In der narzisstischen Festung

7. April 2024. Ludwig van Beethovens Kreutzer-Sonate ist weltberühmt. Aber wie berühmt ist der Afroeuropäer George Bridgetower, dem das Musikstück ursprünglich gewidmet war? Amanda Wilkin erzählt mit ihrem Historiendrama "Die Bridgetower-Sonate" von Künstlerfreundschaft, Kränkung und Auslöschung.

Von Jorinde Minna Markert

"Die Bridgetower Sonate" von Amanda Wilkin in Leipzig © Rolf Arnold

7. April 2024. Die Umwidmung, die Ludwig van Beethoven an seiner dritten Sinfonie vornahm, hat sich als Anekdote über den stürmischen Geist des Komponisten gehalten. Beethoven hatte das Werk in seiner Begeisterung für die Liberté, Égalité und Fraternité nach dem ersten Konsul der neuen französischen Republik benannt: Napoleon Bonaparte. Als dessen unbrüderliche kaiserliche Ambitionen deutlich wurden, zerriss Beethoven im Zorn angeblich die erste Seite der Sinfonie, die die Widmung trug. Das Werk, mit seinen Anklängen an die Revolutionsmärsche, benannte er um in "Eroica", heroische Sinfonie. Touché.

Der "afrikanische Prinz" an der Violine

Amanda Wilkins neues Stück, uraufgeführt von Adewale Teodros Adebisi in der Diskothek des Schauspiels Leipzig, geht einer anderen, weniger erinnerten Umwidmung eines Beethoven'schen Werkes nach: der Bridgetower-Sonate. Beethoven hatte sie für und mit dem virtuosen Violinisten George Bridgetower (getauft als Hieronimo Hyppolito de Augusto) entwickelt. 1803 brachten sie das anspruchsvolle Stück im Wiener Augarten vor einem aristokratischen Publikum gemeinsam zur Uraufführung. Die kühnen Improvisationen erregten Aufsehen, ebenso der Violinist Bridgetower in Person. Über seine afroeuropäische Identität wurden eifrig exotisierende Mythen gesponnen, er sei zum Beispiel der Sohn eines "afrikanischen Prinzen".

Nicht lange nach dem erfolgreichen Konzert endete die künstlerische und freundschaftliche Beziehung. Beethoven widmete die Violinsonate einem anderen Geiger: Rodolphe Kreutzer. Gründe für das Zerwürfnis, die Umbenennung und damit Tilgung von Bridgetower aus einem Stück Musikgeschichte sind nicht bekannt.

DieBridgetowerSonate3 1200 Rolf Arnold uWenzel Banneyer als Beethoven © Rolf Arnold

Amanda Wilkins Text schreibt mit dem Mittel historischer Spekulation in diese Lücke hinein. Den überlieferten Ereignissen fügt Wilkin drei fiktionale Figuren hinzu, die die gehobene Clique um Beethoven bilden und bisweilen etwas schematisch als Personifizierungen gesellschaftlicher Umstände auftreten: die Malerin Clara (Paulina Bittner), die einen von Konventionen eng eingeschnürten Emanzipationswunsch hegt, die Ehe ablehnt und alleine auf Reisen geht. Anna (Isabel Tetzner), Claras jahrelange Geliebte, in einer Deckmantel-Ehe mit dem einflussreichen (und auch einfach nur reichen) Mäzen Christophe festsitzend, die sich im großen Hause und leeren Alltag der gehobenen Dame langweilt. Und eben dieser Mäzen selber (Markus Lerch), ein Göttergatte wie aus dem Motorsport-Forum – einer, der fragt, wie es denn mit der Musik so läuft, nur um in die Antwort reinzuquatschen: "Wissen Sie, ich spiel ja auch Klavier..." Er ist natürlich auch der Schützenkönig der Mikroaggressionen: "Aber wo kommen Sie denn wirklich her? Aber waren sie denn schon mal in Afrika?"

Clara ist es, die Bridgetower (Selam Tadese) auf einer Parisreise kennenlernt und mit in ihren Wiener Kreis nimmt, um ihn dem bewunderten Beethoven (Wenzel Banneyer) vorzustellen und musikalisch zu fördern.

Im Suff der Grandiosität

Wilkins Text und Adebisis Inszenierung zeichnen Beethoven und Bridgetower als zwei einander spiegelnde Charaktere: exzentrisch, stolz und das Streben nach Exzellenz allem überordnend. In der beidseitigen Anerkennung ihrer musikalischen Fertigkeiten entsteht eine freundschaftliche Annäherung (nachdem sie sich erst mal ein minutenlanges Blickduell geliefert haben), bald berauschen sie sich wie im Suff der vereinten Grandiosität. Unmittelbar vor der gemeinsamen Uraufführung stehen sie im Scheinwerferlicht Seit an Seit und fragen sich: Bist du nervös? Natürlich nicht. Nie. Ich bin nie nervös! Aber immerhin lachen sie dabei, als wüssten sie ja beide, was sie sich da vorspielen – Bromance.

