Vor aller Augen

18. September 2023. Das dreiköpfige Leitungsteam des Berliner Theatertreffens muss nach nur einem Jahr den Posten räumen. Künftig kehrt das renommierteste Theaterfestival Deutschlands wieder zur Einzelspitze zurück. Die entscheidenden Fehler wurden jedoch auf anderer Ebene gemacht. Ein Kommentar.

Von Georg Kasch

Nächtlicher Garten im Haus der Berliner Festspiele während der Theatertreffens © Fabian Schellhorn

18. September 2023. Nun also zurück auf Los: Das Berliner Theatertreffen bekommt ab Anfang 2024 mit Nora Hertlein-Hull erneut eine "alleinverantwortliche" Einzelleitung, wie es in den 60 Jahren davor die Regel war. Nach nicht einmal einem Jahr, in dem sich zunächst Olena Apchel, Marta Hewelt, Carolin Hochleichter und Joanna Nuckowska zu viert, später – nach Hewelts Rückzug – zu dritt um Reformen des Festivals bemühten, wurde jetzt der gesamte Versuch abgeblasen.  

Keine Überraschung

Überraschend kommt das nicht. Das Experiment eines kollektiven, internationalen Leitungsgremiums warf von Anfang an Fragen auf, die Christian Rakow in seinem Kommentar zur Ernennung der neuen Leitung formulierte: "Ist denn ein Dialog bezweckt? Oder doch eher eine Verschmelzung, eine Ersetzung womöglich? Soll auch die Jury über die Grenzen der deutschsprachigen Lande hinaus tätig werden? Wie praktikabel wäre das?" Man hätte es auch so formulieren können: Wozu so viel geballte Kuratorinnenkompetenz auf einem Job, der eher organisatorisch ausgerichtet ist? Sollte hier Grundsätzliches verändert werden?

Zudem sprach aus dem Interview mit Festspiele-Intendant Matthias Pees, das Christine Wahl im vergangenen Sommer führte, eine Vorläufigkeit, ein Experimentcharakter, der stutzig machte: Konnte es sein, dass die Pläne für das am stärksten wahrgenommene Theaterfestival im deutschsprachigen Raum derart als Versuchsanordnung gedacht und ein Scheitern immer einkalkuliert war?

Alles die Schuld der Leiterinnen?

Bitte nicht falschverstehen: Etwas auszuprobieren und damit auf die Nase zu fallen, gehört zur DNA aller Kunst. Und natürlich muss sich auch eine Institution wie das Theatertreffen beständig verändern, um lebendig zu bleiben. Eine der Neuerungen, die 2023 bestens funktioniert haben, war zum Beispiel, die Abschlussrunde der Jury um Teilnehmende aus Forum und Blog zu erweitern, weil hier Einwände und Kritik geäußert wurden, die wirklich zu einer spannenden kulturpolitischen wie auch ästhetischen Debatte führten.

Aber die meisten anderen Änderungen – die Abschaffung des Stückemarktes, das eher dürftige Parallelfestival, die inhaltlich nicht an die Zehnerauswahl andockenden Diskussionen, überhaupt die eher konfusen "Treffen"-Formate – scheiterten deutlich. Ist das allein den drei Leiterinnen anzulasten? Oder nicht doch auch dem Intendanten Matthias Pees selbst, der dieses Chaos zu verantworten hat? Warum schickt man ohne Not ein solches Team ins Rennen, ohne das Konzept auf Praxistauglichkeit (und offenbar auch: Finanzierbarkeit) abgeklopft zu haben? Hätte es nicht Möglichkeiten gegeben, die (verbliebenen) Leiterinnen zu schützen?

