht gelesen, wie er zugab, stattdessen nur dekorativ in seinem büro im theater aufgestellt und ausgestellt. er inszenierte dann einen netten, verspielten leonce und lena abend. mit musikalischen einlagen... er wurde mit einer reduzierten emilia galotti fassung zum theatertreffen eingeladen (ohh, da fällt mir gerade ein: vielleicht war er auch indirekt ein ideengeber für das reduzierungsgehabe eines gewissen herrn thalheimers, der das auch gesehen hatte!?).. egal.- ich begann ihn in bochum dann sorgenvoll weiterhin zu beobachten und zu betrachten, weil er zwar immer noch einen lebenden hund hatte, aber seine inszenierungskunst irgendwo eingefroren wurde und ich fürchtete, diese würde stattdessed auf den hund kommen.. doch in zürich rettete er sich zunächst, er wurde glatter, aber irgendwie paßte das auch zur gesellschaft in der stadt zürich.. obwohl die angestellten dort ob seiner behandlung durch ihn durchaus hin und wieder entsetzt waren...- doch nun bin ich entsetzt: er hat diese schweizerische (?) glattheit weiter verfeinert..., und ist in den mainstream , die beliebigkeit, abgedriftet... er hat verzweifelt die kleinen witzchen der achtziger ohne fundament beibehalten.. doch: für einen dreißigjährigen anfänger im geschäft sind kleine witzchen, musikfetzchen und andeutungen..- sowie die attitude mit der ungelesenen theaterliteratur eventuell sogar eine inszenierungsgrundlage, der beginn eines stils.. doch:
irgendwann sollte man sich stellen: farbe bekennen, inhalte zeigen. sich nicht an der form aufhalten, sondern die form, das handwerk als selbstverständliche spielgrundlage nehmen: leider füchte ich eines: herrn hartmann fehlt der kern. die innerlichkeit, die etwas mehr als form und äußerlichkeit auf der bühne aussagen will. aussagen MUSS. das ist jetzt eine unterstellung. doch ich fürchte, ich hatte das schon in den achtzigern geahnt. er hat nicht wirklich etwas dazugelernt, außer der art und weise, wie man gesellschaftlich aufsteigen könnte.
ich wünsche ihm und seinem team trotzalledem einen super start, weitere chancen zur inneren entwicklung.. und viel mehr tiiiiieeeeefe im künstlerischen ausdruck...
ich bemerke sie sind einer von der verletzenden spezies,
also so ein mensch der glaubt er kenne und könne alles,
nur weiter so!
wieso haben sie sich nicht für den intedantenposten in wien beworben?
oder vielleicht haben sie sich auch beworben und aus ihnen spricht nur der neid, weil sie ihn nicht bekommen haben. sie scheinen aber herrn hartmann sehr gut zu kennen?
aber ist ja auch egal, denn ich lasse mich nicht gern beleidigen und darum werde ich nun die konversation mit ihnen abbrechen.
lg. dr. faust
ich habe schon andere theaterabende erlebt und ich finde man sollte auch herrn hartmann die chance geben, sich in wien zu akklimatisieren.
bitte verzeihen sie mein ungelungenes deutsch, denn ich hab schon etwas probleme mich an die schriftgrösse am computer zu gewöhnen da ich ja heuer doch schon 90ig werde.
ich hoffe sie können mir dies verzeihen.
danke
ihr herr dr.faust
Herzliche Urlaubsgrüße! Euer S.H.
übrgiens entscheidet ein politisches und manchmal auch künstlerisches gremium darüber, ob jemand burgtheaterdirektor wird-- und in keinster weise das piblikum oder gar die kritiker..,..der direktor bleibt im sessel , solange das die politiker wollen. gerade in österreich. und darum habe ich keine sorge um den äußeren weg des herr h.: denn das kann er gut. ich wollte ihm nur innerlich einen kleinen, durchaus liebevollen anstoß geben...wie früher.., :-)
gerecht zu werden ?
Ja, erstens die psychologische Tiefe, nur nicht die einzelnen Figuren tiefenpsychologisch beleuchten. „Ist nicht mehr zeitgemäß“ / gut, weiteres auf keinen Fall und unter gar keinen Umständen Werktreue. Emotionalität auf gar keinen Fall.....!!!!!!!!!!!