Dieser fein austarierte minimale Punkt, der zwischen Konkurrenz und Anerkennung kippelt, dieser winzige Ort, wo diese Freundschaft möglich war, kippt unmittelbar nach der Euphorie des gemeinsamen Auftritts. Bridgetower wird mit Bewunderung überhäuft und Beethovens Egomanie hält das keine zwei Bogenstriche lang aus. Anerkennung für Bridgewater ist nur so lange rechtens, wie sie Beethovens nicht antastet oder ihr auch nur nahe kommt. Ebenbürtigkeit kommt einer Unverschämtheit gleich, einem Regelbruch dieser tief verorteten Gesetzmäßigkeit der weißen Überlegenheit. "Du bist hochmütig", wirft Beethoven dem anderen im Streitgespräch vor die Füße. "Na, und? Hättest du mich lieber demütig? Hättest du mich lieber dankbar auf Knien?" – "Ehrlich gesagt ja" – und damit sagt Beethoven auch seine letzten einsichtigen Worte des Abends. Und streicht den Namen.

Geplänkel auf der Chaiselongue

In einem letzten Gespräch sucht der Violinist ihn auf und bittet, die Umwidmung rückgängig zu machen, vergeblich, die narzisstische Festung kann die Tore nicht mehr öffnen ohne alles zum Einsturz zu bringen. In diesen Konfrontationen finden Text und Spieler zu ihrer Quelle. Die zurückhaltende Sprache des Textes, die sich auf direktestem und kurzem Weg mitteilt, bekommt in diesen Szenen Kraft und gibt auch welche. Banneyer und Tadese haben immer dann, wenn es knallt, eine hervorragende Chemie in ihrem Zweierspiel als manischer, wenig blinzelnder und kiefernmalender Beethoven und Bridgetower, den es wirklich schmerzt, dabei zu zu sehen, wie er bereit ist, zu vergeben und sich bloß macht in dem Wunsch, im gemeinsamen Werk genannt zu bleiben.

DieBridgetowerSonate1 1200 Rolf Arnold uSelam Tadese als George Bridgetower © Rolf Arnold

Die Geschichten der anderen Charaktere schaffen es nicht, so tief zu schneiden, trotz der schönen textlichen Anlage der queeren Beziehung im Geheimen. Einige Momente zwischen Anna und Clara und in der Dreieckskonstellation mit dem Gattenschreck werden komödiantischem Geplänkel hergegeben. Für dieses eignet sich so eine elitäre Versammlung auf der Chaiselongue ja eh auch bestens, aber ein wenig Leichtigkeit und eingeflowter Rhythmus fehlt diesen plänkelnden Szenen, um so richtig Spaß zu machen. Aber vielleicht ist es auch schlüssig, dass in dem Abend nicht allzu viel heitere Entlastung geschaffen wird – man verlässt ihn vor allem mit Bedrückung darüber, dass es sich so wirklich ereignet haben mag: durch eine egomanische Laune, einen besoffenen Streit, durch eine Struktur der Ungleichheit wird jemand nebenbei ausradiert.

 

Die Bridgetower-Sonate
von Amanda Wilkin
Regie: Adewale Teodros Adebisi, Bühne & Kostüme: Alexander Grüner, Musik: Stella Goritzki, Dramaturgie: Marleen Ilg, Licht: Thomas Kalz, Video: Kai Schadeberg, Ton: Alexander Nemitz, Inspizienz: Jens Glanze, Soufflage: Ditte Trischan.
Mit: Selam Tadese, Wenzel Banneyer, Paulina Bittner, Isabel Tetzner, Markus Lerch.
Uraufführung am 6. April 2024
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-leipzig.de

 

Kritikenrundschau

"Es geht um Strukturen, Stereotype und Abhängigkeiten, die im Kern fortdauern, obwohl sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen radikal geändert haben", schreibt Dimo Rieß von der Leipziger Volkszeitung (8.4.2024). "Die Figurenkonstellation, die Montage der Szene, beides wirkt zwar mitunter konstruiert, fließt aber flott und unterhaltsam über die Bühne. Und öffnet den Blick auf fortdauernde Schranken in Gesellschaft und Kunstwelt. Und die von der Geschichtsschreibung Vergessenen."

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