Akzente lieber anderswo setzen

Es scheint, als hätte sich bei den Berliner Festspielen die Erkenntnis durchgesetzt, flankiert von schlechter Presse und vielleicht auch deutlicher Resonanz aus der Kulturpolitik, dass das Theatertreffen in seiner jetzigen Form gar nicht so schlecht aufgestellt ist. Und dass man eigene Akzente viel besser in weiteren Festivals oder Showcases wie "Performing Exiles" zeigen und diskutieren kann, als sie – unterfinanziert – im Rahmenprpogramm des Theatertreffens zu versenken. Gut, dass daraus Konsequenzen gezogen werden. Bitter, dass dafür eine Hand voll Theaterfrauen vor aller Augen scheitern mussten, ohne dass sich jemand vor sie gestellt und Verantwortung übernommen hätte.

Georg KaschAutor, Journalist, Redakteur nachtkritik.deCopyright (C) Thomas AurinGleditschstr. 45, D-10781 BerlinTel.:+49 (0)30 2175 6205 Mobil.:+49 (0)170 2933679Veröffentlichung nur gegen Honorar zzgl. 7% MWSt. und BelegexemplarSteuer Nr.: 018/213/52812, UID Nr.: DE 170 902 977Commerzbank ehem. Dresdner Bank,SWIFT-BIC: DRES DE FF 810, IBAN: DE07 81080000 0316030000© Thomas AurinGeorg Kasch, Jahrgang 1979, seit 2010 Redakteur bei nachtkritik.de – nach Studium der Neueren deutschen Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München sowie Volontariat in Nürnberg. Er schreibt für Tageszeitungen und Magazine, lehrt an Hochschulen in Berlin und München und leitet kulturjournalistische Nachwuchsprojekte. War Mitglied meherer Jurys, darunter der des Berliner Theatertreffens.

 

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"Damit räumt der Intendant der Berliner Festspiele, die wie die trudelnde Berlinale zum Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH gehören, ein Personalproblem ab, das er sich keinen zweiten Festivaljahrgang lang hätte leisten können", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (19.9.2023). "Hätte Pees trotzig an seiner Fehlbesetzung festgehalten, hätte sich die Frage nach seiner eigenen Jobqualifikation gestellt."

"Die Zeit der Doppelspitzen und kollektiven Führungsorgane scheint vorbei", beobachtet Simon Strauß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.9.2023). "Das Theatertreffen wird sich in Zukunft wieder deutlicher auf seine Kernidentität fokussieren, und auch das Rahmenprogramm soll in engerem Zusammenhang mit den zehn von der Jury ausgewählten bemerkenswerten Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum entwickelt werden." Das sei genau die entgegengesetzte Stoßrichtung zu jener, mit der sein Kuratorinnenteam angetreten und nun offenbar dramatisch gescheitert sei.

Matthias Pees – "selbst ein Repräsentant der privilegierten Gesellschaftsschicht auf einem Machtposten" – habe dem Trend nachgegeben und vier junge Frauen "mit internationalen Erfahrungen und mehrheitlich osteuropäischer Herkunft" zur Leitung des ihm unterstellten Theatertreffens berufen, so Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (19.9.2023). "Das ging gründlich schief" – weil sie "verständlicherweise nach Sichtbarkeit" strebten und verstärkt Einfluss nehmen wollten "auf das, was beim Theatertreffen so über die Bühne geht".

 

