Willste 'n Wurstie?

2. Dezember 2023. Klaus Theweleits "Männerphantasien" waren 1977 das Buch der Stunde. Aber was erzählt uns die bahnbrechende Faschismus-Studie heute? Unterstützt von zeitgenössischen Autorinnen, wagt sich Theresa Thomasberger an ein Update – und entdeckt Misogynie im Pizza-Karton und Grillmeister mit "Feinkostgewölben" unterm Karohemd. 

Von Elena Philipp

"Männerfantasien" in der Regie von Theresa Thomasberger am Deutschen Theater Berlin © Jasmin Schuller

2. Dezember 2023. Die berühmteste Doktorarbeit Deutschlands umfasst 1.200 Seiten zum Faschismus. Als Klaus Theweleit 1977 seine "Männerphantasien" vorlegte, hatten die 68er mit ihren Nazi-Vätern abgerechnet, aber aufgearbeitet war der deutsche Faschismus-Komplex nicht. Da brachte der Kulturwissenschaftler und APO-Aktivist Theweleit eine neue Deutung ins Spiel, in aufregend anti-akademischer Sprache: Der Faschismus sei keine Ideologie, sondern ein Konglomerat von Körperzuständen. Aus Angst vor der Ich-Auflösung ergehe sich "der soldatische Mann", frauenfeindlich, aggressiv und emotional gepanzert, in Gewalt. Die Frau, der Kommunismus – diesem Typus Mann sind sie eine bedrohliche "rote Flut", ein Sumpf, Brei, Schleim, der ihn zu verschlingen droht. Voll Panik vor den "Vermischungszuständen der Körperränder" fühlt sich der Faschist gedrängt, das Andere zu töten.

Große Augen, noch größeres Ego 

Das saß. Damals wie heute: Theweleits psychoanalytisch grundierte "Männerphantasien" beschreiben nicht nur die spezifische historische Konstellation, die er anhand von Freikorps-Literatur der 1920er Jahre analysierte, sondern eine sozial-emotionale Konstellation, die sich bis heute hält. Stichwort: "toxische Männlichkeit". Brennend aktuell sind Theweleits Thesen ja auch: Künden nicht auch die hohen Zustimmungswerte der AfD davon, dass hier weniger die politischen Ideen verfangen als die Adressierung irrationaler Ängste und Affekte? Hier setzt die Regisseurin Theresa Thomasberger bei ihrer Anverwandlung der "Männerphantasien" fürs Deutsche Theater Berlin an. In der Box, der kleinsten von drei Spielstätten, schleust sie einen bedrängenden Wortstrom durch vier Schauspieler:innen-Körper.

Hass heute: Wer sind die zeitgenössischen Nachfahren von Theweleits Faschisten? Die Andrew Tates dieser Welt. In der Rolle des Social-Media-Moguls und Ex-Kickboxing-Weltmeisters lässt Caner Suner eine misogyne Suada vom Stapel. Oder vielmehr aus dem Karton: Aus einer riesigen Pizzaschachtel ragt sein Oberkörper heraus, den Deckel stemmt er mit dem Kopf auf, groß die Augen, noch größer das Ego. "I'm not god but I'm certainly one of his favorites", ich bin nicht Gott, aber sicher einer seiner Lieblinge, schwallt es in Global English aus dem Mund dieser Maskulinitäts-Marionette.

Mannerphantasien c JAsminSchuller HP 0073Männerphantasien heute: Svenja Liesau, Abak Safaei-Rad, Caner Sunar und Daria von Loewenich auf Mirjam Schaals Bühne © Jasmin Schuller© Jasmin Schuller

Sie wäre eine Parodie, würde sie nicht weitgehend Tates Aussagen zitieren. "I am not a rapist, I just like the feeling to do what I wanna do. I like being free" lautet eine von Tates monströsen Rechtfertigungen. Ich bin kein Vergewaltiger, ich mag es nur, zu tun, was ich will. "Women have no idea how deeply a man can love", prahlt er, Frauen ahnen gar nicht, wie sehr Männer lieben können – und Suner drückt wie nebenbei seine Zigarre gegen das Tattoo auf seiner Brust. Das sind die "Männerphantasien" in einer Nussschale: wurde ein Faschist doch konditioniert, seine Gefühle, seine Lust, seine Menschlichkeit mit Schmerz, Härte und Grausamkeit zu ersetzen.

Stammt die Montage von Theweleit-Texten mit zeitgenössischen Ergänzungen von Regisseurin Theresa Thomasberger und der Dramaturgin Lilly Busch, steuern die Autorinnen Svenja Viola Bungarten, Ivana Sokola und Gerhild Steinbuch je kurze Auftragstexte bei. Den "Tätermüttern" widmet sich Gerhild Steinbuch. "Best Mom Ever" steht auf der pinkfarbenen Schärpe, die Abak Safaei-Rad so stolz trägt wie das strassumrandete Foto-T-Shirt der Tate Brothers. Mit ins Gesicht geklebtem Grinsen geht diese Mutterstatuette über die Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihre zwei Tätersöhne hinweg, kippt dann aber doch aus der Rolle: "Schnür mir meinen ziemlich teilzerstörten Körper fester wie so ein kaputtes Panzerding das nichts hat außer meiner Wut." Es jelinekt sehr in diesen Passagen, wie überhaupt im ganzen Stück der chorische Sound der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin nicht zu verkennen ist.