Mann könnte endlos fortfahren und würde am Ende genau zu diesen unsäglich endlosen NICHTS gelangen, dass über eine Herde ebensolcher hereingebrochen ist.
Wenn sich die Menschheit über Kunst „darstellende Kunst“ definieren soll, hätte er „Hartmann und seine Marionetten Voss/ Moretti“, sich an diesen Abend für Immer und Ewig selbst ausgelöscht.
Die armen Schauspieler und der böse dumme, dumme Hartmann. Die Armen konnten sich ja nicht wehren !
Wurden unter Maschinengewehrsalven zu dieser …...gezwungen. War das so ? Wir werden`s nicht herausfinden. Ich entlasse einen Gert Voss nicht aus der Verantwortung!
Warum Herr Voss? Kasperl, ja aber warum nur Kasperl, ist das der Höhepunkt Ihrer Karriere ?
Eine völlig eindimensional gespielte Karikatur ohne Charisma / Persönlichkeit nur diese eine Schiene, ihre Interpretation in allen Ehren.
Das wäre ja gut, aber als Überbau ! Wo ist die Bestialität, Gefährlichkeit, Dämonie, die der Unterbau dieser vordergründigen Interpretation sein sollte? War Ihnen das zu viel Arbeit ? Das ist also aus einer einstmaligen Theater Ikone geworden.
Ja, ja ...Moretti könnte gut sein, das ist mein Ernst, wäre da nicht der schauspielerische Größenwahn. Wann, lieber Herr Moretti haben Sie das letzte mal ihr Leben von einer Reaktion ihres Partners auf der Bühne abhängig gemacht? Zurück ..zurück ich mein das im Ernst! Ihr Ende steht neben Ihnen auf der Bühne.
Wo ist der Schmerz, der den Faust antreibt, niemals zur Ruhe kommen lässt ?
Wo Herr Moretti ist Ihr persönlicher innerer Schmerz – Faust – Zorn ? Kein Mensch verlangt von den Herrschaften eine antiquierte Inszenierung. Aber der Mensch besitzt eine Seele, lieber Herr Hartmann, eine Seele die auch heutzutage noch schmerzt, auch im 21.Jahrhundert gibt es so etwas wie eine denkende fühlende Körpergeist - Seele. Auch ein Moretti mit Mac könnte mehr schauspielerischen Tiefgang produzieren, tja Könnte!
Das er es nicht getan hat, ist wahrscheinlich Ihr Verdienst Herr Hartmann, herzlichste Gratulation!
Und das Gretchen! Liebe Frau Lorenz, wenn Sie das nächste mal Widerstände spüren, dann kämpfen Sie! Kämpfen Sie! Ihr Instinkt war richtig, aber Sie sind über alle inneren Zweifel hin weggegangen. Auch eindimensional gedacht/ gelebt dieses Gretchen. Zu viel Äußerlichkeit, viel zu wenig tief innen drinnen empfunden.
Einmal noch so eine Sendung vom ORF (Faust geballt) und ich muss mich auf der Stelle übergeben.
Für wie blöd halten Sie mich eigentlich ? Das nicht mehr ! Es reicht schon dem Burgtheater beim geistigen Absterben zuzusehen, aber der begleitende Trauermarsch war wirklich eine unglaubliche
Provokation.
Zu welchen geistigen Niederungen werden Sie uns noch führen, die volks-dümmlichen
Menschleins alle miteinander. Eine bange Frage?
Die Antwort bleibt wie ich zutiefst hoffe offen..
oder frau die burg leitet ist egal, sie wird trotzdem weiterbestehn,
amen
also an alle, die die aufführung genossen haben - lasst euch den genuss nicht verderben - und denkt dran, wie schön es für kritiker ist, dass sie nie den beweis erbringen müssen, dass sie es besser können...
Gerade weil ich Verständnis für Widerwillen gegen Frontalunterricht in der Schule oder Pressekampagnen-Terror habe, wenn wer versucht, seine persönliche Meinung fast obsessiv den anderen Zusehern und Lesern aufzudrängen, dann sind Sie es, liebes goethlein und liebes schillerchen. Auch andere als Sie haben das Recht eine Empfindung zu haben, etwas zu mögen, nachdem auch sie "geguckt haben".