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Kommentare  
Kommentar Theatertreffen: Auf der Zunge
„Bitter, dass dafür eine Hand voll Theaterfrauen vor aller Augen scheitern mussten, ohne dass sich jemand vor sie gestellt und Verantwortung übernommen hätte.“ Danke, Georg Kasch, genau das lag mir auf der Zunge
Kommentar Theatertreffen: Kein Selbstzweck
Georg Kasch hat 100 % recht. Nur eins noch: Experimente sind kein Selbstzweck. Wenn sie nur auf hundertfach Ausprobiertes hinauslaufen, sind sie Augenwischerei. Ja, die Gefahr des Scheiterns ist inbegriffen. Vorausgesetzt man riskiert wirklich Neues, Radikales und kopiert nicht nur, was gerade Mode ist.
Kommentar Theatertreffen: Aus der Zeit gefallen
„Bitte nicht falschverstehen: Etwas auszuprobieren und damit auf die Nase zu fallen, gehört zur DNA aller Kunst." Das ist vollkommen richtig. Nur, die Leitung des Theatertreffens ist keine Kunst, das ist eine administrative Aufgabe. Und die armen „Theaterfrauen" sollten schon selbst in der Lage sein, ihr Scheitern zu verantworten, sie haben den Job ja gewollt. Der Ruf nach dem Intendanten, der sich schützend vor sie stellen möge, wirkt aus der Zeit gefallen peinlich. Auch wenn die grundsätzliche Entscheidung für dieses Führungsquartett schon Murks war.
Kommentar Theatertreffen: Keine Verantwortung?
@Barbie: wenn ein Intendant aber nun genau diese vier Frauen berufen hat, um sein Konzept zu erzählen - dann trägt er keine Verantwortung?
Kommentar Theatertreffen: Schöner scheitern!
Frei nach Oscar Wilde: Ich bin maßlos erleichtert - studierte Frauen dürfen endlich zeigen, dass sie´s auch nicht können.
Kommentar Theatertreffen: Top-down-Loyalität
Natürlich fängt Matthias Pees ja erst an. Und Fehler passieren auch erfahrenen Menschen. Zwei gute Gründe, seine offensichtlichen Fehler in der Neuausrichtung des Theatertreffens zu verzeihen. Und möglicherweise hat er einen weiteren Fehler, nämlich aus falsch verstandener Konsequenz und Hartnäckigkeit an einer einmal getroffenen, falschen Entscheidung festzuhalten, vermieden.

Trotzdem können einem die Betroffenen, Frauen, die ja er zu einem Team zusammengestellt und mit einer Marschrichtung versehen hat, Leid tun. Sie haben mit viel Engagement extrem kurzfristig in einem fast vollständig vorgegebenen Korsett als vielsprachiges Quartett einen fast unmöglichen Kampf aufgenommen. Dieser Einsatz wird nicht belohnt, sie stehen vor einem Scherbenhaufen. Top-down Loyalität sieht anders aus.

Niemand hätte es Herrn Pees übel genommen, hätte er zunächst am herkömmlichen TT-Format festgehalten, ggfs. mit einer Interimsleitung oder gar in Personalunion, um danach dann einen etwas überdachteren neuen Plan und ein neues Team vorzustellen, das entweder sehr eingespielt oder vielleicht hätte etwas kleiner sein dürfen, mit mehr individueller Verantwortung und Verantwortlichkeit ausgestattet.

Diesen Weg hat Herr Pees nicht gewählt. Er hat jetzt einen Fehler korrigiert, ob das neue Konzept und die neue Person besser tragen, wird die Zeit zeigen. Ab jetzt wäre gut, wenn es klappt; nochmal kann er sich nicht hinter seinen Mitarbeiterinnen verstecken.
Kommentar Theatertreffen: Paternalistisch
Sehr seltsam, dieses Narrativ: Da sind drei (bis vier) etablierte, erfahrene Theaterfrauen, die immerhin Führungspositionen mitsamt Entscheidungsspielraum hatten, plötzlich nur noch hilflose Spielbälle? Und andere sollen die Verantwortung dafür übernehmen, dass das Projekt, für das sie angetreten sind, gescheitert ist? Macht man diese Frauen nicht letztlich genau durch diese Haltung ziemlich klein? Mir ist dieser Beschützungsreflex, der sich da zeigt, ein bisschen zu paternalistisch... Hätte die Neuausrichtung Erfolg gehabt, dann hätten sie dafür massiv Lorbeeren eingeheimst (zurecht), nun ist es eben anders gekommen (auch okay), so ist das Geschäft. Scheitern ist keine Schande, eine Kurskorrektur ist keine Schande und man sollte auch nicht herbeireden, dass die jetzt Geschassten so massiv beschädigt seien... Sind sie nicht. Mund abputzen und weitermachen! Viel Erfolg!
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