Opferwurst im Diven-Kino

27. April 2024. Wer bissige Gesellschaftssatiren zu aktuellen politischen Reizthemen sucht, der ist bei Nora Abdel-Maksoud richtig. Ihr Erbschaftsdrama "Jeeps" kommt jetzt in Essen auf die Bühne. In der Regie des designierten Zürcher Ko-Intendanten Rafael Sanchez. Der schon einmal probt, wie man sich an Politstoffen nicht die Finger verbrennt.

Von Sascha Westphal

Nora Abdel-Maksouds Erbschaftssatire "Jeeps" in der Regie von Rafael Sanchez in Essen © Nils Heck

27. April 2024. Nach einer deutschen Behörde, gar nach den Büros eines Jobcenters in Essen, sieht die Bühne, die Thomas Dreissigacker für Rafael Sanchez' Inszenierung von Nora Abdel-Maksouds Gesellschaftssatire "Jeeps" entworfen hat, überhaupt nicht aus. Eher erinnert sie an ein altes Studio-Filmset, vielleicht sogar noch aus den Zeiten von Charlie Chaplins "Tramp" oder Marlene Dietrichs "Blauem Engel". Auf der hinteren Wand, die sofort als Sperrholz-Kulisse zu erkennen ist, deuten drei riesige bläulich-milchige Flächen Fenster an, die vielleicht den Blick auf einen großen Park freigeben. Ein doppelstöckiger Kronleuchter, der über der Spielfläche hängt, unterstreicht die Ready-made-Atmosphäre von Luxus und altem Geld.

Erbschaft per Lotterie

Was könnten eine Filmkamera und das entsprechende Licht nicht alles aus dieser Kulisse mit ihren Treppen rechts und links, den teils realen, teils nur visuell simulierten hölzernen Ebenen machen? Doch es gibt hier eben keine Kamera und auch keine geschickt manipulierten Filmbilder, sondern nur diese bespielbaren Attrappen und zwei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler, die sich zunächst mit ihren realen Namen ansprechen. Hier ist alles Fake und Konstrukt. Die vier Figuren, die beiden Jobcenter-Beamten Armin und Gabor und ihre beiden 'Kundinnen', die "Opferwurst" Maud und die vom Staat enterbte Silke, offenbaren sich von Anfang an als Projektionen, ins Irreale und Absurde übersteigerte Klischees einer bitteren, aber festgefügten sozialen Wirklichkeit.

Jeeps3 1200 Nils Heck uWenig Aufstiegschancen auf der sozialen Karriereleiter: Floriane Kleinpaß (Maude) und Mansur Ajang (Armin) © Nils Heck

So zieht Rafael Sanchez diesem Stück noch eine weitere Ebene ein. Dabei springt "Jeeps" sowieso schon zwischen den Zeiten hin und her. Nora Abdel-Maksoud bricht ihre Geschichte von einer großen Erbschaftsreform, die das Erben im wörtlichen Sinn in eine Lotterie verwandelt, selbst immer wieder und präsentiert sie in einer Form, in der die Spielerinnen und Spieler ständig auf ihr Handeln zurückblicken und es kommentieren. Aber sie bleiben auf allen (zeitlichen) Ebenen in ihren Rollen. Darin liegt der Reiz von "Jeeps". Nora Abdel-Maksoud hat vier Figuren ersonnen, die total überzeichnet sind und doch ziemlich genau die deutschen Klassenverhältnisse spiegeln.

Die Gier überlebt

Armin macht den Job in der Agentur für Arbeit schon viel zu lange und musste irgendwann abstumpfen. Gabor versteckt sich hinter Paragraphen und Regeln und hat sein ganzes Leben auf einen sündhaft teuren Obsidian schwarzen Mercedes-Geländewagen ausgerichtet. Maud, eine ehemalige Groschenroman-Autorin, lebt seit Jahrzehnten von Hartz4 und nun von Bürgergeld. Und für Silke, die Akademiker-Tochter, war ihr Erbe, das sie irgendwann einmal bekommen würde, immer eine Selbstverständlichkeit, eine Absicherung, die es ihr erlaubt hat, ein ziemlich sinnloses Start-up zu gründen.