Grölen, Saufen, Pissen 

Als "Bros" sampeln sich Svenja Liesau, Daria von Loewenich, Abak Safaei-Rad und Caner Sunar in den Texten von Theresa Thomasberger und Ivana Sokola durch die Männerstereotype: Grölen, Saufen, Pissen, Belobigung des gemalten Prospekts mit Watzmann (Bühnenbild: Mirjam Schaal). Und dann schwadronieren sie in Incel-Manier über die verlockenden Leiber der Frauen – "Meere von unbewegtem Fleisch und jungfräulicher Haut, Haarströme und Augenseen, ein unendliches unbetretenes Wunschterritorium" steht den Bros im Sinn. In Comedy-Höhen schwingt sich Svenja Liesau auf. Ihr Jens trägt Brille und strohiges Haar, unter einer Camp-David-Jacke und dem Karohemd rundet sich ein Bauch – sein "Feinkostgewölbe", wie Liesau kalauert. Ein Auto nennt Jens stolz sein eigen, im Adventskalender hat er einen Riesengrill gefunden, und auf dem werden auch gleich ein paar "Wursties" gebraten.

Mannerphantasien c JasminSchuller HP 0450Eine Engelserscheinung: Countertenor Steve Katona in den "Männerphantasien" © Jasmin Schuller

"Wursties" sind im von Svenja Viola Bungarten geschriebenen Monolog Penisse. Radikalfeministinnen lehnen das ab. Daria von Loewenich, brav-blond und im blau-weißen Sommerkleid, gibt die Influencerin, die ihre Follower:innen mit Einsichten in (un)zeitgemäße Varianten des Feminismus beglückt. "Von Femcel zu Trad Wife", heißt das Buch ihrer Rebecca von Lost, als die sich von Loewenich am Schluss Mutterkreuz-verdächtig in ihre Gebärkraft hineinsteigert.

Ebenso krude ist die Fascho-Farblogik der schwarz-weiß-roten Reichsflagge, die Jens, theweleit'sch berlinernd, am Grill verbreitet. Schwarz – die verbotene Liebe unter Männern als Totentanz in der Umnachtung des Rausches. Weiß – das Anti-Vermischte, der Glanz der Kälte, das Laken der Entlebendigung. Rot – das weibliche Fleisch liegt in seinem Blut. Schauder. Und Respekt: für Theweleits Sprache, die Heiner Müller in die Kulturwissenschaften getragen hat.

Grillmeister und Countertenor

Dann sind die Wursties fertig – vegan natürlich, denn dass Jens Tiere grillt, "das sind alles Vorurteile". Brüderlich genderqueer teilt der deutsche Grillmeister mit dem Countertenor Steve Katona, der wie eine Engelserscheinung und stimmlich intensiv immer wieder vom "swamp" und der "tide" gekündet hatte. Willste Ketchup? Hab ich im Auto. Fiepsende Fernbedienung. Black.

Sprachlich aufregend, inszenatorisch gezähmt, sind Theresa Thomasbergers theatrale "Männerphantasien" ein erhellendes Theweleit-Update. Und ein weiterer Puzzlestein im Profil des neuen DT, das mit anspruchsvollen neuen Stoffen erfolgreich auf ein junges, diverses Publikum zielt.

 

Männerphantasien
auf Grundlage von Klaus Theweleits gleichnamiger Studie mit neuen Texten von Svenja Viola Bungarten, Ivana Sokola und Gerhild Steinbuch
Regie: Theresa Thomasberger, Bühne und Kostüme: Mirjam Schaal, Musik: Oskar Mayböck, Licht: Peter Grahn, Dramaturgie: Lilly Busch.
Mit: Svenja Liesau, Daria von Loewenich, Abak Safaei-Rad, Caner Sunar, Gesang: Steve Katona.
Premiere am 1. Dezember 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

Der Abend werde "zu einer eklektischen Zitatesammlung, die reichlich verschwurbelt bleibt" und von Regisseurin Theresa Thomasberger im "Komödienton" vorgetragen werde, berichtet Barbara Behrendt für rbb|24 (2.12.2023). "Falk Richter erzählt in seinem neuen Abend 'The Silence' an der Schaubühne viel genauer und persönlicher vom "Soldatenkörper" seines Vaters und wie er sich auf das Leben des Sohnes auswirkt. Mit dieser Intensität kann 'Männerphantasien' am DT nicht mithalten."

