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Politik distanziert sich von Antisemitismus auf der Berlinale
26. Februar 2024. Verschiedene Berliner und Bundes-Politiker distanzieren sich von antisemitischen Äußerungen Filmschaffender, die bei der abschließenden Preisverleihung der diesjährigen Berlinale gefallen sind. Das berichten mehrere Medien, unter anderem Der Spiegel und die Tagesschau.
Demnach hatte der Filmemacher Ben Russell, der für seine Dokumentation "Direct Action" geehrt wurde, auf der Bühne in eine Kufiya gehüllt von einem "Genozid" im Gazastreifen gesprochen. Der palästinensische Filmemacher Basel Adra, der eine Auszeichnung für seinen ebenfalls dokumentarischen Beitrag "No Other Land" erhielt, forderte Deutschland auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Er sagte, es sei schwer für ihn, den Preis zu feiern, während "Zehntausende Menschen in Gaza geschlachtet" würden. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 fand dabei keine Erwähnung.
Das Publikum reagierte mit starkem Applaus auf die Äußerungen, auf der Bühne wurde ebenfalls geklatscht, eine Einordnung der Ereignisse etwa seitens der Moderatorin fand nicht statt. Das Jurymitglied Véréna Paravel hatte einen Zettel mit der Forderung nach einem Waffenstillstand auf den Rücken geklebt, als sie Adra den mit 40.000 Euro dotierten Preis überreichte.
Berlins Bürgermeister Kai Wegner, der während der Veranstaltung im Publikum saß, äußerte gegenüber dem rbb: "Berlin hat eine klare Haltung, wenn es um Freiheit geht. Berlin steht fest auf der Seite Israels. Darüber gibt es keinen Zweifel. Die volle Verantwortung für das tiefe Leid in Israel und dem Gazastreifen liegt bei der Hamas." Allein diese habe es in der Hand, "dieses Leid zu beenden, indem sie alle Geiseln freilässt und die Waffen niederlegt". Hier gebe es "keinen Raum für Relativierungen".
Der Berliner Kultursenator Joe Chialo schrieb auf der Plattform X: "Die Kultur sollte Raum für vielfältige politische Meinungsäußerungen bieten, doch die diesjährige Preisverleihung der Berlinale war geprägt von selbstgerechter antiisraelischer Propaganda, die nicht auf die Bühnen Berlins gehört". Es sei zu hoffen, so Chialo weiter, dass die Festivalleitung die Vorfälle konsequent aufarbeite.
Scharf kritisiert wurden die Äußerungen der Filmschaffenden auch vom Grünen-Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz. "Es ist schlicht ekelhaft und eine perfide Täter-Opfer-Umkehr. Solche Auftritte sind unerträglich", schrieb von Notz auf X, nachdem Ben Russell im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg von "Genozid" gesprochen hatte.
Israels Botschafter Ron Prosor machte der deutschen Kulturszene heftige Vorwürfe. Es scheine, dass die "Lektion aus der Documenta nicht begriffen wurde", meldete sich Prosor ebenfalls auf X zu Wort. "Unter dem Deckmantel der Rede- und Kunstfreiheit wird antisemitische und antiisraelische Rhetorik zelebriert." Die deutsche Kulturszene rolle den Roten Teppich "ausschließlich für Künstler" aus, die sich für "Israels Delegitimierung" einsetzten, so der Botschafter.
Auch der Zentralrat der Juden zeigte sich auf X entsetzt, dass mit der Berlinale "schon wieder eine der wichtigsten Kulturveranstaltungen in Deutschland für ideologische Hetze gegen Israel und Juden missbraucht" worden sei.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth kündigte eine Untersuchung der Vorfälle an. "Gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, und dem Berliner Senat, die mit uns die Verantwortung für die Berlinale tragen, werden wir nun die Vorkommnisse bei der Bärenverleihung aufarbeiten", sagte die Grünen-Politikerin. Die antisemitischen Äußerungen verurteilte sie ebenfalls: "Die Statements bei der Bärenverleihung der Berlinale am Samstagabend waren erschreckend einseitig und von einem tiefgehenden Israel-Hass geprägt." Sie wolle klären, so die Kulturstaatsministerin weiter, "wie zukünftig sichergestellt werden kann, dass die Berlinale ein Ort ist, der frei ist von Hass, Hetze, Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jeder Form von Menschenfeindlichkeit".
Die Festivalleitung selbst distanzierte sich ebenfalls von den besagten Äußerungen der Preisträger:innen. Eine Sprecherin bezeichnete diese als "unabhängige individuelle Meinungen", die "in keiner Form die Haltung des Festivals" wiedergäben. Zugleich wies sie aber auch darauf hin, dass Meinungsäußerungen bei Kulturveranstaltungen nicht grundsätzlich verhindert werden könnten und sollten und – solange sie sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegten – akzeptiert werden müssten.
(cwa / Der Spiegel / Tagesschau)
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