Presseschau vom 23. April 2016 – In der FAZ gratuliert Botho Strauß seinem Kollegen William Shakespeare und basht das postmoderne Theater
Besser nicht ins Theater gehen!
Besser nicht ins Theater gehen!
23. April 2016. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gratuliert Botho Strauß seinem Kollegen William Shakespeare: "Auf dass die ganze Welt voll Shakespeare wär, und sonst gäb’s nichts!“ Einem jungen Autor würde er raten: "Geh, so tief du kannst, in den Shakespeare hinein, und lerne dabei, noch tiefer zu gehen. Trainier dein Gemüt. Nicht etwa um Dramatiker zu werden, das wäre verlorene Liebesmüh. Nein, um deinen Herzschlag zu erhöhen, das Erschaudern zu erlernen, Menschen bei dir einzulassen, die über das uns geläufige Menschenmaß groß sind. Um schließlich – vielleicht die wichtigste Lehre – es kaum begreifen zu können, was sich da alles abspielt. In welchem Prunk die Sprache steht. Wie Dialog allein entscheidet über Sieger und Besiegte.“
"Dort unten toben die Wichtel"
Dann aber teilt Strauß erst mal gegen die Postmoderne und ihre "fadenscheinige Intelligenz" aus. "Zumal das Theater hat im Falle Shakespeares das Ausweichen mit vielen Mitteln betrieben, hat Pathos durch Comedy-Scherze, die komplexe Metapher durch platten Jargon ersetzt. Stets wird etwas bravgemacht der Gegenwart zugeführt, das eigentlich Gegenwart vergessen lassen und entführen sollte in die Sagenwelt uns entschwundener Formen und Empfindungskräfte. Mit anderen Worten: Um je einer Überwältigung durch Shakespeare zu begegnen, sollte man besser nicht ins Theater gehen. Dort unten toben die Wichtel, die zu sich hinab verkleinern, wohin sie nicht aufschauen können.“
Lawrence Olivier und das N-Wort
Einzig im Werk Shakespeares sei man einer Religion des Menschlichen nahe, vor der man zu knien habe, statt zu strampeln. "Von Rechts wegen müsste auf dem Theater immer szenische Urzeit herrschen, niemals Fortschrittszeit und Gegenwart. Für das Erlebnis der Überwältigung wird ein théâtre imaginaire, wird nur noch die inszenierende Lektüre gut sein." Oder man sehe sich "in behelfsmäßiger Inszenierung den vollendeten Othello des Lawrence Olivier" (sic!) an – eine Verfilmung, an der Strauß ausdrücklich die rassistisch interpretierbaren Elemente lobt und in seiner eigenen Wiedergabe gezielt das N-Wort benutzt.
Strauß' Fazit: "Also muss man sich das Erlebnis Shakespeare zusammensetzen aus Lektüre (Original und Schlegel/Tieck), Verfilmung, Erinnerung an ernste Schauspielkunst." Bei letzterer denkt er an seinen Freund Luc Bondy und ihr letztes, unvollendetes "Othello"-Projekt – die Erinnerungen daran beschließen den Text.
(geka)
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An die Eleganz, Präzision und Direktheit von Shakespeare kommt das nicht ran.
Was Shakespeare ausmacht , ist dass er seiner Zeit voraus war,universal, grenzüberschreitend ,zeitlos. Herr Strauß ist eher ein rückwärtsgewandter, sich selbstbemitleidender Nostalgiker.
Sein Rat klingt wie aus einer Telenovela entnommen.Wie Coehlo-Hellersche Lebensweisheiten.
Könnte es sein, daß dieses Portal längst alle Bande zu dem, was Theater mal war, gekappt hat? Daß es sich vor allem für ganz doll authentische Multikulti-Gruppen im Hinterhofbrettl interessiert, besonders, wenn deren Werke total betroffenmachend queer durchgegendert sind oder sonstwie trashig daherkommen? Daß es also das ehemalige "bürgerliche" Theater nur noch gelangweilt zur Kenntnis nimmt, wenn dieses nicht irgendwelchen angeblichen Konventionen und überholten Traditionen den total coolen Video-Stinkefinger zeigt, alle Texte frontal ins Publikum sprechen läßt, die Stücke rückwärts spielt und Handlung, Plot, Story, also ein stringentes, nachvollziehbares Narrativ, durch privatistisches und beliebiges Assoziationsgehopse der Regietheatraliker ersetzt?
Daß dieser Redaktion kein einziges Wort zu Shakespeare eingefallen ist, daß sie offenbar gar keine Notwendigkeit gesehen hat, dazu irgendwas zu machen - das ist peinlich und erbärmlich. Und es zeigt deutlich, wie heruntergekommen diese Kunstform Theater und ihr Umfeld insgesamt inzwischen ist, wenn sie ihre eigenen Ursprünge und Quellen nicht einmal mehr für der Rede wert hält.
Könnte es sein, daß Botho Strauß recht hat?
(Daß er gleichzeitig die schreckliche Bondy-Lear-Inszenierung am Burgtheater als Offenbarung preist, nimmt seiner Kritik allerdings Einiges an Überzeugungskraft.)
das darf doch kein Kriterium sein.
Weil eine Ihrer RezensentInnen diese Lear-Inszenierung als "schrecklich" empfindet, weil sie ihren individuellen Kriterien nicht entsprach, sollte Sie doch nicht abhalten, sondern gerade bewegen, sich mit Shakespeare noch einmal auseinander zu setzen.
Ich würde mich freuen, wenn Sie da einige Gedanken nachreichen, weil es sonst wie eine Distanzierung aussieht.
Und bitte kehren Sie zurück zu einer sanften Objektivität, für die wir nachtkritik so sehr schätzen gelernt haben in den letzten Jahren.
(Lieber André,
der Klammersatz in #3 stammt von "Ein Erstaunter", nicht von der Redaktion. Wir kennzeichnen unsere Anmerkungen in Klammern jeweils mit einem entsprechenden Hinweis.
Beste Grüße, nachträglich, die Redaktion)
Pardon - der eingeklammerte Nachsatz stammt nicht von der Redaktion, das war mein eigener Kommentar, mit dem ich Botho Straußens in Vielem berechtigten Text etwas relativieren wollte: SO wie bei diesem Lear kann das bessere Shakespeare-Theater nun auch wieder nicht aussehen.