Medienschau: SZ – Wer leitet künftig die Berliner Volksbühne?
Ein Sanierungsfall
Ein Sanierungsfall
15. März 2024. In der Süddeutschen Zeitung denkt Peter Laudenbach über die Zukunft der Volksbühne nach. Diese sei "seit Jahren das am schlechtesten geführte Theater Berlins" und benötigt werde nach dem Tod ihres Intendanten René Pollesch nun ein "harter, möglichst unsentimentaler Schnitt".
Schließlich seien nunmehr "alle Träume, die alte, legendäre Castorf-Volksbühne ließe sich irgendwie fortsetzen, zum Scheitern verurteilt", so Laudenbach in seinem Artikel. Bis es zu einer längerfristigen Neubesetzung der Intendanz kommen könne, müsse "irgendjemand mit sehr viel Erfahrung" das Haus als Interimsintendant leiten. Matthias Lilienthal sei so ein Kandidat, wie man von "Theaterkenner(n), Kulturpolitiker(n) und Leute(n) aus der Kulturverwaltung" höre. Für die Zeit danach habe man aus der Vergangenheit gelernt, dass weder ein "Event-Manager und Kunstbetriebs-Bluffer" à la Chris Dercon noch die "Stadttheater-Routine" eines Klaus Dörr der Volksbühne gerecht wurden. Gleichzeitig stehe die Intendanz von René Pollesch "für das Stolpern beim Versuch, die Castof-Volksbühne etwas modifiziert fortzusetzen".
Und während für Laudenbach mehrere denkbare Kandidat*innen wie Sebastian Hartmann (Kategorie "andernorts mäßig erfolgreiche Ex-Intendanten"), Kay Voges (hat gerade in Köln unterschrieben), Armin Petras ("keine große Lust" nach vorherigen Intendanz-Erfahrungen) oder Karin Beier ("Traumjob am Hamburger Schauspielhaus") wahrscheinlich ausscheiden, fällt das Augenmerk auf Nicolas Stemann. Dieser sei "als Intendant für das biedere Zürich etwas zu klug, zu politisch, zu radikal und künstlerisch zu avanciert" gewesen – was ihn "zu einem naheliegenden Kandidaten für die Volksbühne" mache.
(Süddeutsche Zeitung / jeb)
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Nein, Nicolas Stemann ist als Kandidat für dieses Amt ungeeignet, sofern auch der gegenwärtige Berliner Kulturstaatssekretär in dieser Causa demnächst nicht wieder den fatalen Fehler mangelnder Affinität und Street Credibility zur exzeptionellen Geschichte und Ästhetik der Berliner Volksbühne begehen will: Diese ist bekanntlich mit dem historischen Erbe von Piscator, Artaud, Brecht, Benno Besson, Heiner Müller, Einar Schleef, der russischen Avantgarde bzw. sozialrealistischer Dramatik verbunden, bis hin zur Ära von Frank Castorf und dessen Roman-Adaptionen russischer Epik, der sich als Ost-Deutscher eindeutig auf dieses Erbe berief bzw. daraus hervorging, und es teils postdramatisch weiterentwickelt hat. Kresnik, Schlingensief, Marthaler, Pollesch und Gotscheff bezogen sich neben Castorf am Rosa-Luxemburg-Platz - teils stärker, teils schwächer - genauso auf dieses historische Erbe einer marxistischen Wirkungsästhetik, weshalb sie für das spezielle Publikum der Volksbühne zu idealen Spielplan-Ergänzungen wurden und in der komplexen Kombination Theatergeschichte geschrieben haben. Es gab einen Grundkonsens aus bühnenpraktischer Verwandlung, Emanzipation, Schmerz, Schönheit und Erkenntnis.
Will man also nicht erneut riskieren, daß das Volksbühnen-Publikum wahlweise auf die Barrikaden geht oder mit den Füßen gegen einen - als nicht satisfaktionsfähig erachteten - Intendanten Stemann abstimmt, kann die künftige Weiterentwicklung nur mit einem oder einer Regisseur/-in nebst neuem Leitungsteam legitimerweise gelingen, der/die aus dieser marxistischen Verantwortungsethik heraus Theater macht, nebst geschichtsphilosophischem Anti-Kapitalismus und Non-Repräsentation.
