Warten auf Godot - Theater an der Josefstadt Wien
Genug der Gegenwart
15. Dezember 2023. Samuel Beckett breitet in seinen Theatertexten die Absurdität des Seins vor uns aus. Godot wird nicht kommen, obwohl alle auf ihn warten. Claus Peymann inszeniert den Klassiker in Wien.
Von Andrea Heinz
15. Dezember 2023. Was soll man sagen? Die Zeiten, in denen wir heute und wohl noch für lange Zeit leben, sind wie gemacht für das Absurde Theater, und für "Warten auf Godot" erst recht. Wie gelähmt warten wir darauf, dass uns endlich jemand retten möge vor den am Horizont grollenden Klimakatastrophen, vor der rechten Gefahr aus Nord und Ost und West und Süd, vor den Massenmördern und Menschenrechtsverbrechern, vor der nächsten Stromrechnung, ach, vor dem röchelnden und hustenden Sitznachbarn hinter uns im Theater. Hustet und röchelt, während vorne auf der Bühne Estragon und Wladimir auf Godot warten, auf dass er sie rette vor der unerträglichen Sinnlosigkeit ihres Daseins, der Gewalt auf der Straße, den leise flüsternden "Millionen Toten", die Menschlichkeit von ihnen einfordern und vielleicht sogar so etwas wie eine Haltung.
Straße in den Abgrund
Auch wenn es mit dem geschärften Blick der Gegenwart ein wenig so scheinen mag, das ist alles nicht neu. Und so bringt es Claus Peymann dann auch auf die Bühne des Theaters in der Josefstadt: Nah am Text, ohne viel Chi-Chi und zeitlos – oder eben, je nach Perspektive, recht konventionell. Handwerklich jedenfalls ist das Ganze einwandfrei.
In der Mitte der Bühne (Paul Lerchbaumer) steigt eine schmale Landstraße sachte bergan und stoppt abrupt vor einem Abgrund, hinter dem die nackte Bühnenwand aufragt. Links und rechts drängen sich klaustrophobisch zwei mit weißem Papier verkleidete Wände.
Mitten auf der Landstraße (es ist, vom Sanierungsstatus her zu schließen, eine mitteleuropäische) bricht ein verkümmertes Bäumchen durch den Asphalt, und das ist wichtig, denn an diesem Baum sollen Estragon (Marcus Bluhm) und Wladimir (Bernhard Schir) Godot treffen. Oder auch nicht, mein Gott, wer weiß das schon so genau. Die beiden warten Stunde um Stunde, Tag um Tag, am Schnürboden gehen Sonne, Mond und Sterne auf und unter, und Godot, das ist bekannt: kommt nicht.
Unbändiger Geist an der Leine
Bluhm und Schir sind ein präzise aufeinander eingespieltes Duo, eine Mischung aus Dick und Doof, traurigen Weißclowns und mal einfältigen, mal abgebrühten Landstreichern. Die obligatorische schwarze Melone auf dem Kopf darf dabei nicht fehlen. Zwischen Slapstick und Fäkalhumor blitzt abgrundtiefe existenzielle Verzweiflung hervor, die beiden machen das souverän und unterhaltsam, nur manchmal wird der etwas zu lange Abend trotz all ihrer Bemühungen doch etwas schwerfällig.
Da kommen die beiden Auftritte von Herr und Knecht, Pozzo (Stefan Jürgens von Kopf bis Fuß in königlichem Rot, mit der Faszination der Macht) und Lucky (halbnackt und kalkweiß: Nico Dorigatti), wie gerufen.
Letzterem gelingt der wohl herausragendste Moment des Abends, der ihm begeisterten Szenenapplaus einbringt: Auf Pozzos Befehl, doch "laut zu denken", wird der zuvor trotz seiner deutlich sichtbaren Muskeln willen- und kraftlos wirkende Lucky plötzlich völlig klar, hält einen nichtsdestoweniger wirren Monolog und rennt wie von Sinnen auf der Bühne hin und her, dabei das weiße Papier von den Wänden zerrend. Es ist ein starker, trauriger Moment, wenn es Estragon und Wladimir schließlich gelingt, Lucky wieder zu bändigen und sein Herr Pozzo ihn, den für kurze Zeit unbändigen Geist, buchstäblich wieder an die Leine nimmt.