Denn ...noch immer bin ich verwundert, dass Sie nicht kräftiger und lauter Ihr sichtlich sehr stark entwickeltes Missfallen, fast persönlich verletzt klingendes Veto im Theater, am Premierenabend kund getan haben. In Peymanns-Zeiten (und da haben Sie recht) war die Diskussion, die Stellungsnahme pro und contra so hitzig, dass keiner seinen Standpunkt unbemerkt "den Bach runter gehen ließ". Flugblätter wurden gestreut, Demonstrationen veranstaltet, Missfallen gebrüllt, Diskussionen gestürmt, Aug in Aug mit einem beglückten, enthusiastischen und liebenden Publikum. Das alles wäre auch Ihnen offen gestanden. Persönlich, offen, mutig!
Die sozialpolitischen Diskussionen, die er damals ausgelöst hat, gingen darum, ob man nicht standesgemäß gekleidet (Jeans ) ins Burgtheater gehen darf, ob er Freikartenkontingente an Beamte radikal zurückfahren darf und diese Karten an Studenten und gar erst Arbeitslose "verschleudert" wurden. Viele des "besseren" Publikums" empfand es als Zumutung, dass man sich mit billigen Karten nach vorne setzen durfte, wenn ein Platz frei blieb. Oder dass man sich nachher erstamlig im Foyer zusammensetzte, um noch über Theater zu reden (ganz schrecklich!) statt sich weiterem Genuss (und Theater hatte damals noch Genuss zu sein!) im Restaurant hinzugeben!
Über die Bühne gab es vor allem Aufregung, wenn die sogenannten Nestbeschmutzer Bernhard, Turrini und Jelinek das saubere und freundliche Österreich-Image beschädigten, wenn deutsche Stadttheaterschauspieler (heute Ehrenmitglieder des Burgtheaters) weniger nasal und weich sprachen als gebürtige Österreicher und wenn gar (manchmal) ein nackter Hinterteil zu sehen war.
Die Zahnspende hat in Österreich, glaube ich, überhaupt niemand interessiert. Österreich ist nämlich - wie man liest - Weltmeister im Spenden.
@frau peschina: wie schon gesagt, wenn es Ihnen gefallen hat, versuche ich Ihnen das sicher nicht auszureden, sondern respektiere das völlig. ernsthaft.
ich habe auch wirklich nicht vor, jemanden mit flugblättern zu beschmeißen, ich war wohl eher erschrocken. das kann ich ja nicht vorher wissen.
@applausbarometer: ich hab gebuht. war nicht die einzige, aber bravos gabs auch. wenn schon wohl eher fürs ensemble. fassen wir zusammen: es war keine eindeutigkeit zu finden, das wäre ja auch noch langweiliger.
alles klar?? (und ich empfehle trotzdem ein nachhilfeanfängerseminar an einer theaterwissenschaftli einrichtugn, dann hielten sie hier jetzt meine knappe zeit zum erklären nicht auf..)
@ norbert retter: Sie argumentieren wie ihr erzkonservativer Namensvetter Norbert Bolz. Für den ist Konsum alles (vgl. "Das konsumistische Manifest").
In Ihrem Fall kann der Theaterkonsum im Abonnement wohl kurzzeitig Ihr Weltbild erschüttern, aber dann gehn sie wieder nach Hause, und alles ist in bester Ordnung: Ihre Frau hat geputzt und gekocht, das Bett ist vorgewärmt, und flugs verwandelt sich die Hausfrau in ein Sexobjekt. Was für ein Theater! Toll!
Zu Shakespeare: Klar, dessen Stücke sind auch heute noch lebendig, weil Shakespeare nicht wertet bzw. weil man da immer andere Schichten an die Oberfläche holen kann, je nach Generation bzw. situativem Kontext. Ich könnte mir vorstellen, dass Bernhard Schütz eher darauf abzielen wollte, ob Shakespeare etwas mit seinem persönlichen Leben zu tun hat. Nehmen wir mal Hamlet: Dessen Probleme werden oftmals als universell-philosophische Fragen interpretiert und nicht auf eine konkrete Situation bezogen. Man muss da aber differenzieren: Bei einem Bankmanager stellt sich diese Frage nach dem Sein oder Nicht-Sein sicherlich auf eine völlig andere Art und Weise als bei einem Obdachlosen. Das heisst, die Stücke Shakespeares repräsentieren keine überzeitlich gültige Idee, sondern sie müssen im jeweiligen Zeitkontext immer wieder neu gelesen werden - was ja auch passiert.
