Krude Königinnen

13. Januar 2024. Überschreibungen sind in Mode. Zeitgemäß umkreisen Jessica Weisskirchen und ihr Team mit Schillers "Maria Stuart" Fragen weiblicher Machtausübung. Wer wird in ihrer bildstarken Performance die Oberhand gewinnen: Mary oder Elizabeth? Vielleicht ist ja auch eine Doppelspitze denkbar?

Von Sarah Heppekausen

"Queens" am Theater Dortmund © Bettina Hupfeld

13. Januar 2024. Mary und Elizabeth plumpsen gemeinsam aus der übergroßen Gebärmutter, die auf der Bühne thront. Die Zombie-Chorfrauen schälen sie aus ihren Fruchtblasen. Angekettet und verbunden bleiben beide dabei die ganze Zeit über durch einen Strick – die Nabelschnur, die Leben schenkt wie Freiheit nimmt. Zwei Schwestern, aus einem Schoß. Zwei Frauen, vereint in ihrer Weiblichkeit. Und zwei Königinnen.

Blick auf die weiblichen Kräfte

Fürs Theater Dortmund überschreibt Regisseurin Jessica Weisskirchen zusammen mit dem Dramaturgen und Übersetzer Christopher-Fares Köhler und Dramaturgin Marie Senf Schillers Königinnen-Drama "Maria Stuart". Dass sie ihren Blick auf die weiblichen Kräfte konzentrieren, wird schon im Bühnenbild überdeutlich. Ausstatter Günter Hans Wolf Lemke, für die Bühne und die opulenten Kostüme zuständig, positioniert eine Vulva im Zentrum, mit Lichterketten beleuchtet, sogar die Eierstöcke pusten sich irgendwann ballonartig auf, da reifen wohl die Eizellen.

Klar, die Produktion von möglichen Thronfolger*innen ist stets ein Thema in den Königsfamilien, auch bei Mary und Elizabeth. Alles ist rot auf der Studio-Bühne, die Gebärmutter, die Arterien-Stricke, die Kostüme, das Licht. Blutrot, wutrot. Weisskirchen zeigt keinen edlen Kampf der Königinnen, in dem die moralisch Überlegene Sympathien gewinnt. Dieses Ringen um die englische Krone will eine Studie der weiblichen Machtausübung liefern.

Figuren eines blutrünstigen Splatter-Movies

Marlena Keils Mary ist Verstörte wie Verstörende, sie reagiert emotional, kriecht am Boden wie ein angekettetes Tier. Ihre Macht ist weniger die weibliche Anziehungskraft als eine unerschütterliche Überzeugung. Linda Elsners Elizabeth – die "Virgin Queen: Rein, jungfräulich, heilig…schön", wie es im Text heißt – hadert, wenn sie Argumente durchdenkt oder Positionen hinterfragt, dann verkrampft auch ihr Körper. Sie klingt mal pokernd, mal wie außer-sich-seiend.

Queens2 1200 Birgit Hupfeld uZwei Seiten einer Macht-Dyade: Linda Elsner, Marlena Keil als Elizsabeth und Mary (vorn), Bärbel Capelle, Ulrike Späth, Anne Grundmann, Julia Regnath, Birgit Korte (Sprechchor Dortmund) © Birgit Hupfeld

Im Reich des Scheins manövriert sich Elisabeth auch bei Schiller durch die Szenen. Aber in dieser Inszenierung sind sie alle wie aus der Welt getreten, unterwegs als Figuren eines blutrünstigen Splatter-Movies – wenn auch mit ausgefeilt-differenzierter Sprache. Diesen Eindruck verstärkt der Chor der toten Königinnen*, zombiehaft in Bodysuits gesteckt, die Adern, Muskeln und Sehnen abbilden und sämtliche Haare abdecken. Sie assistieren, hofieren, belächeln und kommentieren.

Wird es eine Doppelspitze?

"Die Frau, die Geliebte, die Ungeliebte, die Jungfräuliche, die Wütende, die Erkennende, die sich windende, sich fragende, die Königinnenschar…", raunt der Chor und steckt das Feld ab: Es geht um die machthabende Frau, mit all ihren Eigenarten. "Die Königinnenschar…Blutet weiter, in den Boden. In die Geschichte." Weil wir sie auf ihr Frau-Sein, auf ihre Eigenarten reduzieren? Elizabeth zumindest beschwert sich in der Dortmunder Textfassung, dass von ihr die Heirat erwartet wird: "Nur Frau des Herrschers darf ich sein."