Die gewachsene Statik der fünf großen Bühnen Berlins würde nämlich erheblich geschwächt und irritiert, wenn der/die Neue keine eindeutige Sozialisation, Ästhetik und Affinität zur linksradikalen Geschichte der Volksbühne mitbrächte und zur künftigen Programmatik der Volksbühne Berlin erklärte! Maximal geeigneter für die Post-Pollesch-Intendanz sind daher Regieführende, die sich heute noch intensiv und produktiv am Werk Bert Brechts abarbeiten sowie einer aufklärerischen Arbeiterkultur zugewandt sind, und darauf basierend, eine eigene (marxistisch/postdramatische) Ästhetik und Dramatik für ein 'Theater der Zukunft' entwickelt haben; wie es die oben implementierten Theatermacher der Geschichte der Berliner Volksbühne mit einem starken Rekurs auf Artauds "Theater der Grausamkeit" einschrieben. - Dies gilt bereits für die Wahl eines etwaigen Interimsintendanten, denn Matthias Lilienthal würde Nicolas Stemann ja im Schlepptau haben bzw. diesen mittelfristig als Nachfolger an der Volksbühne vorbereiten!
Mir gefällt indes die Idee, daß es langfristig jemand zwischen Mitte 40 und Anfang 50 wird, die/der noch nirgends ein Theater geleitet hat bzw. maximal Oberspielleiter war, aber eine Entschiedenheit auf der Bühne kraftvoll inszeniert, die von einer besonderen Eigenwilligkeit zeugt. ("Das einzige, was ein Kunstwerk kann, ist Sehnsucht wecken nach einem anderen Zustand der Welt. Und diese Sehnsucht ist revolutionär." - Heiner Müller) Es muß also unbedingt jemand mit DDR-Kindheit oder mit osteuropäischer Biographie werden, der/die das marxistische Erbe der Volksbühne Berlin keinesfalls verrät! Aber ein Ulrich Rasche, der in Bochum zu Zeiten von Frank-Patrick Steckel sozialisiert worden ist, ist auch sehr gut denkbar...
So oder so finde ich es aber anstandshalber angemessen mindestens einen Monat (wo ein Trauerjahr vermutlich nicht geht) zu warten, bevor man sich in derlei Zukunftsfantasien über die Volksbühne ausweidet.
Bert Neumann und Rene Pollesch sind tod, Castorf ist weg und macht nichts wesentlich Neues mehr. Dort ist jetzt eine so zentrale Epoche der Theaterkunst an ein Ende gekommen. Bevor sich nun noch jemand an diesem übergroßen Erbe abarbeitet, wäre es klug etwas Neues anzufangen.
Und der moderne Tanz kommt viel zu kurz in Berlin. (Und nein, damit ist nicht Sasha Waltz gemeint). Also Volksbühne als Tanzhaus, mal groß denken und zugleich eine naheliegende Lösung.
@3: Diese eindimensionale Festlegung ist nicht nötig. Auch an einem starken - und wie in in #1 grandios charakterisierten - Sprechtheater ist sehr viel Platz für Tanz. Denken Sie mal an Kresnik bei Castorf. Da gab es sogar ein eigenes Tanzensemble. Man kann also beides parallel haben.
(...)
Insgesamt ist Laudenbachs Artikel leider von einer Giftigkeit getränkt, die mir seine Analyse mulmig macht. Man mag ja einiges beobachten dürfen, aber Anna Heesen als "Freundin von Martin Wuttke" zu labeln ist schon hochgradig problematisch. Auch liegt Laudenbach trotz meritenhafter Dercon-Recherche damals nun aber falsch, wenn er Renners Entscheidung in 2017 verortet. Wenn man als Kritiker derart auftritt, muss man sich fragen, wie schnell man den Rest des Artikels in die Tonne treten darf. Vorsicht!
