Die Macht an der Kehle

16. Dezember 2023. Vor dem Aufkommen des Faschismus hat Heinrich Mann in seinem Roman "Der Untertan" schon dessen Paradetypus skizziert: den autoritären Charakter, Treter und Duckmäuser in einem. Regisseur Christian Weise zeigt Manns Stoff als Parabel für heute. In einem gallig düsteren Bilderreigen.

Von Iven Yorick Fenker

Heinrich Manns "Der Untertan" in der Regie von Christian Weise am Gorki Berlin © David Baltzer

16. Dezember 2023. Der Blick auf die Tiefe der Bühne ist versperrt. Eine mit Zeichnungen versehene Wand stellt die Kulisse: Dunkle Szenen des Drills, Kinder werden verdroschen, Arbeiter ächzen vor Ausbeutung, dicke Herren genießen das Leiden – Studien des autoritären Charakters. Es sind alles Männer, aus der oberen rechten Ecke pinkelt ein besonders fies feixender auf das Geschehen.

Die bildgewaltige Bühne ist von der Künstlerin Julia Oschatz, die schon länger mit Regisseur Christian Weise zusammenarbeitet. In ihre Bilderwelt hinein wird der Protagonist geboren: Diederich Heßling, der Untertan, verkörpert von Via Jikeli. Es ist ein vielversprechender Auftritt, direkt aus dem Bühnenboden, die Bretter brechen.

Bilder des Autoritarismus

Heßling, um den sich Heinrich Manns Roman "Der Untertan" dreht, windet sich also aus den Brettern dieses faschistoiden Gebildes, das die Kaiserzeit kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs zeigt. Der Nationalismus, der Antisemitismus, der Autoritarismus, die Lebensverachtung, die deutsche Disziplin, das Versagen jeglicher Lebensfreude sind diesen Bildern eingeschrieben. "Der Untertan", 1914 vollendet und erst 1918 in Buchform erschienen, wird 1933 von den Nazis verbrannt, gegenüber dem Maxim Gorki Theater auf dem heutigen Bebelplatz. Das Buch ist ein Vorbote der Unmenschlichkeit, in die die Deutschen gingen. Auch heute bietet der Text den Protagonisten des aufkeimenden autoritären Backlashs Ebenbilder.

Via Jikeli ist Diederich Heßling, der Untertan © Ute Langkafel / MAIFOTO

Zurück aber zum Anfang, der Geburtsszene, da setzt der Roman nämlich an und macht dann eine ganz schöne Strecke: Der Untertan Diederich Heßling kommt als Sohn eines Papierfabrikbesitzers zur Welt und lernt schon früh die Schläge des Vaters zu genießen, die "Macht an der Kehle" spüren, wie es öfter heißt.

Und so spielt Jikeli ihn dann auch, gedrungen und opportunistisch und dann wieder vollmundig und überheblich. Jikeli, die Anfang des Jahres noch mit Teilen ihres Schauspieljahrgangs der Hochschule "Ernst Busch" in "Amore" (Regie: Aram Tafreshian) zu sehen war, zeigt, dass sie auch ganz allein einen Abend tragen kann, mit Humor und Leichtigkeit – ihr Spiel entlastet von der Gewalt der Bilder. Mit dem Rücken zum Publikum strahlt sie schon eine unheimliche Bühnenpräsenz aus, dann dreht sie sich um, und ab da begleiten sie die Lacher des Publikums. Sie fährt eine Show ab, feixt berlinernd.

Geschichte in zwölf Moritaten

Jetzt wird's also lustig. Nach der Geburt geht es für Heßling erst einmal zum Studieren und natürlich in eine schlagende Verbindung und nach: Berlin, später weiter in die Provinz, wo er Fabrikleiter wird und sich in nationalistische, kaisertreue Ränkespiele begibt.

In zwölf "Moritaten" wird Heßlings Geschichte erzählt. Links und rechts sitzen die Musiker Jens Dohle und Falk Effenberger. Ihr Sound bestimmt den Abend, wechselt von Drehorgel zu Schlagzeug zu Balladengesang und weiter. Jedem Moritat wird eine kurze Inhaltsangabe vorangestellt, wie im Theater von Bertolt Brecht (dessen Mackie Messer-Song aus der "Dreigroschenoper" mit angepasstem Text im Intro zu hören ist). Till Wonka gibt den Moritatensänger, Erzähler und Conférencier mit imposanter, drängender Präsenz und herrlich sonorer Stimmgestaltung.

Zu viel zu lachen

Die meisten Akteure, so auch Wonka, spielen mehrere Figuren. Sie spielen schnell, präzise, spielen miteinander und mit dem Publikum. Und am witzigsten ist es, wenn Jikeli in ihrer Figur, aber aus der Szene heraus zum Saal spricht. Die Rollenreflexionen stehen im starken Gegensatz zur Härte des Textes. Es zeigt sich, dass Heßling gerne Untertan sein will und eben die Macht an der Kehle spüren will, aber leiden, dafür ist er dann doch zu bequem.

