Goldie - Schauspiel Leipzig
Auferstehung als Avatar
14. Januar 2024. Was, wenn der verstorbene Partner als KI weiterlebt? Bekäme dann auch die Liebe eine zweite Chance? Emre Akal spielt in "Goldie" mit einer solchen Situation – und setzt auf die Faszination der neuen Technik.
Von Michael Bartsch
14. Januar 2024. Was Mediziner und Biologen nicht schaffen, verheißt derzeit die Künstliche Intelligenz: Ewiges Leben, zumindest virtuelles Weiterleben in einer für die bisherigen Mitmenschen wahrnehmbaren Form ist möglich! Es gilt nur, genügend digitale Spuren zu hinterlassen, um bequem rekonstruierbar zu sein. Und da wir uns ohnehin immer mehr wie dressierte Roboter bewegen, dürften die formelhaften Gesten und Standardsätze des Doubles kaum auffallen, ließe sich zynisch hinzufügen.
Ein "Digitales Requiem" nennt denn auch der in München lebende Autor und Regisseur Emre Akal im Untertitel sein neuestes Stück "Goldie". Akal changiert mit Vorliebe zwischen vorgegaukelten und realen Welten und fügt mit seinem Text der aktuellen KI-Debatte eine theatralische Komponente hinzu. Es geht um den dienenden oder herrschenden Charakter von Algorithmen in Verbindung mit massenhafter Informationssammlung und frappierenden technischen Umsetzungen.
KI überwindet den Tod
Die Idee zu "Goldie" könnte der britischen Science-Fiction-Fernsehserie "Black Mirror" entstammen. Gleichwohl besticht sie, weil sie hohe Erwartungen weckt. Wenn es gelänge, einen verlorenen Freund und Lebenspartner virtuell zu reanimieren, ließe sich dann nicht nur der Schmerz des Verlusts mildern, sondern gar die Beziehung in idealisierter Weise wiederherstellen?
Kurz und knapp führt das Stück in einen solchen Fall. Eine namentlich nicht genannte Freundin verliert ihren Freund Murat, ausgerechnet ein Theaterautor, bei einem Verkehrsunfall. Seine DNA und der Asphalt hätten sich vereint, heißt es makaber-poetisch. Ein Startup-Unternehmen bietet die an, Murat als Avatar sowohl zur Erinnerungspflege als auch zur Bewältigung verschleppter Konflikte postum zur Verfügung zu stellen. Als Running Gag wird von einer synthetischen Stimme der jeweilige Preis für die Einzelleistung genannt, 79,99 Euro für die Wahrheit beispielsweise.
Die aus der Konstellation folgende dringendste Frage befeuert die Neugier enorm: Kann eine KI das Original, ein Avatar das Lebewesen zumindest partiell ersetzen? Und erfährt die Überlebende so tatsächlich Trost wie beim Durchblättern eines sprechenden Fotoalbums, oder deprimiert sie die Erkenntnis einer Fiktion nicht noch zusätzlich?
Technische Faszination
Doch in solche psychologischen Tiefen taucht die gleichwohl inspirierende Inszenierung Emre Akals nicht hinab. Etymologisch ist ein Avatar nach dem Sanskrit eigentlich eine herabsteigende Gottheit. Aber der in den Videos, die seine Freundin räumlich in einer VR-Brille sieht, omnipräsente Murat-Nachbau hat überhaupt nichts Gottähnliches. Gestanzte, unorganische Bewegungen, dazu eine meist in oberflächlichen Banalitäten steckenbleibende Erinnerungs- und Bewältigungskonversation mit seiner Freundin.
Der Autor Emre Akal berichtet in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur davon, dass er das Stück selbst mithilfe von KI konzipiert habe. Man möchte schließen, dass diese KI zuvor mit allzu vielen amerikanischen Seifenopern gefüttert wurde.
So ist "Goldie" vor allem eine faszinierende Präsentation, was technisch und rechentechnisch schon möglich ist. Denn in einem Raum in sympathischem Grün hinter der Gazewand verleihen ein Schauspieler und eine Schauspielerin der programmierten Figur Stimme, Gesicht und Bewegungsschema. Es lässt staunen, wie Gesten und Bewegungen wenn auch mit spürbarer Verzögerung von der ebenfalls in Komplettgrün gehüllten Bewegungsartistin auf die Murat-Figur und in den virtuellen Raum übertragen werden.
Solche Faszination würde sich bald erschöpfen, wäre da nicht der titelgebende Goldhamster Goldie. Er liefert durch seine aufmerksamen Beobachtungen die ironische Brechung der idealisierten Erinnerungen des Paares, entzaubert diese witzig und augenzwinkernd. Der Einfall dieser Figur rettet das Stück, und das hinreißende Spiel von Niklas Wetzel würde allein schon für einen Soloabend genügen. Nach Sound und Funktion im Stück lässt das Känguru von Marc-Uwe Kling grüßen. Nur einige bemühte Witzchen hätte sich der Autor sparen können.
