Rom - Volkstheater Wien
Finster klingt der Kampf um Macht
21. April 2024. Voll Spannung erwartet wurde in Wien Luk Percevals neues Shakespeare-Medley. Vier römische Tragödien an einem Abend, in einer Fassung von Julia Jost. Eine Sensation wie die "Schlachten" vor einem Vierteljahrhundert?
Von Andrea Heinz
21. April 2024. Es sollte wohl ähnlich monumental werden wie vor 25 Jahren "Schlachten!", mit dem Luk Perceval bei den Salzburger Festspielen acht Königsdramen Shakespeares in einen Abend packte – oder besser einen Tag, das Ganze dauerte 12 Stunden. "Rom", das nun am Wiener Volkstheater uraufgeführt wurde, umfasst Shakespeares Tragödien "Titus Andronicus", "Coriolanus", "Julius Caesar" und "Antonius und Kleopatra", überschrieben von Julia Jost, die auch Zitate und Gedanken von David Bowie, Elias Canetti, Ingeborg Bachmann, Lenin, Marx und Klaus Theweleit hineinpackte. Man merkt schon, hier wurde viel gewollt.
Die erste Probenphase war bereits vor gut einem Jahr beendet. Mit welcher Spannung der Abend erwartet wurde, zeigte nicht zuletzt die gut und prominent besuchte Premiere. Mit weniger als drei Stunden kam das Publikum hier jedenfalls deutlich rascher wieder von dannen als 1999 in Salzburg. Manche suchten dennoch schon in der Pause das Weite. Auch weniger als drei Stunden können verdammt zäh sein.
Bedeutungsschweres Hauchen, Flüstern, Schreien
Der Abend beginnt spröde: Percevals zehnköpfige Ensemble steht vor einer hohen Wand aus hellen Quadern, manche sitzen auf schlichten Stühlen. Es ist finster; bedeutungsschwere elektronische Sounds (Lila-Zoé Krauß) wabern, durchsetzt von Hauchen, Flüstern und Schreien, durch die von Bühnennebel gesättigte Luft. Die Gesichter der Spieler*innen werden von Taschenlampenschein zugleich erleuchtet und entstellt. Es dauert, bis man orientiert ist: Der römische Kriegsheld Coriolanus (Andreas Beck) will Konsul werden, aber seine Arroganz und Überheblichkeit gegenüber dem Volk kostet ihn letztlich das Leben.
Um die Ecke der Wand kauern drei Kinder (Uwe Rohbeck, Claudia Sabitzer, Evi Kehrstephan) in anachronistischen Schuluniformen. Sie sind es auch, die den kruden Plot von "Titus Andronicus", das von der Vergewaltigung und Verstümmelung der Tochter Titus' und dessen nicht weniger brutaler Rache erzählt, in einer bizarren Mischung aus Geheimsprache und dialektal angehauchtem Kauderwelsch als Grimms Gewaltporno-Märchen zum Besten geben.
Wo sind Trauer, Angst und Liebe?
Nach der Pause tauchen die drei als Erwachsene Octavius, Octavia und Lepidus wieder auf. Octavian ist es, der Antonius und Kleopatra (Frank Genser und Julia Riedler) schließlich bezwingt. Zuvor aber muss noch Caesar mit pathetischen Reden Brutus' (Lavinia Nowak) und Antonius' zu Grabe getragen werden.
Das Befremdliche ist, dass von all dem Schmerz, der Trauer und Angst, Liebe und Begehren, die da doch eigentlich sein müssten, kaum etwas zu spüren ist. Die Inszenierung setzt vor allem auf ikonische Bilder, der Text bleibt auf argumentativer Ebene (prototypisch die ausufernden Reden), wobei er über Behauptungen meist nicht hinauskommt.
Highlight: Zwei Machtmenschen ringen um Vorherrschaft
Dem Ensemble wird so kaum die Möglichkeit gegeben, wirklich ins Spielen zu kommen. Isoliert voneinander schwingen sie ihre Reden, geben – oft mit Fäkalausdrücken aufgefettete – Parolen von sich. Es wird viel geschrien und oft geflüstert, was aber nicht über ein gewisses Vakuum hinwegtäuschen kann: Es bleibt unklar, was der Abend eigentlich erzählen möchte. Und warum. Das ist bedauerlich, weil sich das Ensemble sichtlich ins Zeug legt.