NEIN, eben nicht. Und genau deswegen sind die Pollesch-SchauspielerInnen auch alles andere als Papageien, weil sie sich niemals so bescheuert selbst demütigen würden, indem sie sich für die Rolle eines Gretchens oder einer Ophelia vom Regisseur zurichten lassen. Im Gegenteil, bei Pollesch spüre ich diese geballte, ungehemmte und unbeschreiblich attraktive weibliche Energie, das sollte sich jedes verhuschte Hausfrauenblondchen mal auf den Einkausfzettel schreiben.
Dagegen ist die Version der quasi lacanschen Frau (Charlotte Gainsbourg) im "Antichrist" von Lars von Trier weitaus zeitgenössischer.
@ norbert retter: Vom Fernsehen war hier nicht die Rede.
aber ich kann es verstehen, das ihnen im "antichrist" die verstümmelung des mannes durch eine Frau gefallen hat. das beweist einen Selbstbehauptungswillen, der allerdings mit Selbstzerstörung gepaart ist.
Vor diesem Hintergrund ging es mir darum, dass ich persönlich Charlotte Gainsbourg als Personifikation des männlichen Fantasmas bzw. des Angst-Blicks von Lars von Trier auf die weibliche Sexualität als weitaus treffender empfinde als die antiquitierte Gretchenversion. Andererseits könnte man jetzt natürlich auch die Differenz einer Frau von heute zu Goethes Version des Gretchens mitspielen. Vielleicht auch das, was sich in der Differenz wiederholt, nämlich die Machtbeziehungen zwischen den Geschlechtern in einem gesellschaftspolitischen Kontext, welcher durch die Trias von (männlicher) Macht, Geld und Sex bestimmt wird. Da ist es dann ganz schnell vorbei mit dem (weiblichen) Glauben (an Gerechtigkeit). Wenn Wahrheit zur Verhandlungssache wird, sind Goethes Ideale nur noch schöner (moralischer) Schein, um die eigentlichen Machtstrukturen zu verdecken.
Mit Matthias Hartmann im Bund? Oh Gott, aber ich steh doch gar nicht auf Porschefahrer! Zuviele Unfälle oder auch "Die Verachtung" und "Weekend" nach Godard.
Neben zeitgenössischer Literatur, wird es immer Klassiker geben.
Man muss Faust im Kontext zu seiner Zeit sehen, da war das Avantgarde bzw. provozierend. Da geht es auch um Poesie und Literatur und nicht nur um Aussagen oder Modernität. Und was ist Modernität?
Durch Wiederholungen ensteht keine neue Wahrheit.
Aufgrund der Wiederholungen tritt Rene Pollesch momentan auf der Stelle.
Würden Frauen und Männer mehr zu ihrer Sexualität stehen und diese ausleben, würde es vielleicht ohne Machtspiele gehen und Unterdrückung. Wobei hier immer die Frage im Raum steht, wer weniger oder mehr Macht ausübt. Es gibt eben viele Männer & Frauen, die nicht mündig sein wollen. Sie passen sich den Strukturen der Gesellschaft an, in der es immer um Unterwerfung oder Rebellion geht. So gesehen könnte man Faust auch in einem klinischen Labor versetzt spielen. Neben dem Text könnten andere Texte von Faucoult, Lacan, Freud wirken. Eine Art Therapie, mit dem Chor der Öffentlichkeit, die Therapierunde verführen will, aus einem Machtwillen heraus. Da steht die Frage an, ist der Mensch mündig und stark genug, um Verantwortung zu übernehmen für sich selbst und endlich dem Begriff Freiheit neues Leben einhaucht und nicht nur einem Mythos nachrennt, den er Freiheit nennt.
Es geht hier um die Angst des Menschen vor der Freiheit.
Einzige Alternative: Schweigen im Netz - dann fahre ich nicht.