(Anm. Redaktion. Ein Bezug auf einen vorherigen, nachträglich gelöschten Kommentar wurde entfernt.)
Ein Tanzhaus mit Holzinger/Macras als artists in residents und regelmäßigen Gastspielen anderer internationaler Choreograph*innen wäre eine Bereicherung für Berlin.
Es stellt sich nur ein Folgeproblem: Womit würde Matthias Pees nach schwacher erster Saison dann die Lücken in seinem Haus der Berliner-Festspiele-Spielplan stopfen?! Nach holprigem Beginn setzt er im kommenden Herbst/Winter auf Gastspiele bekannter Namen aus der Tanzszene. Aber ich bin zuversichtlich, dass Claudia Roth hier eine sinnvolle Nachfolge-Regelung finden würde.
So let´s go for it! Mehr Tanz in Berlin, in der Volksbühne und auf Nachtkritik!
Aber im Ernst: Wäre nicht einmal ein gutes Verfahren, eine Findungskommission zu ernennen, am besten ganz ohne die üblichen Verdächtigen - von Bühnenverein und aus dem altgedienten Kollegenkreis - und sie in aller Ruhe und mit großem Radius jemand suchen zu lassen, der oder die diesen Panzerkreuzer in dieser Zeit wieder zu dem machen könnte, was er Mitte der 1990er-Jahre, in einer ähnlich epochalen Wendezeit, war?
Immer diese Reproduktion der deutschen Platzhirsche ist kaum mehr zu ertragen und auch wenig Neues versprechend. Was Pollesch lieferte war ein Freiheitsbegriff, der nun wieder aus den osteuropäischen Glutöfen kommen muß! West ist nicht genug.
Wenn man über eine neue Leitung nachdenkt, wäre es meiner Meinung mal Zeit für eine Frau an der Spitze der Volksbühne.
Holtzinger würde mir da zuerst einfallen.
Wenn ein Typ, dann bitte Ersan Mondtag, aber lasst bitte die Volksbühne verschont mit (...)
(Anm. Redaktion Eine übers Ziel hinaus schießende Invektive ist aus dem Kommentar gelöscht worden.)
Die Volksbühne sollte schon einmal zu einem Tanzhaus gemacht werden. 1989/90 wollte die Westberliner Kultursenatorin Anke Martiny genau das durchsetzen. Dazwischen kam ihr die Schauspieltruppe um Castorf und das Räuberrad ins Gehege. Die Volksbühne, das war nie Castorf allein. Das war die Truppe, der Ostschauspieler, das Spiegelbild enttäuschter Ex-DDR-Bürger – es waren die Räuber. Im Denken und im Spielen. Und davor war es das Schauspielertheater des Schweizers Benno Besson, wenn wir die 80er aussen vor lassen. Es war Theater vom Darsteller aus gedacht, vom Spiel und vom Subversiven dieses Akts. Noch vor den Castorfs Russenbearbeitungen war es Marthalers "Murx ihn", was Berlin aufrüttelte und unterhielt. Da versammelten sich plötzlich die besten Spieler:innen des Landes, weil Regisseur:innen zusammenkamen, die was riskiert haben und dieser Ort zwischen den Zeiten, Neues ermöglicht hat. Wie z. B. auch Lilienthals Obdachlosentheater.
Nein, es muss eine Schauspieltruppe her, keine gutbürgerlichen Söhne und Töchter, wie Stemann oder Kennedy. Die Truppe aus Basel zeigt, wie spannendes Theater aus dem Kollektiv heraus geht. Und auch da ist wieder ein Marthaler unterwegs.
Bitte endlich wieder mehr Lust, Risiko und ein tolles Ensemble. Das wollte auch Pollesch, aber die Zeit hat leider gegen ihn gearbeitet.
Warum? Das Argument er würde zu kluges Theater für Zürich machen , ist doch arg dünn.
Kann man den armen Pollesch nicht mal ruhen lassen. Zeit und ein liebevoller Blick auf das spezielle dieser Bühne würde echt guttun.
