Mensch bleiben – und daran umkommen

7. April 2024. In Jean-Paul Sartres Klassiker clashen die politischen Systeme und individuellen Überzeugungen. Und selbst ein kleines Eifersuchtsdrama ist noch mit im Spiel. Krzysztof Minkowski hat das Stück in Rostock als strenges Theater der verbalen Verhandlung ernst genommen. Ein glückliches Wagnis.

Von Frank Schlößer

"Die schmutzigen Hände" am Volkstheater Rostock © Thomas Mandt

7. April 2024. Okay, checken wir ein im "Hotel Europa". Es hat den Charme eines DDR-Interhotels. Den Vornamen nach kommen diese Revolutionäre aus Spanien, Österreich, Großbritannien, Russland, Polen – so ungefähr. Auch die Epochen wurde zusammengesucht: Die Kostüme zitieren die Oktoberrevolution, die südamerikanische Guerilla, die 68er Kommune 1. 

Vergangene Zeiten? Natürlich. "Die schmutzigen Hände" kam 1948 auf die Bühne und bezog sich auf den Zweiten Weltkrieg, der war damals noch sehr gegenwärtig. Stalin hatte noch fünf Jahre zu leben. "Die" Partei schickte ihre Abtrünnigen nicht in die Wüste, sie ließ sie erschießen.

Metaphorisches Illyrien

Sartre wollte, dass sein Stück in "Illyrien" spielt, es hat also Sinn, sich ein Phantasieland auszudenken, das trotzdem nah genug ist an der Realität des Jahres 1945. Noch ist Krieg: Illyrien ist besetzt, doch die Befreiung durch die Rote Armee ist absehbar. Der Widerstand gegen die Besatzer wird von Konservativen und Stalinisten gleichermaßen organisiert. Was jedoch beide nicht daran hindert, sich gegenseitig umzulegen, wenn sie sich bei ihren Sabotageakten in die Quere kommen.

In dieser Konstellation versucht der kommunistische Parteifunktionär Hoederer, mit den natürlichen Gegnern der Kommunisten zu verhandeln: Monarchisten und Konservative checken unwillig ab, ob es mit den Kommunisten vielleicht doch eine Koalition geben könnte, die sich die Macht teilt, die ihnen nach der Befreiung zufallen wird. Die Unterstützung seiner Parteiführung hat Hoederer dafür nicht, das wird ein Alleingang. Oder – je nachdem wie man es nennt – ein Verrat. So sieht es jedenfalls Parteiführer Louis – und er gibt dem Drängen des jungen Hugo (Sie sprechen den Namen deutsch aus) nach, dass er die Sache erledigen darf: VerräterInnen werden erschossen.

Wiederkehr der Verhältnisse?

Aber seht ihn euch doch nur mal an: Wirre Harre, kariertes Hemd, eine komische Handwerkerhose – sehr uncool, sehr unentschieden in seinem Auftreten, voller Ideale und großer Ideen, die man sich in nächtlichen Diskussionen mit den Genoss:innen um die Ohren hauen kann. So ein Jüngelchen kann die Parteizeitung vollschreiben, die eh niemand liest. Aber jemanden um die Ecke bringen? Wirklich abdrücken? Zum politischen Mörder werden? Nein, Hugo bekommt das nicht hin, der denkt zuviel, der wird es verkacken, das sieht Genossin Olga doch auf den ersten Blick! Aber Hugo wird den Auftrag ausführen und nach vielen Wirrungen steht er Jahre später vor der einzigen Wahl, die er noch hat: Werde ein Parteisoldat und lebe irgendwie weiter oder bleib ein Mensch und stirb.

Die schmutzigen Haende3 1200 Thomas Mandt uBilder aus dem Bauch des Hotel Europa: Klara Eham, Katharina Paul, Bastian Inglin © Thomas Mandt

Und heute? Treten diese Verhältnisse wieder an uns heran? Soll es wieder um existenzielle Fragen gehen in diesem Europa? Der Klangteppich, der unter der Rostocker Inszenierung liegt, grummelt über weite Strecken den Krieg herbei – oder er klingt wie ein friedliches Dudelradio. Konkrete Bezüge gibt es nicht, es werden keine aktuellen Politikerinnen oder Politiker zitiert. Es geht um die großen Fragen: Wie viel Wahrheit kann man den Menschen derzeit zumuten, wenn man die Macht will? Braucht die Politik Prinzipien? Oder humanistischen Pragmatismus?

Gegen den Theaterzinnober 

Sartre hatte seine "Schmutzigen Hände“ als Rumsteh-Theater der verbalen Verhandlung angelegt. Die verschiedenen Konstellationen ergeben statische Bilder aus Dialogen und Monologen: Einer redet, die anderen hören zu. Regisseur Krzysztof Minkowski hat sich gegen den Theaterzinnober entschieden und auf Text, Sprache und Vortrag gesetzt. Bis auf überlebensgroße Live-Video-Übertragungen, die zeigen, was gelegentlich im Keller des "Hotels Europa" passiert. Statisches Licht, statische Bühne – ein Schachbrett, auf dem Bauern, Springer, Läufer gezogen werden. Nur ihre Sprache lässt sie lebendig werden, ihre Äußerungen lassen darauf schließen, dass da im Inneren etwas ist, eine Kindheit irgendwo, ein Wachsen und etliche Brüche.

Das geht gut, über zwei Stunden kann man da mitgehen, es gibt keine Hänger. Bastian Inglin nutzt die Möglichkeit, Hugo zu einem Menschen zu machen. Minkowski hat den Hoederer mit einer Frau besetzt – an Sartres Geschichte ändert das nichts. Katharina Paul bringt ihren Hoederer ohnehin in Hosen, mit "männlicher" Statik und "männlicher" Rhetorik über die Rampe. Hier spielte ein gutes Ensemble miteinander.

Leider war der Saal nicht voll. Aber das war absehbar. Gut, dass es trotzdem gewagt wurde.

 

Die schmutzigen Hände
von Jean-Paul Sartre
Regie: Krzysztof Minkowski, Bühne und Kostüme: Konrad Schaller, Sound: Micha Kaplan, Dramaturgie: Henrik Kuhlmann.
Mit: Bastian Inglin, Klara Eham, Katharina Paul, Johanna Link, Frank Buchwald, Malin Steitz.
Premiere am 6. April 2024
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.volkstheater-rostock.de

 

Kritikenrundschau

Dietrich Pätzold von der Ostsee-Zeitung (7.4.2024) freut sich über die Wahl des starken Stücks. "Stark vor allem, weil die konzentrierten Dialoge ein überraschend reichhaltiges Geflecht an Konflikten und Widersprüchen entfalten, die trotz der treibenden Zwänge der Geschichte jeden Augenblick als offenen Moment freier Handlungsmöglichkeiten erscheinen lassen." Mit dem Betonen dieser permanenten Offenheit treffe Regisseur Krzystof Minkowski recht genau die Intentionen Jean-Paul Sartres. Viel Lob ernten auch Klara Eham und Bastian Inglin.

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