Zu "Hamlet": Wer diesen äusserst komplexen, vielschichtigen und widerspruchsreichen Text Shakespeares allein auf das Thema des Todes, von dem wir alle irgendwann mal betroffen sein werden, eindampft, der hat für mich das Entscheidende übersehen. Hamlet verzweifelt doch nicht allein am Tod seines Vaters, sondern an den korrupten Machenschaften der Regierung seines Onkels, welcher wortwörtlich über Leichen geht, um weiterhin und ungehindert die eigenen Machtinteressen durchsetzen zu können. Nicht nur in einigen osteuropäischen und asiatischen Ländern, sondern ebenso bereits im westeuropäischen Italien Berlusconis wird das genauso praktiziert. Da herrscht eine autokratisch gesteuerte Mediendiktatur, was mit Politik im Sinne des kommunikativen Aushandelns bzw. Konfrontierens von Positionen nichts mehr zu tun hat. Es ist doch das, worunter Hamlet leidet, dass er gegen diese Seilschaften zwischen Machtpolitik, Ökonomie, Medien und Sex als Einzelperson nicht ankommt.
Ein weiterer Hinweis zum Unterschied zwischen Kunst und Kommerz folgt hier und an
@ norbert retter: Kommerz ist, wenn Gemeinsamkeit NUR NOCH im Propagandistischen und in der Verkaufsstrategie liegt, dessen sich jeder Künstler bewusst ist. Man kann das aber mitthematisieren. Zitat aus "Sternstunde / Die Revolution der Bärte von Freundeskreis / Max Herre": "[...] weil erst das kapital die Rebellion vermarktet / siehst du die analogie auch wir sind teil dieses spiels / man steht im rampenlicht und sieht nicht wie es schatten wirft / auch plattenfirmen sind multinationale monopole / musik ist nur ne ware sie akkumulier'n kohle / auch wir sind teil jener gesellschaft mit beschränkter haftung / kein mensch ist mehr wert als sein mehrwert ha'm wir nur noch vor profit achtung [...]". Fragezeichen.
Ihr Vorschlag des ungehemmten Auslebens "der Sexualität" widerspricht übrigens der Position Foucaults. Denn auch das, dieser Befehl der Überschreitung aller Verbote und Tabus, impliziert wieder nur einen Machtaspekt, nämlich den, nun ständig über "den Sex" als vermeintliche Gegenstrategie zur Macht zu reden anstatt nach Foucault die "ars erotica", die "Körper und die Lüste" sprechen zu lassen. Nur Letzteres bedeutet selbstbestimmte Freiheit. Der fremdbestimmte Befehl "Genieße!" ist dagegen wieder nur eine Machtkonstruktion.
Die selbstbewusste Frau
In einer freien Sexualität muss keiner der Unterlegen sein, Mann und Frauen müssen eben den Polis Herrschaft überwinden, das liegt aber auch an der Frau, dass sie oft die Aktivität dem Mann überlassen. Hier stellt sich die Frage, dass der Mann der aggressivere ist. Die Frau hat aber die Freiheit sich aktiver in die Sexualität einzumischen. Sie kann fordern, handeln, sich der Mündigkeit stellen, diese Freiheit besitzt jedes Individuum. Wer von „Körper und Lüste „ redet, spricht auch von Genuss. Eine Sexualität ohne Genuss wäre reduziert auf den Akt der Fortpflanzung. Was sie dem Genuss entgegenstellen ist eine pastorale Mäßigung.
"Glauben wir ja nicht, daß man zur Macht nein sagt, indem man zum Sex ja sagt; man folgt damit vielmehr dem Lauf des allgemeinen Sexualitätsdispositivs. Man muß sich von der Instanz des Sexes frei machen, will man die Mechanismen der Sexualität taktisch umkehren, um die Körper, die Lüste, die Wissen in ihrer Vielfältigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen die Zugriffe der Macht auszuspielen. Gegen das Sexualitätsdispositiv kann der Stützpunkt des Gegenangriffs nicht das Sex-Begehren sein, sondern die Körper und die Lüste."
