Jubel fürs gesunde Gemüse

14. April 2024. Weltweit leben eine Milliarde Kinder in Armut. Auch in einer wohlhabenden Stadt wie Düsseldorf. Regisseurin Lisbeth Colthof und Autor Akın Emanuel Şipal haben für diesen Theaterabend Jugendeinrichtungen besucht und mit Menschen gesprochen, die tagtäglich an der Supermarktkasse die Groschen zusammenzählen müssen.

Von Sarah Heppekausen

"Das Pommes-Paradies" am Düsseldorfer Schauspielhaus © David Baltzer

14. April 2024. Die Regale sind gut gefüllt auf Guus van Geffens Bühne im Jungen Schauspiel Düsseldorf. Orangen und Klopapier, Trauben und Chips, Topfpflanzen und Edelstahldosen auf den Auslagetischen. Noch mehr Waren-Farben und -Formen kleben als Fototapete auf den Bühnenwänden. Konsumartikel vom Boden bis zur Decke. Und dann schieben da junge und erwachsene Menschen, Eltern, Kinder, Renter*innen ihre übergroßen Einkaufswagen durch die Gänge, um an der Kasse doch nicht alle ihrer drei, vier ausgewählten Teile bezahlen zu können. 

Treffen von Überfluss und Armut

"Es ist der 16. Tag", sagt ein Alter mit leerem Portemonnaie. "Meine Monate haben einfach zu viele Tage für meine Rente". Und ein Junge gibt seiner Mama 20 Cent, damit sie die Packung Nudeln noch zahlen kann. Die zwei Äpfel geben sie an der Kasse zurück. Was für eine perverse Situation, dieses alltägliche Aufeinandertreffen von Überfluss und Armut im Supermarkt.

Liesbeth Coltof, Regisseurin und frühere künstlerische Leiterin der Toneelmakerij in Amsterdam, hat gemeinsam mit dem Dramaturgen Dennis Meyer das internationale künstlerische Projekt 10children.org initiiert, das sich in zehn Städten verschiedener Länder mit der Bekämpfung von Kinderarmut beschäftigt. Themen sind Gesundheit (in Cleveland / USA), die Situation von Mädchen in Armut (Mumbai) oder die Folgen des Klimawandels (Curaçao). In den entstehenden Kunstprojekten, im Dokumentarfilm und im Theaterstück geht es um die konkreten Geschichten von betroffenen Kindern. Eine Milliarde Kinder leben weltweit in Armut.

Düsseldorf ist eine wohlhabende Stadt. Aber auch in der reichen Rheinstadt mit Luxus-Einkaufsmeile sind etwa 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Armut bedroht oder betroffen. Liesbeth Coltof und Autor Akın Emanuel Şipal haben in Düsseldorf Jugendfreizeiteinrichtungen besucht und mit den Kindern geredet, Weihnachten gefeiert und gekocht. Denn in dieser Stadt geht es um das Thema Ernährung.

Coltof und Şipal haben schon einmal zusammengearbeitet. Am Schauspielhaus Bochum inszenierten sie "Nadzieja i tęsknota / Umut ve Özlem / Hoffen und Sehnen", ein Stück über die Geschichte der Migration im Ruhrgebiet, spektakulär als Open-Air-Event und mit großen Gefühlen. Wie 2022 sind auch für "Das Pommes-Paradies" die geführten Gespräche Grundlage des Stücks. "Obwohl ich esse, wann ich will, habe ich immer Hunger", ist da zu hören. Oder "Ich würde gerne wieder klein sein. (…) Weil ich dann mein ganzes Leben noch vor mir hätte…"

Lebensmittelmotten und sprechendes Gemüse

Şipals Text schleicht sich so leichtfüßig und beschwingt mit Songs und sprechenden Gurken immer wieder rein ins Herz. Es ist sein erstes Stück für Kinder – und seine Mischung aus Witz, Charme und Ehrlichkeit funktioniert auch hier. Aber warum so viele Themen, so viele Nebenideen, so viele Ernährungstipps?

Eingetütet: Aylin Celik, Eduard Lind, Leon Schamlott, Jonathan Gyles © David Baltzer

Der wunderbare Plot erzählt von Emin und Johanna, die sich nachts im Supermarkt treffen. Emin ist da, weil er seiner Mutter gutes Essen für einen guten Tag besorgen will. Die muss nachts arbeiten und hat trotzdem nie genug Geld für Obst und Gemüse. Johanna, die Joe genannt werden möchte, lebt mittlerweile dort im Laden, tauscht Essen gegen Geschichten bei der Nachtkassiererin, schläft wie ein Pferd im Stehen und erinnert sich nur schockstarremäßig an ihren Vater, der ständig am Computer zockt, über Schmerzen klagt und sie vermutlich nicht mal vermisst.

Auftritt des Energy-Drinks

Liesbeth Coltof zaubert mit ihrem Bühnenbildner und Kostümbildnerin Martina Lebert eine Shopping-Musical-Hall für kuriose Auftritte. Da ist die Motte mit Pelzhaube (Jonathan Gyles) und Fellstiefeln, die sich in eine Packung Haferflocken reinbeißen will. Das sprechende Gemüse mit Wackelaugen. Die sanftmütige Nachtkassiererin mit nachthimmelblauer Perücke (Aylin Celik). Der DHL-Bote, der sich als ernährungsbewusster Umweltaktivist outet und im Laufe seiner viel zu anstrengenden Schicht zum Zombie wird, mit fetten Augenringen und zerfließendem DHL-Schriftzug auf dem Shirt. Allein diese Figur (ebenfalls gespielt von Jonathan Gyles) und seine Anliegen könnten eine eigene Geschichte füllen. Eduard Lind als Supermarktmanager gibt den bieder-seriösen Kittelträger, bis ihn die Breakdance- und Stuntman-Euphorie packt. Rauschartige Ausbrüche sind das aus seiner sorgenvollen Realwelt (er muss den Hauskredit abzahlen).

Beim Chips-Rap (u.a. mit Slam Poetin und Musikerin Aylin Celik) – Stichwort "Tütenkrätze" – versus ungeliebtem Brokkoli bricht spontaner Jubel fürs gesunde Gemüse beim Premierenpublikum aus. Aber so reiht sich eine Episode an die nächste, überragt am Ende noch von der Idee, den heilversprechenden Energy-Drink Sugar3000 besser als Putzmittel zu verkaufen (weil er ungenießbar und ungesund ist). Das ist zu viel pädagogischer Leitfaden für eine Arbeit, deren Kraft in der genauen Beobachtung und einer immer humorvollen, nie schmerzfreien Übertragung liegt.

Das Pommes-Paradies
Schauspiel und Spoken Word über Kinderarmut in einer reichen Stadt
von Akın Emanuel Şipal
Regie: Liesbeth Coltof, Bühne: Guus van Geffen, Kostüm: Martina Lebert, Musik: Matts Johan Leenders, Dramaturgie: Kirstin Hess, Theaterpädagogik: Lena Hilberger.
Mit: Cem Bingöl, Aylin Celik, Yulia Yáñez Schmidt, Eduard Lind, Jonathan Gyles, Ayla Pechtl, Leon Schamlott.
Premiere am 13. April 2024
Dauer: 2 Stunden, eine Pause

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Kritikenrundschau

"So ernst das Thema, so mitreißend und unterhaltsam ist 'Das Pommes-Paradies' umgesetzt“, schreibt Claudia Hötzendorfer von der Rheinischen Post (15.4.2024). "Wie ein Puzzle setzt sich im Verlauf der Handlung ein Bild zusammen, welche Auswirkungen Armut auf die Protagonisten hat."

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