Theater wird immer noch von Menschen gemacht. Auch wenn es manchem Kritiker schwerfällt das zu glauben.
Ivan Nagel besaß die Vorstelkungskraft und den Mut, zu einem Wagnis zu raten.
Natürlich kann man mit dem Nachdenken über die Zukunft aus Pietät warten. Aber realistisch gesehen, wird schon vielfältig nachgedacht.
Der Artikel von Laudenbach ist dabei ein schönes Beispiel wie in vollkommener blinder Betriebsamkeit einfach sofort Namen durchgehechelt werden ohne irgendeine Analyse oder irgendeine weiterführende grundsätzliche Überlegung.
Ivan Nagel ist ein gutes Beispiel, dass es manchmal gut ist, etwas neu und weit zu denken. Das ist nicht geschichtsvergessen, sondern macht den Gedankenraum erst weit für Neues. Beharrungskräfte und Denkverbote führen nicht in die Zukunft.
Ich finde, es respektiert die Schöpfer dieser großen Ära und die grandiosen Spieler*innen, wenn diese Ära nun an der Volksbühne in Würde zu Ende gehen und Neues entstehen darf. Also halten wir vielleicht nochmal inne und hoffen, die Verantwortlichen schauen dann mutig nach theatraler Kraft, ob Tanz oder Theater, die - so Nagel damals - nach drei Jahren an der Volksbühne berühmt oder tot ist.
"Geschichtsvergessen"?! - Es war der ungarisch-deutsche Theaterkritiker und legendäre Intendant, Ivan Nagel, der nach der Wiedervereinigung vom Berliner Senat aufgefordert wurde, ein Konzept sowohl für die Volksbühne als auch für das Berliner Ensemble zu entwerfen: Ivan Nagels weitsichtiger Empfehlung ist es zu verdanken, daß Frank Castorf am Rosa-Luxemburg-Platz und ein mehrköpfiges Direktorium (später: Heiner Müller allein) am Schiffbauer Damm Intendanten wurden. Nagel war ein brillianter Kopf und Theaterphilosoph.
Aus dieser Gründungsphase 1990/92 ist das Bonmot an Castorfs Truppe für die Zukunft der Volksbühne überliefert: "Nach drei Jahren seid Ihr und die Volksbühne tot oder weltberühmt!"
@ Nagels berühmt gewordenes Gutachten über die Theaterlandschaft Berlins ist auch heute noch sehr lesenswert und hilfreich!
#2
Thomas Oberender ist gar kein Regisseur, wie es der/die künftige Intendant/-in der Volksbühne Berlin aber dringend sein sollte. Er steht für die konservative Denkschule eines Botho Strauß, über den er promoviert wurde; niemals für den linksradikalen Geist der Volksbühne! Wegen bekannt gewordener Kritik an seinem machtbewußten Führungsstil und Arbeitsüberlastungen seiner Mitarbeiter mußte Herr Oberender die Berliner Festspiele als deren Intendant bekanntlich vorzeitig verlassen. Ihn an die Spitze der Volksbühne Berlin zu berufen, wäre ein krasser Affront!
#3
Die Volksbühne ist als Repertoirebühne eindeutig für Schauspiel gedacht, gebaut worden und muß von der Kulturpolitik als solche geschützt werden. Das Fehlen eines Tanzhauses und die riesige Nachfrage nach Tanz in Berlin darf doch nicht zu Lasten dieses Theaters mit exzeptioneller Schauspiel-Historie verwurschtelt werden, Leute!
Ich meine, daß der Tanz an der Volksbühne eine Berechtigung als Ergänzung NEBEN dem Schauspiel hat, nicht aber indem man das Sprechtheater dafür ersatzlos streicht.
"[...] Bevor sich nun noch jemand an diesem übergroßen Erbe abarbeitet, wäre es klug[,] etwas Neues anzufangen." - Vorsicht, Vorsicht, denn dieses Brecht'sche Erbe ist doch die wertvoll-einzigartige DNA der Volksbühne! Ansonsten kann es wie bei den Herren Dercon oder Dürr enden.