Das, was Sie da machen, enstpricht nun aber leider genau dem, was Foucault kritisch analysiert. Sie bauen einen Diskurs um "den Sex", Sie kategorisieren und schematisieren und stellen der vermeintlich natürlichen "passiven weiblichen" die vermeintlich natürliche "aktive männliche" Sexualität gegenüber. Damit konstruieren Sie eine Machtbeziehung, nach welcher die Frau automatisch willig sei, sobald sie in einem kurzen Rock herumläuft. Entschuldigen Sie, ich habe keinen Hunger.
Davon einmal abgesehen, meines Erachtens kritisiert Foucault das überholte Denken zwischen "denen da oben, die die Macht haben" und "denen da unten, die sich entweder nur der Macht unterwerfen oder dagegen rebellerien können". Denn nach Foucault arbeitet jedes menschliche Subjekt an den Ideologien und Machtkonstruktionen mit, in welchen es sich bewegt, und zwar zwangsläufig. Schließlich wird jedEr in eine bereits existierende Sprachordnung hineingeboren, über welche die Institutionen und Praktiken der Macht allererst hervorgebracht werden. Daher kann auch nur über die Veränderung des sprachlichen Diskurses eine Veränderung des Bewusstseins und der Institutionen mobilisiert werden. Es geht um den kommunikativen Austausch von klaren Argumenten und Positionen. Ihre Position dagegen erscheint mir leider ein wenig verworren, aber vielleicht liegt das ja auch daran, dass Sie beständig versuchen, "sich aus der Gefangenschaft ihres eigenen Wesens zu befreien".
es gehört schon viel dazu, wenn man goethe ein macho-schwein nennt. ich habe teile von "faust-geballt" im fernsehen gesehen. die sehnsucht nach gründgens wuchs und wuchs. voss braucht zur erfrischung manchmal eine lockere, flockige rolle. so wie bei "mitte ende august".
@ Gretchen: Sie haben da ja ein hübsch festgefahrenes Weltbild, aber nichts für ungut. Bleiben Sie herzallerliebst, selbst wenn Sie gefoltert werden sollten. Übrigens, das Schreiben kann die Wut in Worte und Bilder bannen. Wir wollen doch nicht die katastrophische Verausgabung der verdrängten Anteile des Selbst im totalen Krieg, oder?
zur nachtkritik-redaktion kann ich nur mit faust sprechen: es tut mir schon seit langem weh/dass ich euch in d e r gesellschaft seh. goethe lebt! aber jda wird weiterfummeln und schreiben.
"und solang du das nicht hast/dieses: stirb und werde!/bist du nur ein trüber gast/auf der dunklen erde." das ist zwar nicht faust, aber von goethe.
jda reitet also, das ist schön, das ist wild, das ist groß.
wenn es diesen butler von jda tatsächlich gibt, was ich nicht glaube, dann hat der masochismus eine solche ausprägung erhalten, dass für dieses phänomen ein neues wort gefunden werden muss. Ach, welch feudale strukturen da noch herrschen! ich würde den tee über den rock/die hose schütten.
@ Toni Bräuch: Wenn Sie "Unendlicher Spaß" als "brutale Schreibe" ansehen, dann haben Sie etwas grundsätzlich nicht verstanden. David Foster Wallace ging es ganz sicher nicht um "brutale Systemkritik", im Gegenteil, er war ein hochgradig reflektierter, radikaler und humorvoller Skeptiker. Zitat Foster Wallace: "The really important kind of freedom involves attention, and awareness, and discipline, and effort, and being able truly to care about other people and to sacrifice for them, over and over, in myriad petty little unsexy ways, every day."
das goethe-zitat stammt aus "selige sehnsucht." darin geht es um die möglichkeiten des Individuums, religiös und erotisch, und nicht um einen starken staat. der interessiert mich nicht. jda, wahrscheinlich kennen sie nicht andré gides autobiographie "stirb und werde." dieses prinzip ist wie eine art entelechie, ein sich-selbst-auswickeln oder entfalten, angedeutet schon im theaterroman "wilhelm meisters lehrjahre". "wie man wird, was man ist", wie nietzsche sagen würde. aber das scheinen sie nicht zu begreifen.
Das gretchen kann man übrigens auch selbstbewusst spielen, so wie katharina lorenz (siehe nachtkritik oben). ich kenne allerdings nur Fernsehausschnitte.