Erpresso Macchiato - Theater Basel
Operation Bond, James Bond
13. April 2024. Der Titel des Abends klingt entfernt nach Pollesch. Und auch das Herangehen kommt einem irgendwie bekannt vor. Ein Team um Regisseur Franz Broich nimmt das Agentenfilm-Genre auseinander. Mit Frauen in allen Rollen, so viel spoilern wir hier schon mal.
Von Claude Bühler
13. April 2024. Muss man sich noch an James Bond abarbeiten? Jenem Wichtigtuer, der – wenigstens bis Daniel Craig – sich an jeder Hotel-Lobby wie ein Kleinbürger auf Pauschalreise aufspielt? Über den es doch Parodien gibt, seit es die James-Bond-Filme gibt? Am Theater Basel fand man, dass das lustig wäre.
Von "James" ausgehend zieht man das Agentengenre ganz allgemein durch den Kakao – und hinterfragt gleichzeitig subversiv die Identität im Film, ja sogar das Spiel als darstellerische Leistung und das Bemühen um Esprit oder Ausgestaltung. Der Abend "Erpresso Macchiato", er führt nahe an die Aushöhlung einer künstlerischen Wertigkeit.
Erst mal gibts Werbung
So sehen wir gleich zu Beginn, als säßen wir im Kino, Werbespots in absichtlich hundsmiserabler Bild-Qualität auf einem Screen. Dann die effekthascherische Exposition eines B-Movie: eine Frau in schwarz mit Pistole, sie geht in eine Kirche, eine Bibel wird übergeben mit einer Botschaft drin; die nächste Frau in rot, im Festgetümmel der Basler Fasnacht, etwas treibt sie an, wir wissen nicht was; die dritte Frau im Hafen, sie wird von irgendwem verfolgt, sie steigt über Eisenbahnwagen – dazu, immer wieder, eigentümliche Agentenfilmmusik in der Art der Siebziger Jahre.
Die drei Frauen stehen plötzlich auf der Bühne, angeblich in einer Kunstausstellung, aber was weiß man schon? Jedenfalls diese Frauen nichts: Der eingewickelte Stuhl sei von Christo, behauptet die eine. Die andere: Sie sei nicht religiös. Die Dritte: "Interessieren Sie sich für darstellende Künste?" Antwort: "Darstellende Künste? Klingt nach Arbeit. Mache ich doch den lieben langen Tag." Aha, Filmagentin sein, das ist nur Show. Wobei der bestimmende Twist des Abends das Geschlecht betrifft: Die Frauen persiflieren Männer-Typen.
Triggerworte fallen
Nur der billige Witz ist ein guter Witz. Das wird am ganzen Abend gut durchgehalten. Ein Beispiel? "Mir ist das Kondom geplatzt." "Im Ernst?" "Nein, im Detlef." Und noch eins: A sagt, "seltsam, wenn ich eine Polizeimütze aufsetze, kann ich niemanden mehr normal grüßen". Sie setzt sie auf. B: "Guten Tag!?" A: "Heil Hitler!" Dazu gibt es eingestreut Einfälle entgrenzten Geistes: "San Francisco, die Stadt, die gerne Zürich wäre." Man könnte so weiter machen, und sagen: An dem Abend kriegt man doch was fürs Geld!
Aber weiter in der Geschichte. Die eine erzählt von ihrer Mission, lässt Triggerworte fallen: Walter PKK (Pistole James Bonds), Omega Seastar (leicht abgewandelt: seine Uhr), Porsche 550 – die anderen beiden Frauen raunen die Kult-Begriffe andächtig nach. Bespöttelt wird in Gestik und Stimmklang das auffällig unauffällige Getue, aber auch jener sentimentale Opfer-Heroismus, nicht nur von Bond, auch eines späten Lino Ventura oder Jean Gabin, jener vergessenen Siebziger Jahre-Garde, die im Fernsehen nur mehr ab Mitternacht kommt.
Illusion einer Handlung
Man bewegt sich in langsamen Hechtrollen, rupft alle Zeit den Revolver aus dem Holster, um ihn nervös vom zweiten zum dritten zu schwenken, es wird ein roter Faden sprichwörtlich auf der Bühne ausgespannt, der bald wie ein Überwachungssystem ausssieht. Man "arbeitet nur allein", ist "in Position": Wir verfolgen über Screen, wie die Dreierbande eine "Operation" am Theater Basel ausführt und sinnlos Personal niederschießt – bis den drei Filmagentinnen aufgeht, dass sie eigentlich gar keine Mission haben.
Zerquält intonieren sie John Lennons Desillusions-Stück "God", um sich darüber lustig zu machen: Über die fehlende Mission, über alles ganz generell. Ab dann ist es auch aus mit der Illusion einer Handlung, die zu verfolgen wäre. Es gibt nurmehr Szenen. Zum Beispiel gleich drei Verhör- und Folterszenen hintereinander. Ein "Geständnis": Alle Todesarten der James Bond-Schurken.