#5
Wenn von "Hartmann" die Rede ist, sprechen wir wohl von Sebastian, nicht von Matthias.
Ja, absolut richtig, wie die Geschichte zeigt, an der künftigen Volksbühne als Sprechtheater ist sehr viel Platz für Tanz; denken wir auch noch an Meg Stuart. Man kann beides an der Volksbühne parallel haben, so wie Reinhild Hoffmann und deren Tänzer weiland am Schauspielhaus Bochum neben Herrn Steckels Sprechtheater-Ensemble.
#6 & #9
Haben Vegard Vinge, Constanza Macras, Florentina Holzinger, Susanne Kennedy und Ersan Mondtag tatsächlich das nötige Format für solch ein bedeutendes Haus? - Ich meine, nicht rein künstlerisch, sondern geschichtsphilosophisch und ästhetisch? Oder muß man deren Ästhetik nicht als zu begrenztes Nischentheater charakterisieren?
#7
Wenn Sascha Hawemann für den Berliner Kultursenator infragekäme, müßte man ihm eine fähige Kaufmännische Direktion beiseitestellen oder ggf. Herrn Hawemann in ein Dreier-Direktorium einladen, wie damals Leander Haußmann mit Dimiter Gotscheff und Jürgen Kruse in Bochum?
#8
Ja, der Auszug des Tanzes im Haus der Berliner-Festspiele würde Lücken reißen. Wurde schon darüber nachgedacht, mehr Tanz in Berlin z.B. im Radialsystem anzusiedeln und an diesem Haus durch die Kulturverwaltung besser auszustatten?
#9
Nein, hier werden spezielle Leute (sicher nicht "alle möglichen) ins Gespräch gebracht, weil man diese - im Gegenteil - ernsthaft diskutieren will.
Ja, Herbert Fritsch ist sicher erneut ein heißer Kandidat; ebenso wie Sebastian Hartmann.
Findungskommission: Tja, eine Findungskommission wird meist ernannt, wenn die Kompetenz an der Spitze der Kulturverwaltung in der Selbsteinschätzung schmal ist (siehe: Berufung Schauspiel Köln). Wenn ein Kulturdezernent/-senator aber kompetent und risikofreudig ist, läßt er/sie sich diese Hoheit nicht nehmen (z.B. Richard Erny in Bochum; Hilmar Hoffmann in Frankfurt/Main).
Aber in einer Findungskommission sitzen nun mal meist die üblichen Verdächtigen, fürchte ich.
Ich vermute, daß der Berliner Kultursenator bald die Aufgabe hat, "in aller Ruhe und mit großem Radius jemand" zu suchen, und dabei hoffentlich Expertisen einholt: Joe Chialo könnte dabei auch vom Wissen einer Nele Hertling sowie eines Frank Baumbauer profitieren, der übrigens Frank Castorf, Matthias Lilienthal, Carl Hegemann und Christoph Marthaler während seiner Intendanz am Theater Basel ab 1988 zusammengebracht hat und miteinander arbeiten ließ.
#10
Mir käme als künftiger Intendant der Volksbühne ein russischer Regisseur in den Sinn, Dessident in Berlin: Kirill Serebrennikow, Jahrgang 1969. Er wäre sicher keine "Reproduktion der deutschen Platzhirsche".
Übrigens: René Pollesch war ein Wessi, der durch das Denken von Andrzej Wirth und Hans-Thies Lehmann geschult worden ist.
#12
Richtig, weil die Volksbühne Berlin ihre glanzvollsten Zeiten mit Schauspieltruppen um jeweils regieführenden (!) Intendanten hatte, sollte sie wirklich kein reines Tanzhaus werden.
@ Also, haben wir hier m.E. ein weiteres Kernkriterium: Welche/r gegenwärtige Regieführende (im Alter zwischen Mitte 40 und Anfang 50) vereint/bildet eine Truppe, ggf. der Ostschauspieler, ein Theater, das sehr stark "vom Darsteller aus gedacht [war/ist], vom Spiel und vom Subversiven dieses Akts."?