Ob es diese Welt wohl gibt?
Der Bub, der jeweils am Ende der beiden Tage auftaucht, um zu verkünden, dass Godot heute nicht mehr, morgen aber vielleicht ganz bestimmt kommt, wird hier von einer Puppe verkörpert, der Bernhard Schir als Wladimir Bewegungen und Stimme verleiht: ein sinnvoller Kunstgriff, ist doch unklar, ob es Godot und die Verabredung, ob es diese absurde Welt überhaupt gibt – oder alles nur, Achtung Anspielung, ein Spiel ist.
Es ist, zumindest über weite Strecken, ein unterhaltsames, schauspielerisch definitiv sehenswertes Spiel. Allzu viel an frischem, zeitgenössischem Zugriff darf man sich dabei nicht erwarten – aber vielleicht ist die Realität, mit der im Kopf wir dieser Tage auf die Bühne schauen, ja auch schon genug der Gegenwart.
Warten auf Godot
von Samuel Beckett
in der Übersetzung aus dem Französischen von Elmar Tophoven, 1953
Regie: Claus Peymann, Bühne: Paul Lerchbaumer, Kostüme: Su Bühler, Licht: Ulrich Eh, Dramturgie: Jutta Ferbers.
Mit: Bernhard Schir, Marcus Bluhm, Nico Dorigatti, Stefan Jürgens.
Premiere am 14. Dezember 2023
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.josefstadt.org
Kritikenrundschau
Peymann bleibe nah am behutsam gekürzten Text, lausche auf Becketts Nuancen und die schrägen Melodien von Widerspruch und Wiederholung, so Hubert Spiegel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (16.12.2023). "Er folgt dem Spiel von Anziehung und Abstoßung, Zärtlichkeit und Gewalt zwischen den beiden Landstreichern und arbeitet die Kinderfragen und Kinderängste heraus, die das Stück durchziehen. Und zugleich horcht er jenen Ängsten nach, die Kinder noch nicht kennen, den Erwachsenenängsten vor Alter, Krankheit, Tod." Peymanns Godot sei Handarbeit. "Man mag das bieder nennen, puristisch oder auch konventionell." Aber es habe auch etwas Unerschütterliches.
Im Allgemeinen bleibe Peymann dem Text erfreulich treu, findet Thomas Kramar in der Presse (16.12.2023) Von dekonstruktivistischen, sprich: destruktiven Eingriffen halte Peymann nichts. "Auch darum ist seine Inszenierung von 'Warten auf Godot" so gelungen."
"Der heftig beklatschte Abend ist ein Gruß aus vergangener Zeit, als solcher aber stimmig", schreibt Margarete Affenzeller im Standard (16.12.2023). Den Schauspielern schaue man gerne zu. Nach der Pause verliere der Abend an Elan, "sodass das Clownspiel zunehmend einer nostalgischen Übung gleicht, auch dann, wenn Peymann beim Stichwort 'die Welt, ein Massengrab' kurz Kriegsgeheul aufdrehen lässt."
Die Chemie stimme zwischen den Schauspielern, findet Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (16.12.2023) "Man könnte dieses Paar aber auch ganz anders, viel brutaler inszenieren." Die zweieinhalb Stunden könnten durchaus lang werden. "Es ist aber immer wieder auch schön zu sehen, wie ungebrochen Peymann immer noch ans Theater glaubt. Vieles an diesem auch nostalgischen Abend erinnert an frühere Zeiten."
Am Ende bleibe der deprimierende Eindruck: "Wir sind alle nur willenlose Clowns in einem schrecklich komischen, sinnlosen Leben, dem wir nicht entkommen können", schreibt Guido Tartarotti im Kurier (16.12.2023). Einmal zeige Peymann, dass auch andere Interpretationen möglich wären: "Da wird Kriegslärm eingespielt, hört man Hubschrauber und Detonationen und sieht den Schein von Explosionen." Mit einem Fingerschnippen stelle Wladimir das ab und licht- und tontechnisch die Ausgangssituation her. "Und die heißt: Theater. Wir spielen Leben. Wir spielen Warten." Und gespielt werde ausgezeichnet. Allerdings sei der Abend zu lang.
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