Untertan BaltzerBurschenschafts-Gaudi im gemalten Bühenbild von Julia Oschatz © David Baltzer

Heßling kommt ganz stattlich ausstaffiert daher mit umgebundenem Bauch, der entblößt bei der Musterung dann auch für ein paar Lacher sorgt. Sonst sind die Kostüme mit historischen Anleihen leicht grell und karikaturhaft gehalten, ein wenig aus der historischen Zeit, ein wenig aus der Zeit gefallen. Wonkas Conférencier trägt Zylinder, Heßling kurze Knickerbocker.

So ist der ganze Abend: Irgendwie zwischen den Zeiten angesiedelt, zwischen der Romanzeit und der heutigen, dann wieder so drüber, dass es einfach nur wahnsinnig lustig ist, dann wieder kleinteilig und spielfreudig. Das Ensemble, top! Und die Bühne auch.

Die Inszenierung nimmt mit ihren Miniaturen ein, ist unterhaltsam – und doch ist die Welt, in die sie führt, es eben nicht. Man sieht hier die faschistoide Entgleisung. Schritt für Schritt, Bühnentafel für Bühnentafel. Der machtgeile Opportunist Heßling ist lächerlich, aber ist das zum Lachen?

Der Untertan
nach Heinrich Mann
Regie: Christian Weise, Bühne: Julia Oschatz, Kostüm: Josa Marx, Lane Schäfer, Musik: Jens Dohle, Falk Effenberger, Lichtdesign: Ernst Schiessl, Dramaturgie: Valerie Göhring.
Mit: Tim Freudensprung, Via Jikeli, Marta Kizyma, Catherine Stoyan, Till Wonka.
Premiere am 15. Dezember 2023
Dauer: 1 Stunden 30 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (16.12.2023) sah "eine Weise-typische, recht brachial expressionistische Karikatur mit kindlich ungezogener Anmutung und sarkastischem Humor". "Die 26-jährige Gerade-noch-Schauspielstudentin Via Jikeli verkörpert, schön rundlich ausgepolstert und im fortgeschrittenen Alter mit einem wilhelminischen Zwirbelbart bestückt, die Titelrolle Diederich Heßling. Herrlich, was sie da alles mit ihren Augen macht und wie unbegrenzt die Ausdrucksformen des bornierten Blicks sind!"

Auch Michael Wolf zeigt sich in nd.DerTag (17.12.2023) beeindruckt von Jikeli, insbesondere von ihrem Gespür für Timing. Jedoch bemerkt er: "Das raffinierte Bühnenbild, die schrillen Kostüme, die Knallchargen auf der Bühne – all das ist nach einer Dreiviertelstunde erfasst, erkannt und erschöpfend bewundert." Spät versuche Weise seine Inszenierung nachträglich zu politisieren. Für einen Bezug zur politischen Gegenwart tauge der Abend aber nicht: "weil hier alles so grell geschminkt und gespielt ist, dass jede Wirklichkeit von der Bühne flieht".

"90 bunte, aber auch etwas hohle Minuten Comedy", erlebte Fabian Wallmeier vom RBB (16.12.2023). "Nichts von Heinrich Manns heiligem Schwulst blitzt hier durch, schon gar nicht sein feiner Spott. Stattdessen: Voll auf die Zwölf, anderthalb Stunden lang. Ohne Erbarmen." Es werde leider recht schnell öde und ermüdend.

 

Kommentare  
Der Untertan, Berlin: Drei Trümpfe
Drei Trümpfe hat diese Roman-Adaption am Gorki Theater zu bieten: Via Jikeli, frisch von der HfS Ernst Busch, gibt ein starkes Debüt in der Hauptrolle des ewigen Duckmäusers Diederich Heßling, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Mit einem feisten Bauch ausstaffiert berlinert sie sich durch die 12 Szenen, die Christian Weise aus Heinrich Manns Roman destilliert hat. In zwei kleineren Arbeiten war sie schon in der vergangenen Spielzeit zu sehen: in der HfS-Jahrgangsproduktion „Amore“ im Gorki-Studio und in „Alias Anastasius„, das im Werkraum des Berliner Ensembles weiter zu sehen ist.

Der zweite Trumpf ist das Bühnenbild von Julia Oschatz: ihre Zeichnungen sind detailverliebte Wimmelbilder. Besonders viele satirische Miniaturen gibt es im großformatigen Auftakt-Tableau zu entdecken.

Der dritte Trumpf ist schließlich Till Wonka, der zur Melodie des Mackie Messer-Songs aus der Dreigroschenoper mit einem Eröffnungssong in den Abend einführt und vor jeder der 12 Moritaten eine kurze Inhaltsangabe gibt, was wir in den nächsten Minuten sehen werden.

Der Grundton der 90 Minuten ist deftiges Volkstheater, die Figuren sind zu Karikaturen überspitzt, der Humor ist so grell, wie man ihn aus früheren Inszenierungen von Christian Weise kennt. Eine Schwäche des Abends ist, dass sich die szenischen Miniaturen auf die Dauer sehr ähneln und immer auf dasselbe Fazit hinauslaufen: Heßling ist ein äußerst unangenehm-schmieriger Zeitgenosse, der sich durchs Leben laviert und sich mit seinem autoritären Untertanen-Geist bequem einrichtet.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2024/01/26/der-untertan-gorki-theater-kritik/
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