Übrigens ist die Wahl einer gewissen sozialrealistischen Literatur in der Vita der Regisseur/innen für die Programmatik der Volksbühne durchaus wichtig.
"Risiko" ist ein weiteres verlorengegangenes Kriterium.
Aber eine tolle Schauspieltruppe findet sich ja oft erst mit der Möglichkeit, ein Theater leiten zu dürfen - das kann man erstmal nur von den Inszenierungen der infragekommenden Regisseur/-innen ableiten.
Mit "Die Truppe aus Basel" meinen Sie wohl Benedikt von Peter und dessen Ensemble? Aha, nur für's Protokoll: Herr von Peter ist ein interdisziplinär geschulter Regisseur des Musiktheaters.
@Letztlich liegt der Ball beim Kultursenator Berlins, Joe Chialo.
Was ist mit Antu Romero Nunes oder Jan Christoph Gockel?
Oder ein Typ wie Christopher Rüping? Das sind zumindest starke Schauspielhandschriften.
Auf der weiblichen Seite wäre vielleicht Nora Abdel Maksoud zu nennen.
In den Fällen würde ich zumindest schon mal zur Eröffnung gehen…
Antu Romero Nunes, Jörg Pohl, Dirks, Schonlau
der bereits 22 oder 27 namentlich nominierten?
was ich schade finde, dass offenbar die zeit der radikal politischen denker*innne vorbei ist. das meiste, was man zur zeit zu sehen bekommt ist entweder von einer geradezu apolitischen ästhetisierung oder plump gemacht und gedachtes agit prop. hinzu kommen die ästhetisch sauber gearbeiteten arbeiten, vieler mitteljunger regisseur*innen, die zumeist von den schulen kommen und bestens vernetzt sind.
was fehlt, im schauspiel, ist die verquickung von theaterliebe, intellektualität und politischem bewusstsein, dabei meine ich nicht vordergründige identitätspolitik, die nur darauf abzielt, dass marginalisierte akademiker*innen auch mal ran dürfen oder noch schlimmer weiße intendantin*innen die sich mit bipocs schmücken damit der zeitgeist sie nicht überrent, nein, theatermacher*innen, die* den großen gegenentwurf wagen. es braucht wieder linke opposition. ja linke.
Hauptsache Polleschs Nachfolge wird eine Frau. Alles andere geht gar nicht.
Damit der Blick auf gewisse Kandidaten nicht verengt bzw. präjudiziert wird, könnte es dem Kultursenator Joe Chialo sehr gut weiterhelfen, neben den von mir erwähnten Frank Baumbauer und Nele Hertling weitere Expertisen an der Akademie der Künste einzuholen: Hoffentlich erklären sich speziell Matthias Langhoff und Christoph Hein auch dazu bereit! Denn was ich in Post #1 als Brecht-DNA, Affinität und Street Credibility der Volksbühne zu beschreiben versucht habe, kennen diese beiden Herren ja aus eigenem Erleben und Gestaltung!
Wenn ich bei der Wahl einer neuen Intendanz für die Volksbühne Berlin immer wieder auf das Vorhandensein einer marxistischen Ästhetik verwiesen habe, müssen wir konstatieren, daß es kaum ein/n Regisseur/-in U60 mit DDR-Kindheit oder post-sowjetischer/osteuropäischer Biographie gibt, der/die uns satisfaktionsfähig für dieses Amt erscheint. Es fällt uns auch keine (anarchistische) Truppe der Ost-Schauspieler ein - wie mit anderen Vorzeichen weiland unter Peter Stein. Dieser Pool von linksradikalen Regisseur/-innen, die für Antonin Artauds "Theater der Grausamkeit" eine wirklich authentische Bühnenform gefunden haben, ist so klein, daß wohl gar kein(e) kraftvolle(r) und eigenwillige(r) Regisseur/-in Mitte 40 bis Anfang 50 im deutschsprachigen Theater existiert, der/die das entsprechende Format mitbringt.
