Medienschau: Berliner Zeitung – Katharina Thalbach über Benno Besson
Umstürzende Ästhetik
Umstürzende Ästhetik
20. Oktober 2022. Kurz vor seinem 100. Geburtstag würdigt Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (20.10.2022) den 2006 verstorbenen Theatermacher Benno Besson. In einem langen Gespräch mit Bessons Tochter, der Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach.
"Benno hat das Ensemble wie eine Zirkuscompagnie gesehen, wo man ganz selbstverständlich miteinander lebt und liebt und arbeitet", erzählt Thalbach. Und er habe Brechts dramatische Werke vital gehalten, indem er "in ganz Europa klargemacht" habe, "dass Brecht kein marxistisch-leninistischer Schulmeister ist, dass seine Stücke kein langweiliges Lehr- und Schnarchtheater sind, sondern äußerst vergnüglich, intelligent, modern und lebendig."
Auch die Erbe des Kommunismus im Werk des Theatermenschen Besson kommt zur Sprache: "Dass die Welt veränderbar ist, das war und ist ein produktiver Gedanke. Welch eine Schönheit liegt in der Idee, dass die Herrschenden abgelöst werden können und der Kapitalismus vielleicht doch nicht das alleingültige System ist. Das hat Benno immer beschäftigt, das Oben und Unten, das Utopische, und da hat er auch Brecht weitergetragen. Aber er hat es immer auch ein wenig wie durch ein Märchenglas betrachtet. Das Spielerische war die Hauptsache, das Kämpferische war verführend", so Thalbach.
Ein paar schöne Volten gegen die Spießigkeit der DDR, die Besson letztlich 1977 in den Westen vertrieb, hat Thalbach noch parat: "Es war mühselig und zermürbend, sich mit den sehr kleinbürgerlichen und spießigen Ansichten der Partei auseinanderzusetzen. Da ist so viel am Bonzentum gescheitert und so viel Energie draufgegangen. Man durfte nicht größer denken als diese piefigen Leute. Dass eine kommunistische oder sozialistische Idee auch ihre umstürzende Ästhetik sucht und braucht, dass man dazu auf das künstlerische Erbe zurückgreifen muss, auf das, was Menschen seit Anbeginn bewegt und nicht nur hier in der DDR, sondern überall auf der Welt – das war dann immer ein bisschen schwierig zu verklickern, wenn man damit an einen zuständigen Funktionär geriet."
(berliner-zeitung.de / chr)
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