Das Gelbe vom Ei

16. Januar 2024. Was ist das hier für ein Theater? könnte man angesichts der Veranstaltung in der Wiener Drachengasse fragen. Die Bühne wurde nämlich von einem Zentrum für antidisziplinäre Kunst geentert. ZAK  heißt das system- und genresprengende Frauenkollektiv. 

Von Martin Pesl

"piece of love" von ZAK im Theater an der Drachengasse © Daniel Rajcsanyi

16. Januar 2024. Wer findet, dass das Theater in einer Sackgasse steckt, hat in Wien zumindest in einem Fall recht. Biegt man vom Fleischmarkt in der Innenstadt in die Drachengasse ein, kommt man nicht weit und schon gar nicht raus. Man landet in einem Theater, das trotz aller Enge Platz für zwei Spielstätten bietet: eine Bar mit Bühne und den länglichen Hauptsaal, in dessen kurze Enden schräg je eine Publikumstribüne gepfercht ist. 

Und dann kommt da so ein Kollektiv daher und sprengt die räumlichen Grenzen. 2020 gründete eine Handvoll junger Frauen ZAK | zentrum für antidisziplinäre Kunst. Ihr Entwurf "UFO | ultra fett original" gewann den jährlichen Drachengasse-Nachwuchswettbewerb, die Produktion wurde in der Bar umgesetzt: eine Hommage an das Schnitzel in Form einer Modeschau-Messe/Panier-Performance mit florentinaholzingerscher Street Cred, die laut "Standard“ erahnen ließ, "was am Theater noch alles möglich ist“. 

Gemälde aus Schamhaaren

Nach "UFO“ bezog ZAK für ein Jahr den ehemaligen Nachtclub Téte-à-Téte hinter dem Wiener Gürtel und hielt dort offene Ateliers ab. Das hier Entstandene speist nun die zweite ZAK-Arbeit im Theater Drachengasse, diesmal auf der (etwas) größeren Bühne. Wobei spätestens wenn "piece of love“ in ein DJ-Set nebst Merch-Verkaufsangeboten übergeht (und es gibt jede Menge Merch, zum Beispiel überdimensionale Knochen und Zigaretten aus Stoff), klar wird, was "antidisziplinär“ hier meint: dass, Theater hin oder her, die Kunst sich nicht in irgendwelche Genregepflogenheiten hineindisziplinieren lässt. Verbeugt wird sich am Ende zum Beispiel nicht, dafür heißt es: "Die Ausstellung ist eröffnet!“ Eben jene Ausstellung, durch die das Publikum anfangs eine Viertelstunde mit Saalplan und Titelverzeichnis ausgestattet flanierte, bevor es sich zu den Plätzen begab. 

Unter den 21 Exponaten finden sich Super-8-Filme und Kalender, Gemälde aus Schamhaaren oder Büroordnerklammern, zusammengeklebtes Geschirr und etliche Persiflagen des Shell-Logos, mit den Farben des Unternehmens, aber in Herzchen- oder Schmetterlingsform und mit dem Branding von ZAK. Vor allem aber wurde in der speziellen Kombination aus Gelb und Rot praktisch der ganze Saal gestrichen, sie prägt auch eines der Kostümbilder: Mit geschwungenen Schuhspitzen, helmartigen Mützen und Capes, die die Brüste der Performerinnen zwar meist verdecken, aber auch klar machen, dass ihnen das nicht besonders wichtig ist, präsentieren sie sich wie die sexy Version der Schweizergardisten im Vatikan.

Amüsierte Entgeisterung

Warum Shell, warum die Uniformen? Fragen Sie nicht. Aber: Ja, performt wird auch. Nur ist das, was da abgeht, schwer zu beschreiben, ohne dass die Lesenden ihm fatalerweise Bedeutung beimessen und es folglich für bescheuert halten. Da wird Jessica Comis im dunklen Schlangenlederkleid von ihren Blockflöte spielenden Kolleginnen "beschworen“. Zuschauer:innen erhalten Lätzchen umgehängt oder Riesenherzen aus Holz auf den Schoß gelegt und sollen diese dann schwenken.

Die wechselnde Gastperformerin (bei der Premiere die 63-jährige Künstlerin Michaela Altweger) kriegt als Belohnung dafür, dass sie gerade noch als Zigarettenmaskottchen auftrat, rituell die Füße gewaschen. Ein Bloody Mary entsteht unter Mithilfe zweier Zuschauerinnen, die Eiweiß schlagen – der dazugehörige Dotter wanderte zuvor durch alle Performerinnenmünder, ja, es ist, was soll man sagen, alles ziemlich gaga. Man stelle sich dazu die amüsierte Entgeisterung des nicht gerade Avantgarde-geschulten Drachengasse-Publikums vor.

Erfrischender Überfluß

Aber das ist auch gerade das Wunderbare. Gewiss hat jedes Teilelement dieser "sozialen Skulptur“ (wieder Pressetext) einen erklärbaren Sinn in der einjährigen Nachtclub-Residency. Doch auch ohne den zu kennen, darf man fasziniert lachend die Stirn runzeln und anerkennen, dass hier zwar Freiheit regiert und das in erfrischendem Überfluss, Faulheit aber nichts zu suchen hat.

Die tänzerischen Bewegungen von Desi Bonato und Aurelia van Kempen wirken exakt aufeinander abgestimmt und durchgeprobt, ganz schön diszipliniert für antidisziplinäre Künstlerinnen. Und wenn selbst die Blätter eines kurz durchgetragenen Ventilators im gleichen Rosaton glänzen wie der Woll-/Plüsch-/Frotteerock der Gastperformerin, dann ist das sicher kein Zufall. Überhaupt hat man bei jedem neuen Kleidungsstück, jedem Objekt, das da jetzt auch noch hereingetragen wird, das Gefühl, so etwas in der echten Welt noch nie gesehen zu haben. 

Mit so viel Ignoranz gegenüber Konventionen schafft es das Theater aus jeder Sackgasse.

piece of love 
von ZAK | zentrum für antidisziplinäre Kunst 
Uraufführung 
Von Michaela Altweger, Desi Bonato, Jessica Comis, Aurelia van Kempen, Antonia de la Luz Kašik, Eva Sommer 
Mit: Desi Bonato, Jessica Benedetta Comis, Aurelia van Kempen, Eva Sommer und als Gast bei der Premiere: Michaela Altweger
Premiere am 15. Januar 2024 im Theater Drachengasse 
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause 

www.drachengasse.at

Kritikenrundschau

Die (mutmaßliche) Kritik an kapitalistisch getriebener Rohstoffausbeutung (synchron zur Liebesausbeutung im Bordell) sei "noch nie so provokant arglos dahingeplätschert", so Margarete Affenzeller im Standard (19.1.2024). Außenstehenden, die nicht in der Tête-à-Tête-Bar dabei waren, müsse vieles rätselhaft erscheinen. Ihnen bleibe immerhin "die aus Pappwänden errichtete 'Tête Modern' (haha) – und das Programmheft". Der Abend erinnere an an Theaterinstallationen im Stile Vegard Vinges, "minus Schrecken und minus Dauer. Das heißt, man sollte dranbleiben."

 

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