@ Kirill Serebrennikow; Sebastian Hartmann; Sascha Hawemann
Links sein, reicht nicht! - Die Volksbühne Berlin wird in der Statik der fünf Sprechtheater Berlins schwer zu kämpfen haben, wenn sie von der Intendanz aus nicht linksradikal und anarchistisch gedacht und gelebt würde! Es sprengt den Rahmen dieses Threads, hier zu definieren, was eine marxistische Ästhetik sei, aber das obige Zitat von Heiner Müller in meinem Post #1 liefert eine Definition in nuce.
Es ist also fundamental bei der Auswahl von Kandidaten zu bedenken, daß man zwar einen Heiner Müller/Brecht inszeniert haben kann, aber damit noch lange keinen Heiner Müller/Brecht GEMACHT hat!
Insofern scheidet ein @Lars-Ole Walburg für mich aus, denn ich habe am Berliner Ensemble seine Inszenierung "Heiner 1-4" gesehen: keine authentische Konfliktaustragung oder marxistische Wirkungsästhetik, geschweige denn ernsthaftes Aufbäumen gegen den herrschenden Neoliberalismus.
Insofern scheiden @Kühnel/Schuster für mich aus, denn ich habe deren "Der Auftrag" am Staatsschauspiel Hannover gesehen: hilflose Komödiantik, aber die grundlegende Dialektik gekillt - anstatt emanzipatorischer Schrecken, wie von Heiner Müller gefordert.
Insofern scheidet ein @Laurent Chétouane eindeutig aus, denn ich habe seine "Bildbeschreibung" am PACT Zollverein in Essen gesehen: Selbstverliebtheit und Eitelkeit; er hat die Intentionen Heiner Müllers verraten.
Insofern scheidet auch @Armin Petras aus, denn ich habe u.a. sein "Jeder stirbt für sich allein / Leipziger Meuten" am Schauspiel Leipzig gesehen: keine authentische Konfliktaustragung oder marxistische Wirkungsästhetik, geschweige denn ernsthaftes Aufbäumen gegen den herrschenden Neoliberalismus.
- Die Inszenierungen dieser Regisseure tun nicht weh, wie es gefordert wäre, sondern wollen cool sein.
Erinnern wir uns daran, daß Benno Besson ja aus der Schweiz stammte - also wird die Berliner Kulturverwaltung auch Kandidaten ins Visier nehmen(müssen), die keine DDR- oder post-sowjetische Vergangenheit haben.
@ Ulrich Rasche; @Herbert Fritsch; @Milo Rau
@ Ulrich Rasche; @Herbert Fritsch; @Milo Rau
Auf ihre je eigene Weise sind diese Drei mit dem historischen Erbe von Piscator, Artaud, Brecht, Benno Besson, Heiner Müller, Einar Schleef, der russischen Avantgarde bzw. sozialrealistischer Dramatik verbunden. Milo Rau ist wie Pollesch ein Autor-Regisseur. Joe Chialo muß entscheiden, inwiefern einer dieser Drei als Nicht-Ostdeutscher sich fruchtbar auf dieses exzeptionelle Erbe der Volksbühne beruft bzw. daraus eine eigenständige subversive Ästhetik entwickelt hat. Diese drei Regisseure besitzen das intellektuelle Format, die großen Fußstapfen an der Volksbühne auszufüllen, aber ich kenne keinen der Drei persönlich. Besitzen sie auch die legendäre Freundlichkeit eines Bert Brecht, sind hoffentlich kaum eitle Persönlichkeiten und laden prägende Regisseur/-innen neben sich ein?
Wenn man ein Weiterleben der "alten" Volksbühne unter Frank Castorf in einer verengte Richtung des Fäkalien-Trash verlängern will, kann @Vegard Vinge in die zukünftigen Pläne einbezogen werden. Doch ist für mich mehr als fraglich, ob Herr Vinge als möglicher Intendant mit seinem slapstikhaften Theater und Ibsen-Fixiertheit überhaupt der Brecht-DNA und den geschichtsphilosophischen Ansprüchen der exzeptionellen Ästhetik der Berliner Volksbühne entspricht.