Die Inszenierung schreit nach Veränderung, übertüncht aber jeden Ansatz in einem kruden Spiel. Wenn Elizabeth und Mary wieder aufeinandertreffen, dann schwingen sie zu Elektrosounds lauernd ihre Nabelschnur-Stricke um den Thron, klammern sich an ihn. Ein seltsam choreografierter Women-Fight ist das. Sie diskutieren die Idee des gemeinsamen Regierens, die Doppelspitze. Aber sie verdrängen ihre Wut nicht länger, der Plan scheitert.

Und die Männer? Lukas Beeler springt in der Premiere kurzfristig für den erkrankten Viet Anh Alexander Tran ein. Beeler und Ekkehard Freye übernehmen alle männlichen Parts, im gleichen Kostüm und mit den gleichen schwarzen Langhaar-Perücken. Vor allem als Mortimer und Graf von Leicester hat ihr Spiel urkomische Züge, aber ernst nehmen kann man diese Zwillings-Herren kaum. Sie übernehmen notwendige Nebenrollen, sind Boten und Berater, Werbende und übermütig Tönende. Und dennoch wirken die beiden in all ihrer Krudität menschlicher, zugänglicher als die Frauen. Das ist vielleicht genau das Problem.

 

Queens
nach "Maria Stuart" von Friedrich Schiller
Mit Texten von Christopher-Fares Köhler
In einer Fassung von Marie Senf, Jessica Weisskirchen und Christopher-Fares Köhler
Regie: Jessica Weisskirchen, Ausstattung: Günter Hans Wolf Lemke, Choreografie und Sounddesign: Hannes-Michael Bronczkowski, Dramaturgie: Marie Senf, Licht: Stefan Gimbel.
Mit: Linda Elsner, Marlena Keil, Ekkehard Freye, Viet Anh Alexander Tran (aufgrund von Erkrankung übernahm in der Premiere Lukas Beeler dessen Rollen), Sprechchor Dortmund: Bärbel Capelle, Anne Grundmann, Birgit Korte, Julia Regnath, Ulrike Späth, Lea Sofie Wesner.
Premiere am 12. Januar 2024
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.theaterdo.de

 

Kritikenrundschau

Eine Bereicherung für Schillers Drama seien die neuen Texte von Christopher-Fares Köhler nicht, schreibt Britta Helmbold in den Ruhr Nachrichten (14.1.2024). Viel falle weg in der Dortmunder Fassung, "denn es soll vor allem keinen 'Zicken-Krieg' zwischen Elisabeth und Maria Stuart geben". Sogar eine gemeinsame Amtsausübung überlegten die beiden hier als Zwillingsschwestern geborenen Königinnen – aber dann möchte keine von ihnen ihren Machtanspruch aufgeben und weiter gehe es mit den gegenseitigen Demütigungen. Der Chor suggeriere Bedeutungsschwere, sei aber "ziemlich überflüssig", so Helmbold. "Das engagierte Spiel des Mimen-Quartetts in der recht schlichten, Schillers Text reduzierenden Inszenierung belohnte das Premieren-Publikum mit reichlich Applaus."

Weiblichkeit sei das wiederkehrende Thema der Inszenierung, schreibt Anne Koch bei den Ruhrbaronen (14.1.2024): "Gott, der Eva aus der Rippe des Mannes schuf, Elisabeth, die einen Apfel vom Eileiter pflückt und somit die Gebärmutter zum Baum der Erkenntnis macht. Die Ovarien, die anfangen zu wachsen und zu glühen." Zwar werde man um die Schiller’sche Katharsis betrogen – "Maria Stuart wird nicht hingerichtet, sondern die Königinnen verschmelzen oder vernichten sich in einer blutspritzenden Vermählung" –, aber auch der uneindeutige Schluss der Dortmunder Fassung bewirke "eine Einhegung von Affekten und eine reinigende Wirkung, wie es die Dramentheorie seit Aristoteles möchte".

 

Kommentare  
Queens, Dortmund: Urheberrecht
Manchmal wünschte man sich die Verlängerung des Urheberrechtsschutzes auf 500 Jahre.
Queens, Dortmund: Leidendes Theater
Ja, bitte die Urheberrechtsschutz auf mindestens 250 Jahre verlängern. Es ist verstörend, langweilig und schmerzlich, was die sogenannten, meist eitlen und einseitigen Überschreibungen von neuen Dramatiker*n oder Dramaturg*innen veranstalten. Gewalt an der Sprache. Die Banalisierung des Schreibens. Krasse Selbstüberschätzung. Das Theater leidet.
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