Fröhliches Wiehern
Irgendwann kommentieren zwei Frauen das Premieren-Publikum – uns –, wie es sich vor Spielbeginn niedersetzte auf dem Screen. Die Aufführung enthüllt ihren Nihilismus, wenn die drei Darstellerinnen phrasenhaft resümieren: "Es gibt vielleicht keine Wahrheit und nur Lügen, aber das heißt nicht, dass es keine Liebe gibt". Und dann gehen sie auf einem Fahrstuhl eine rauchen, was uns einen Ausblick hoch über der Stadt beschert. Ein passender Abschluss für einen Abend, der wohl gewollt mit betonter Nonchalance bis an die Grenze zur Schlampigkeit inszeniert und gespielt ist.
Man muss es mit diesem Blödel-Abend, der spontane Einfälle aneinanderreiht und voll auf die komischen Talente des Ensembles setzt, wohl so halten wie der jüngere Teil des Publikums, der gefühlt über jedes Komma und jedes Augenschielen fröhlich wieherte. Sonst ärgert man sich möglicherweise.
Erpresso Macchiato
von Elmira Bahrami, Franz Broich, Marie Löcker, Annika Meier
Inszenierung: Franz Broich und Ensemble, Bühne: Jana Furrer Kostüme: Karoline Gundermann, Videodesign: Hans Broich, Lichtdesign: Stefan Erny, Dramaturgie: Kris Merken, Kamera: Manuel Seiler.
Mit: Elmira Bahrami, Marie Löcker, Annika Meier.
Premiere am 12. April 2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.theater-basel.ch
Kritikenrundschau
Der Abend habe "weder eine logische Handlung noch einen roten Faden", seufzt Simon Baur in der Basler Zeitung (13.4.2024). Er sei "eine Aneinanderreihung von humoresken und drolligen Spässchen, witzigen Einfällen und prickelnden Wortspielchen". An diesem Abend sei "eine gewisse Tragik" zu verzeichnen, "eine gespielte, wie eine reale". Er habe sich auf "einen perfekt inszenierten Kunstraub gefreut", gesteht der Kritiker – und konstatiert: "Stattdessen wurde mir während 90 langen Minuten die Lust an der Theaterkunst geraubt."
"Belanglos" findet Dominique Spirgi von der bzbasel (14.4.2024) die Produktion. Keine Handlung, kein roter Faden und über eine Grundidee hinausgehendes Konzept sei zu erkennen. Diese "Nummernrevue des Agentenklamauks" hangele sich von Klischee zu Klischee.
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nachtkritikvorschau
Das Ende dieser Kritik ist eine Frechheit gegenüber dem anwesenden Publikum! (...) Neben mir sass – man glaubt es kaum – ein älteres Pärchen, dass sich köstlich amüsiert und lauthals mitgelacht hat. Die waren über 60, Claude Bühler! Die haben aber sowas von gewiehert und ich mit gleich mit ihnen :) Weil der Abend grossartig war, vor allem grossartig gespielt. Eine fantastische Teamleistung.
Sie müssen den Abend nicht mögen. Sie müssen auch nicht verstehen, dass ein Abend, der über die Ziellosigkeit unserer Gesellschaft, über Auftragslosigkeit oder Nihilismus nachdenkt, vielleicht doch ein Publikum anspricht, womöglich doch etwas mit unserem aktuellen Lebensgefühl zu tun hat. Stellen Sie sich vor, uns haben die manchmal platten, aber immer wieder auch klugen Witze wunderbar unterhalten. Man könnte genau beobachten und beschreiben, was da an dem Abend stattgefunden hat, nicht berichten, dass man es nicht versteht. (...) Wenn Sie aber anscheinend ein massives Problem mit angeblich "jungem Publikum" haben, dann sollten Sie vielleicht damit aufhören Kritiken zu schreiben. Denn das Publikum wird nicht mehr älter, stellen Sie sich vor: Es wird immer jünger! Und das Theater hat den Auftrag mit und für dieses Publikum zu denken und zu spielen. (...)
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Lieber Zuschauer, wir veröffentlichen Ihren Kommentar gekürzt, da einige Passage gegen unseren Kommentarkodex verstoßen (der hier nachzulesen ist: https://nachtkritik.de/impressum-kontakt)
Freundliche Grüsse aus der Redaktion
Der Abend beschäftigt sich mit den Fragen der Identität und Aneignung, dass man dabei auch mal lauthals lachen darf, empfand ich als einen Genuss.
Bitte Nachtkritik, derart undifferenzierte Meinungsäusserungen gehören auf den Blog des Autoren, nicht hier hin.