Trash, Spektakel und ein Präsident

16. Dezember 2023. An der Berliner Volksbühne will das Theater-Kollektiv Glossy Pain eine ruppige Attacke reiten gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Und kommt über eine lärmende Theatersatire nicht hinaus.

Von Michael Laages

"Die Maskeraden des D. Oregan" von Glossy Pain und Yade Yasemin Önder © Arno Declair

16. Dezember 2023. Am Ende muss auch noch der Kanzler ran. Im Fake-Video (und mit einer Stimme, die sich die Computer-Simulation eher bei Helmut Schmidt selig geklaut zu haben scheint) entschuldigt sich Olaf Scholz präventiv beim Präsidenten der Türkei für all das Ungemach und die umfassende Beleidigung, die Recep Tayyip Erdoǧan durch dieses Stückchen Theater erlitten haben muss. Das ist zwar eine launige Schluss-Pointe – aber nötig wäre sie nicht. Denn "Die Maskeraden des D. Oregan" ist derart erschreckend harmlos, dass nicht mal ein überempfindlicher Autokrat wie der im Namen "D. Oregan" leicht durchschaubar gescrabbelte Erdoǧan sich durch so etwas beleidigt fühlen dürfte.

Zumal außerhalb der Türkei-kundigen Gemeinde ohnehin nicht jede und jeder umstandslos verstehen muss, dass es um den Potentaten von Ankara geht – das szenische Projekt des Kollektivs Glossy Pain mit einem Text der Autorin Yade Yasemin Önder – mit Geldern des Hauptstadtkulturfonds entstanden und an der Volksbühne nur zu Gast – ist ein schönes Beispiel für Theater, das dringend eine Gebrauchsanweisung benötigt. Ohne die geht an diesem Abend wenig bis gar nichts.

Comic über Erdoǧans politischen Aufstieg

Also: Can Dündar, der in Berlin lebende türkische Schriftsteller und politische Aktivist, Gast auch bei der Premiere, hat vor langer Zeit mal mitgearbeitet an einem Comic des Zeichners Anwar; darin haben beide die Geschichte vom Aufstieg des einstigen Bürgermeisters von Istanbul und mittlerweile quasi unabwählbaren Präsidenten der Türkei erzählt. Erdoǧan selber wiederum hat als Twen auch mal Theater gespielt – und so haben ihn die Autorin Yade Yasemin Önder und das Glossy Pain-Kollektiv jetzt in einen immerzu brüllenden Theater-Menschen verwandelt, der die sehr schnell sehr nervende Macke hat, unablässig in ziemlich schlechten Reimen zu sprechen. Das hält sogar der unbeirrbare Förderer von Herrn D. nicht aus – das ist "Ar Baken", in dessen Namen sich mühelos Necmettin Erbakan entdecken lässt, aus dessen erzkonservativer Klientel von Wählerinnen und Wählern sich historisch auch Erdoǧan und die AKP-Partei bedienen konnten auf dem Weg zur haltbaren Macht.

Maskeraden 2 Arno DeclairAufstieg gelungen: Nicolas Fethi Türksever als Neu-Intendant und Erdoǧan-Lookalike © Arno Declair

"AKP" steht gegen Ende übrigens über dem Theater, das Oregan von Baken übernimmt: "Akademie für Kunst und Poesie". Naja. Altmeister Baken fand "Schau-M-spielhaus" angemessener und legte extrem großen Wert auf das "M" im Titel. Warum eigentlich? Jedenfalls prangen alter wie neuer Name per Video immer wieder auf der optischen Schablone, die auf dem Vorhang ein bisschen so aussehen darf wie die richtige Volksbühne.

Wie geschmiert zur Machtübernahme

Die Inszenierung findet statt im legendären "3. Stock" der Volksbühne, eine der wichtigsten Keimzellen widerständigen Theaters schon vor der Castorf-Zeit. Große weiße Blöcke bespielt das kräftig kämpfende Ensemble im Vordergrund, dahinter findet sich in halber Höhe und hinter dem Vorhang (der als Projektionsfläche dient) die zweite Spielebene. Meist ist dort oben der Noch-Intendant Ar Baken im Einsatz. Auch er ist vorzugsweise mit lärmendem Gezeter beschäftigt: als Theaterleiter, wie er im Klischee-Buche steht. Wenn Herr Oregan überhaupt irgendetwas vom Ziehvater Baken gelernt hat, dann Brüllen. Kurzfristig lernt er auch, reimfrei zu sprechen – vergisst das aber bald wieder.