Bezeichnenderweise ist der beste Moment des Abends einer, der völlig ohne Sprache auskommt: ein Ringkampf zwischen Kleopatra und Antonius in einem knöchelhoch mit Wasser gefüllten kleinen Becken vor der Wand (von der das Wasser zuvor aus unerfindlichen Gründen geronnen war). Zwei ebenbürtige, machtbewusste Menschen, die sich nichts schenken, einander bezwingen und dabei verständlicherweise völlig verfallen sind. Wort- und mühelos erzählt die Szene mehr über diese komplexen, ambivalenten Figuren, die in den Käfigen der eigenen Macht und ihrer Menschenkörper stecken, als das ganze restliche Stück. Und das ist leider kein guter Schnitt für einen Abend, der so viel will.
Rom
Nach William Shakespeare von Julia Jost
Regie und Textbearbeitung: Luk Perceval, Bühne: Philip Bußmann, Kostüm: Ilse Vandenbussche, Komposition und Sounddesign: Lila-Zoé Krauß, Ton: Idris Gözek, Lichtdesign: Nicholas Langer, Choreografie: Ted Stoffer, Dramaturgie: Ulf Frötzschner.
Mit: Andreas Beck, Runa Schymanski, Friederike Tiefenbacher, Stefan Suske, Lavinia Nowak, Evi Kehrstephan, Claudia Sabitzer, Uwe Rohbeck, Frank Genser, Julia Riedler.
Uraufführung am 20. April 2024
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause
www.volkstheater.at
Kritikenrundschau
Man wisse nicht so recht, "was Autorin Julia Jost – die auf den Schultern eines Riesen namens Shakespeare steht und ihm mit wackeligen Knien ins Textbuch kiebitzt – uns überhaupt zu sagen hat", schreibt Ronald Pohl im Standard (21.4.24). Auch zu sehen gebe es, wenn "in man Regisseur Luk Percevals monumentale Dunkelkammer eingetreten" ist, "reichlich wenig" in. den "Bleikammern der Macht". Die Vernunft schlummere, dafür rotiere unablässig die Drehbühne, "die in etwa so quietscht wie das gesamte römische Gemeinwesen, um das es freilich nicht zum Besten bestellt ist", so der Kritiker. Sein Fazit: "Ungläubiges Staunen darüber, dass Luk Perceval vor einem schlanken Vierteljahrhundert in Salzburg aus vielen, vielen Shakespeare-Königsdramen den furiosen Marathon 'Schlachten' gezimmert hat."
"Die österreichische Autorin Julia Jost hat Höhepunkte von vier Römer-Tragödien William Shakespeares oberflächlich umgedichtet, mit Rücksicht auf Frauenrollen umgewichtet", urteilt Norbert Mayer in der Presse (21.4.24, €). Auch inszenatorisch sei "Rom" sei "bei weitem nicht so dynamisch" geraten wie 'Schlachten!' - Percevals Shakespeare`scher Königsdramen-Marathon vor 25 Jahren -, sondern vielmehr "elegisch, zum Nachdenken anregend". Der Grundton sei dunkel, dutzendfach nahten sich "schwankende Gestalten", die von einem "fabelhaft, sprechtechnisch meist souverän, bis auf Ausnahmen aber auch statisch" agierenden Ensemble dargestellt würden. "Shakespeares wildes London-Rom aber ist nur wie von fern zu erahnen", konstatiert der Kritiker.
Wie der "Torso einer Inszenierung" wirken die knappen zweimal zwei Stunden auf Wolfgang Kralicek von der Süddeutschen Zeitung (22.4.2024, €). Im ersten Teil ergänzten die Grausamkeiten aus "Titus Andronicus" das Drama "Coriolanus" um einen erfolgreichen Politiker, dem seine Verachtung fürs Volk zum Verhängnis wird; die drei von erwachsenen Schauspielern gespielten Kinder referierten die Brutalitäten in österreichischem Dialekt "als wären's makabre Gstanzln". Die widerwillig heruntergeleierte Siegesrede des depressiven Coriolanus (Andreas Beck) gehöre noch "zu den lustigsten Momenten der insgesamt recht spröden Aufführung". Von der Handlung bekomme man kaum etwas mit, so Kralicek, dafür sei zu wenig Text übrig geblieben. Auch im zweiten Teil verstünde er gerne, warum die beiden elegant faustkämpfenden Liebenden Kleopatra und Antonius genau über ihr Schicksal klagten. "Aber da ist es schon wieder vorbei."