Ausweg oder Irrweg?
Im Interview bedauert Emre Akal die technische Zwischenlösung, die noch keine Hologramme auf der Bühne und eine haptische virtuelle Begegnung erlaube. Ohne Relativierung zeigt er sich überzeugt von einer Weiterentwicklung auf diesem Wege, obschon doch gerade sein Goldie-Hamster dessen Grenzen aufzeigt.
Wer ist hier eigentlich noch Subjekt außer Goldie und der ratlosen Freundin, fragt man sich erkenntnisbemüht gegen Ende? Dieser auferstandene Murat wird im Lauf des Stücks immer unsympathischer und ist kein ernst zu nehmendes Gegenüber. Es wächst die Versuchung, eher von künstlicher Dummheit als von künstlicher Intelligenz zu sprechen.
Goldie – ein digitales Reqiuem
von Emre Akal
Regie: Emre Akal, VR-Design und Programmierung: Emma Chapuy und Paul Schengber, Bühne und Kostüme: Sabine Born, Musik: Sophie Constanze Polheim und Hendrik Rohde, Video: Robert Gotthardt.
Mit: Alina-Katharin Heipe. Nicole Widera, Wenzel Banneyer, Niklas Wetzel.
Premiere am 13. Januar 2024 im Schauspiel Leipzig, Diskothek
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause
www.schauspiel-leipzig.de
Kritikenrundschau
"Mit Themen wie Verlust, Trauer oder Einsamkeit berührt dieses Stück nicht", gibt Julia Hemmerling auf MDR Kultur (15.1.24) Entwarnung: Es müsse also nichts durchlitten werden. Die Animationen und projizierten Settings wirken der Kritikerin zufolge "bei aller technischer Raffinesse holzschnittartig, lassen aber das Spiel einer Schauspielerin mit einer computergenerierten Projektion durchaus zu". Zudem befreie "der Humor den Kopf fürs neutrale Beobachten", und der Abend könne im besten Sinne Fragen stehen lassen.
"Akals Stück berührt durch die Verdeutlichung des Verlusts von geliebten Menschen", schreibt Martina Jacobi in der Deutschen Bühne (online am 14.1.24). Als Regisseur beleuchte Akal "die Möglichkeiten von KI" und gebe in seinem Abend "viele Denkanstöße" für "weiterführende Fragen".
"Akal setzt das komplexe, zwischen realer und virtueller Welt changierende Setting originell doppelbödig und dabei gut nachvollziehbar in Szene", urteilt Diemo Rieß in der Leipziger Volkszeitung (15.1.24, €). "Der pessimistische Abend, untertitelt als 'digitales Requiem', findet eine unterhaltsame Balance aus melancholisch-kritischem Blick auf ein Zukunfts-Szenario und originellen Brüchen", schreibt der Kritiker. Mit seinem "Seitenhieb auf die Beziehungsunverbindlichkeit der Gegenwart" geselle sich sogar "noch ein kleiner Abgesang auf die Liebe" hinzu.
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Ich checke nicht, in welcher Welt die Theaterleute Leben. Man hat diese Dinge in der Computerwelt und Gaming Industrie und in der Film Branche in den 2000ern mit weniger Geld besser gemacht, als 2024 in Leipzig.
Theater denken, sie sind crazy. Die Bilder sehen aber aus wie … lol … und die Story, keine Ahnung, cheap. Uncool.
Zur vorherigen Kritik: Euer Theaterstück hebt sich wohltuend von Vergleichen mit der Gaming-Industrie ab. Es geht nicht darum, sich zu messen, sondern um die einzigartige Fusion von Kunst und Technologie.
Wahrscheinlich lohnt sich schon wegen des Goldie-Hamsters die Reise nach Leipzig.
(Danke für den Hinweis, wir haben den Formatierungsfehler behoben, der zum Verschwinden des Namens von Michael Bartsch führte. Herzliche Grüße aus der Redaktion)
Die Schnittstelle zwischen Analogem und Digitalität wurde wieder punktgenau getroffen und stützte die Handlung des Stücks. Auch, wenn die Technik gelegentlich drohte nachzugeben, ergänzte genau diese "Sollbruchstelle" die inhaltliche Dimension und symbolisierte die Fehlbarkeit des Menschen, in diesem Fall von dem "nur durch Bezahlung zugänglichen Avatar Murats" und seiner Partnerin, die in der digitalen Welt genauso verloren schien, wie in ihrer Realität.
Kaum bringt jemand einen kritischen Aspekt rein oder möchte etwas erörtern, kommt eine rasche Antwort oder eine „Richtigstellung“ und bügelt die Bemerkung glatt oder katapultiert sie ins Bejahende.
Es geht nicht um Dialog. Diese Kommentare erinnern eher an lästige Marketingstrategien. Kommen sie vom Regieteam oder vom Theater?
Unfaires Spiel.