Jeeps2 1200 Nils Heck uDie Diven sind los: Bettina Engelhardt und Christopher Heisler (Vordergrund) sowie Floriane Kleinpaß und Mansur Ajang (Hintergrund) in Kostümen von Maria Roers auf der Bühne von Thomas Dreissigacker © Nils Heck

Im Stück sind sie alle Opfer der Verhältnisse und zugleich deren Stützen. Sie entwickeln zwar eine erstaunliche kriminelle Energie, um sich das neue Erbrecht zunutze zu machen (der Staat kassiert alle Besitztümer oder auch alle Schulden der Verstorbenen ein und verlost das Erbe dann). Dennoch bleiben sie in ihrer ganz privaten Gier stecken. So treibt Nora Abdel-Maksoud den Riss, der auch durch progressiv denkende Menschen geht, auf die Spitze. Die Sehnsucht nach einer besseren Welt schließt eben nicht das egoistische Streben nach einem besseren Leben für einen selbst aus. Und genau darauf hat das wirtschaftliche und soziale System sein Fundament gebaut.

Das Politische wegtheatert

So gesehen prägt schon Nora Abdel-Maksoud ein nicht unbedingt optimistisch stimmender Sinn für die (kapitalistischen) Realitäten. Aber in dem Wahnsinn, in den sie das Geschehen so konsequent treibt, liegt noch ein Rest anarchischer Hoffnung, dass das, was die Verhältnisse erhält, sie vielleicht irgendwann doch zerstört. Davon bleibt in Rafael Sanchez' Inszenierung allerdings nicht viel übrig.

Nicht nur er und der Bühnenbildner Thomas Dreissigacker greifen auf zusätzliche Distanz-Strategien zurück. Auch die Kostümbildnerin Maria Roers, die das Ensemble zunächst in grelle, das Wesen der Figuren veräußerlichende Kostüme kleidet, um sie schließlich in absurd glamouröse Roben und Kleider zu stecken, verortet diese Groteske in einer Theater-Theaterwelt. Einer Welt, in der Mansur Ajang, Christopher Heisler, Floriane Kleinpass und Bettina Engelhardt nichts anderes sein können als eitle Selbst-Darsteller und Selbst-Darstellerinnen. Das Doppelbödige ihrer Figuren verschwindet hinter Äußerlichkeiten und einem augenzwinkernden Spiel mit dem Publikum. Aus ihnen werden Karikaturen, die alle vier mit viel Einsatz und viel Spaß am Chargieren verkörpern. Allerdings verkleinern sie Nora Abdel-Maksouds giftige Farce damit zu einer boulevardesken Komödie, die nicht einmal mehr versucht, politische Sprengkraft zu entwickeln.

 

Jeeps
von Nora Abdel-Maksoud
Regie: Rafael Sanchez, Bühne: Thomas Dreissigacker, Kostüme: Maria Roers, Musik: Cornelius Borgolte, Dramaturgie: Maximilian Löwenstein.
Mit: Mansur Ajang, Christopher Heisler, Floriane Kleinpass, Bettina Engelhardt.
Premiere am 26. April 2024
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.theater-essen.de

 

Kritikenrundschau

Rafael Sanchez wisse zu gut um das Beharrungsvermögen der Besitzenden, als dass er allzu viel Hoffnung auf einen Systemwechsel aufkeimen ließe, bemerkt Martina Schürmann von der Neuen Ruhr Zeitung (29.4.2024). Das gut aufgelegte Ensemble wechsele souverän zwischen aufrechter Gerechtigkeitsdebatte und Chargier-Lust.

 

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