"Es wird nicht gespielt, bloß deklamiert", so Thomas Trenkler im Kurier (22.4.2024). Die Liebe zwischen Kleopatra und Antonius habe Perceval wohl doch etwas mehr interessiert als der Rest: "Julia Riedler und Frank Genser dürfen im Wasser (es dringt in Rinnsalen aus der Wand) planschen und einen artistischen Stellungs-Machtkampf austragen." Er ende nach viel Hecheln mit Befriedung: Kleopatra verlange den Einbau neuer Duschköpfe, Antonius schlage vor, den Gasherd für etwas Sinnvolleres zu verwenden. "Und zum Schluss knarrt es beträchtlich im Aluminium-Gerüst. Materialmüdigkeit wohl."
Percevals "Rom" nähre den Verdacht, dass Niedergangsepochen für die Kunst letztlich nicht sehr ergiebig sind, so Jakob Hayner in der Welt (23.4.2024). Statt der Machtanalyse interessiere Perceval der Bilderreigen: "Die Szenen erinnern an Tableaus mit erstarrten Menschen, fast wie Gemälde." Der Wasserringkampf zwischen Cäsar und Kleopatra sei "der Höhepunkt des Abends, der für all die verdüsterten und vernebelten Momente zuvor entschädigt".
"Am Ende wirkt 'ROM' eher wie eine szenische Lesung als ein Drama", schreibt Martin Lhotzky in der FAZ (24.4.2024). "Diese für Kenner von Luk Percevals Werk an sich recht überraschende Shakespeareverwurstung als 'nach William Shakespeare' zu verkaufen, darf man als maßlose Übertreibung beurteilen."
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Besser wäre gewesen er hätte es unterlassen.
Berühmt sein ist kein Garant. (...)
Die Bedeutung des Volkes, was mit ihm gemacht wird und was es mit sich machen lässt, wird in dieser Inszenierung fast immer betont. So erscheint in dieser bemerkenswerten Inszenierung der Gang der Geschichte nicht als Fatalismus sondern als Möglichkeitsraum für Entscheidungen. Bereits der Kriegsheld Coriolanus wird nicht im vereinfachenden Schwarz-Weiß-Muster nur als Despot gezeigt, sondern – im Rollstuhl sitzend – in seiner eigenen Depression, Zerrissenheit und seinen unterschiedlichen Seiten - einerseits sollen alle an die Wand gestellt werden andererseits will er die Kriegsbeute an alle verteilen. Der Sieger auf dem Schlachtfeld weigert sich, dem zu entsprechen, was von ihm als Konsul erwartet und ihm als machtvollen Umgang mit dem Volk geraten wird.
Luk Perceval schreibt im ausgegebenen Programmblatt selbst, dass es in diesen Tragödien „um viel mehr als nur um die politischen Intrigen (…) historischer Figuren“ gehe. „Vor allem bieten sie abgrundtiefe Einblicken in die menschliche Natur. Sie offenbaren das Spannungsfeld zwischen unserer aller Angst vor Verlust und Schmerz sowie unserem Streben nach Freiheit, zwischen dem angeborenen Wunsch des Körpers zu überleben und der Angst der Psyche vor dem Sterben. Eine Angst, die tief in Generationen von Traumata verwurzelt ist. Aus dieser Dichotomie erwächst eine kraftvolle Suche nach Sinn und Heilung.“
Perceval konfrontiert mit einer Vielzahl theatralischer Mittel das Leid und den Schmerz sowie den Umgang damit. Das darüber ganz unterschiedlich erzählt werden kann, zeigt der Klatsch der drei Schulkinder in kärtnerischem Dialekt über die Geschehnisse von Titus und die Schändung seiner Tochter. Anders als Heiner Müller in „Anatomie Titus Fall of Rome. Ein Shakespearekommentar“ stellt Perceval jedoch Fragen und lässt den Raum der Geschichte offen. Auch die Liebe zwischen Antonius und Kleopatra hätte anders enden können. Das Ringen der beiden, sich aufeinander einzulassen, sich zu offenbaren oder doch wieder kämpfend zu schützen war für mich nicht nur emotionaler Höhepunkt der Inszenierung sondern auch ein möglicher Entscheidungsraum, nicht tragisch zu enden.
Bis nach der Pause muss man auf den fulminanten Auftritt von Julia Riedler als Kleopatra warten, die ab dann mit ihrer überragenden Bühnenpräsenz und ihrer präzisen und feinziselierten darstellerischen Kunst dem bis dahin gezeigten düsteren Geschehen eine ganz andere Form gibt. Die zwischen Tanz und Kampf, Liebe und Hass changierende Szene von Antonius und Kleopatra, wird Erinnerung bleiben. So endet das Drama bei Percival mit der schon nicht mehr sichtbaren Kleopatra zu Antonius: „Komm, lass‘ uns tanzen und einfach schweigen.“ Ich werde es mir noch ein zweites Mal anschauen!