Die Männer, die Klaus Theweleit "seinerzeit noch in gehobeneren Schichten verortete", seien bei Regisseurin Theresa Thomasberger "Prolls, die saufen, urinieren und fade Witze reißen", schreibt Tom Mustroph in der taz (3.12.23). Das sei zwar stellenweise witzig, unterschlage aber "das intellektuelle Potenzial dieser Männer". Zudem "verschwimmt, was originäres Zitat soldatischer Männer ist, was Analyse sein könnte und was nur billige Selbstironie ist", so der Kritiker. Einen "stärkeren Zugriff" finde die Regisseurin zwar "auf aktuelle Texteinschübe der Autorinnen Svenja Viola Bungarten, Ivana Sokola und Gerhild Steinbuch". Insgesamt handele es sich aber um einen Abend, der "will gewollt und wenig eingelöst" habe.

Kommentare  
Männerphantasien, Berlin: Langweilig und spießig
Ich will wieder einmal ins Theater gehen und gute Geschichten, Schauspieler:innen und Texte erleben. Nicht so ein Barbie-Theater mit Textschnippseln und normiertem Klassenziel „divers, weiblich gelesen, neu neu neu.“ Es ist nur noch langweilig und spiessig das deutsche Theater.
Männerphantasien, Berlin: Körperpanzer
Von Klaus Theweleit bleiben nur ein paar Schnipsel, z.B. seine Beobachtungen zum Körperpanzer und zu den Schwarz-Weiß-Goldenen Farben der Reichsflagge, die das vom Gorki Theater herübergewechselte neue Ensemble-Mitglied Svenja Liesau in ihrer gewohnt schnoddrigen Art mit ihren Faxen unterlegt, während sie ein paar Würstchen grillt.

Symptomatisch ist diese Szene kurz vor Schluss für einen Abend, der zu seinem spannenden Thema wenig Neues zu sagen hat. Die Chor-Szenen der Bros kommen kaum über Karikaturen hinaus, Liesau ist mit aufgepolsterter Wampe am stärksten verfremdet, Caner Sunar brüllt sich in die Rolle des Kickboxers und Coachs Andrew Tate hinein. Enttäuschend ist, dass auch die drei Auftragswerke der Autorinnen Svenja Viola Bungarten, Ivana Sokola und Gerhild Steinbuch nur neue Facetten, aber nicht mehr Tiefenschärfe verleihen.

Die Szenen und Fragmente werden von kurzen Auftritten des Countertenors Steve Katona unterbrochen, der als androgyner „Engel der Geschichte“ tiefpessimistische Kommentare über das männliche Geschlecht abgibt und schön singt. Als sich Liesau mit dem Schlussgag verabschiedet, dass sie noch Senf zu den Grillwürstchen aus dem Auto holen will, passt dies zu einem Abend, der weder wirklich unterhaltsam ist noch neue Erkenntnisse zu den Fragen bringt, denen sich das „Männerphantasien“-Team widmen wollte. Auch szenisch bleibt Thomasbergers DT-Debüt hinter dem Einfallsreichtum ihrer „Maria Magda“-Uraufführung zurück, die als Stream aus Münster zu sehen war.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/12/01/maennerphantasien-deutsches-theater-berlin-kritik/
Männerfantasien, Berlin: Nicht mehr
"In der Box, der kleinsten von drei Spielstätten, schleust sie einen bedrängenden Wortstrom durch vier Schauspieler:innen-Körper"
Es handelt sich um Menschen.
Niemand schleust hier irgendwas durch irgendjemanden, das sind eigenartige Kritikerphantasien die mich ratlos zurücklassen und den Schauspieler zu einem kleinen Werkzeug verkommen lassen. So lange so über Menschen geschrieben wird brauchen wir uns nicht zu wundern...
Das DT sieht mich nach dieser Kritik jedenfalls nicht mehr.
Männerfantasien, Berlin: Bewußt hergestellte Dummheit
In welchem Kontext steht Theweleit hier, und warum wird das jetzt wieder hervorgeholt? Wirklich nur wegen der politischen Entwicklung der AfD?

Im Bereich der Entwicklung von Kindern, auch in Bezug auf die Geschlechterrollen, wird übrigens mittlerweile wieder die Evolution herangezogen. Weil die Zeit einfach vorbei ist, wo Jungs nicht (mehr) mit Autos und Spielzeugwaffen spielen durften und Mädchen auch nicht (sic!). Heute geht es mehr um "Kinder verstehen. Born to be wild" (Herbert Renz-Polster), was nicht gleich Faschismus heissen muss. Faschismus oder AfD entsteht durch politischen Kontext, durch bewusst hergestellte Dummheit, nicht durch Reflexion, was das Spiel mit den Geschlechterrollen angeht.

In diesem Sinne geht es hier wohl eher um Diversität im Sinne von "alles ist möglich, wird aber auch noch politisch überformt"? Sowohl von Seiten der Grünen (radikalfeministischmännlich) als auch von Seiten der AfD (patriarchallesbischweiblich)? Ach Begriffe halt, nur Worte, oder? Sind junge Menschen heute so fest und homogen in ihren Lebensformen? Alle divers? Wie uniformiert!
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