Der Alte übrigens hat einen sehr speziellen Tick, der mit dem Theaterrahmen aber überhaupt nichts zu tun hat und darum nur verwirrt – er hängt der "SelfCare"-Bewegung an, umgibt sich und seine Anhänger also immer mit Düften und Sprays, Cremes und Salben. Er schmiert sich auch selber unentwegt mit irgendwelchem hautstraffenden Zeugs ein. Oregan findet das eher nicht so wichtig; erst zum Finale, nach der Machtübernahme und nachdem Baken abserviert und quasi in einer Creme-Lawine verschwunden ist, startet der neue Chef im "AKP"-Theater seinerseits den Schmier-Angriff: reibt Arme, Körper und Gesicht mit ganz viel bunter Farbe ein. An spektakelndem Trash ist der Abend sehr reich.

Durcheinander von Macken, Marotten und Motiven

Einig waren sich die beiden Theater-Potentaten immer in der paranoiden Angst vor künstlerisch und politisch oppositionell agierenden Gruppen im Lande, den "Geklärten" (womit wohl "Aufgeklärte" gemeint sind); auch immer wieder auftretende "Irritationen" gefallen den herrschenden Kerlen gar nicht. Eine der Schauspielerinnen, mit denen Oregan brüllend zu proben vorgibt, ist jung und heißt Lin; sie sympathisiert wohl mit der Opposition. Mary ist die ältere, erfahrene Protagonistin, höchst eitel und immer ganz sicher, dass sie gut und gern auch woanders arbeiten könnte; vierte im Bunde (Oregan muss ja unbedingt selber die Hauptrolle spielen!) ist die Hospitantin, die in einfacher Lautverschiebung nicht etwa "Hospi" heißt, sondern "Hopsi". Auch eine Art "Theaterpolizei" tritt auf, mit Pickelhauben auf den Köpfen – sie schickt Ar Baken irgendwann (und eher überraschend) in den Ruhestand.
So sind halt die Scherze an diesem Abend.

Maskeraden 2 Arno DeclairFanatischer Anhänger der "SelfCare": Ercan Karaçaylı (re.) als Ar Baken, Nicolas Fethi Türksever (li.) als D. Oregan © Arno Declair

Der Alte lässt den Ziehsohn das eigene Lieblingsstück inszenieren – und die Gebrauchsanweisung sagt, dass genau an diesem Stück einst der echte Erdoǧan gearbeitet hat. Aha. Als Oregan sich vom Alten abnabelt, kriegt das Stück wie das Theater selbst einen neuen Namen. Tja. Aber mittlerweile tritt der Jung-Herrscher immer öfter im feinen Politiker-Zwirn auf, und eine Stimme aus dem Off (wohl sein klügeres Erdoǧan-Ich) rät ihm, auch mal nett zu sein zum Theater-Team.

Wer will, mag sich einlassen auf das Durcheinander aus Macken, Marotten und Motiven – aber weder Önders Text noch Stolls Inszenierung gelingt es, irgendetwas mit irgendetwas anderem in Zusammenhang zu bringen. Das Stück hat keine verlässliche, dramaturgisch agierende Sprache; und dagegen hilft auch das Gelärme nicht, das die Regie über alles kippt. Einmal ist von "glitzern" und "funkeln" die Rede – das gilt für nichts an diesem Abend.

Die Maskeraden des D. Oregan
Idee und Konzept Katharina Stoll, Yade Yasemin Önder und Angelika Schmidt
Text: Yade Yasemin Önder, Regie: Katharina Stoll, Dramaturgie: Angelika Schmidt, Bühne und Kostüme: Wicke Naujocks, Video: Anwar, Musikalische Leitung: Johannes Gwisdek, Licht: Diana Swieca, Choreographie: Jack Willenbacher.
Mit: Fatima Çalışkan, Lola Fuchs, Ercan Karaçaylı, Nicolas Fethi Türksever, Cansu Şîya Yıldız.
Premiere am 15. Dezember 2023
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.volksbühne-berlin.de

 

Kritikenrundschau

Glossy Pain, hier in anderer personeller Konstellation als bei ihrem Hit "Sistas!", bekämen ihren an und für sich interessanten Stoff diesmal "handwerklich gar nicht in den Griff", berichtet Barbara Behrendt auf rbb Kultur (16.12.24). Die verschiedenen Ebenen fänden "nicht wirklich zusammen", die satirische Engführung des deutschen Theaterbetriebs mit der türkischen Politik leider "weder lustig", noch gehe sie inhaltlich auf. Und überhaupt: "Was soll das jetzt heißen?", fragt die Kritikerin rhetorisch: "Das deutsche Theater ist so diktatorisch wie die türkische Politik? Ernsthaft?" Als Fazit gibt`s einenunmissverständlichen Tipp: "Ich würde empfehlen, dann doch lieber die Graphic Novel von Can Dündar und Anwarzu lesen. Das sind wirklich 350 Seiten detaillierte politische Aufklärung: ziemlich komplex, aber deutlich lehrreicher als diese Schaumschlacht mit diesem Schaumspielhaus."

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