Wenn die neue Intendantin der Volksbühne Berlin zwingend eine Frau werden soll, wird sich die Berliner Kulturverwaltung mit einer ehemaligen Intendantin und einer amtierenden Schauspieldirektorin auseinandersetzen, die beide kürzlich mit Bewerbungen am Volkstheater Wien gescheitert sind.
@ Claudia Bauer und @Anna Bergmann
Wenn man die jetzige Pollesch-Volksbühne verlängern will, und es unbedingt ein Direktorium aus jüngeren Frauen werden soll, kann man sich mit @Florentina Holzinger, @Constanza Macras und @Susanne Kennedy als Co-Intendantinnen beschäftigen, wobei meine Frage aus dem Post # 16 hier noch niemand beatwortet hat: Haben die Drei tatsächlich das nötige geschichtsphilosophische und ästhetische Format? Oder muß man deren Ästhetik nicht als zu begrenztes Nischentheater charakterisieren?
Ich kann aus Pietät über den plötzlichen Tod von René Pollesch jetzt schweigen, aber wenn ein Peter Laudenbach eine tendenziöse Berichterstattung von sich gibt, darf das durch die informierte Leserschaft mit einer konstruktiven Analyse und fundierten Empfehlungen erwidert werden.
@ Mark Rabe
Gruselig, was Sie da entwerfen.
Fernab der Kunst.
Fernab des Spiels.
Wie die meisten Beiträge hier: Ein kleinliches Schaulaufenlassen.
(...) Ins Theater gehen, um sich und die eigene Weltsicht bestätigt zu sehen und bitte nicht mit anderem konfrontiert zu werden.
Das alles aber in Weltläufigkeit verpackt. Denn es geht ja um Berlin! Berlin! Berlin!
Zum kotzen.
Was sie, Mark Rabe brauchen ist entweder ein Museum oder eine zugestaubte Zimmerbühne für Ihr marxistisches Theater. In Hohenschönhausen vielleicht. Hauptsache Brechts legendäre Freundlichkeit wird unter die Leute gebracht.
Ich werd' mir Ihre Texte hier mal rauskopieren. Die gehören bei passender Gelegenheit verwurstet.
Ach und: Die Gelegenheit angesichts Rene Polleschs plötzlichem Tod zu schweigen, haben Sie grandios verpasst.
Lassen Sie sich die Gelegenheit kein zweites Mal entgehen. Schweigen Sie jetzt!
Und schlagen Sie die Bedeutung des Wortes "Pietät" nach!
Bitteschön; ich freue mich über Ihre positive Resonanz, denn im Internet ist inpolemische Akklamation von einem Fremden und nicht gefaketen Beiträger sehr selten! Ohne mit Klarnamen zu posten, konnten mir die obigen Verunglimpfungen wenig anhaben...
Ich habe nach Ihrer ermutigenden Conclusio nur noch mitzuteilen, daß ich meine Begrifflichkeit anpassen könnte, weil "marxistisch" in meinem Sprachgebrauch für einige bedrohlich ideologisch klingen mag: Also, besser "dialektisch" anstatt marxistisch und mehr Betonung des Postdramatischen anstatt Artaud, da viele mit dessen wirkungsästhetischer "Grausamkeit" ggf. weniger anfangen können.
"[...] Auch wenn die meisten den Anspruch eines dialektischen, postdramatischen Theater stracks und kiesig verunglimpfen, nur eine Volksbühne mit Intellekt, Bewusstsein und geschichtsphilosophischem Format in Persona kann dieses Siechentheater noch retten."
- Wow, damit erteilen Sie z.B. auch Martin Wuttke als möglichem Interimsintendant eine Absage.
Tja, in gewisser Weise hat der Berliner Kultursenator in Bezug auf die Volksbühne ab sofort offenbar wieder die selbe Aufgabe wie weiland Ivan Nagel: Die Neuerfindung der Volksbühne durch eine/n regieführende(n) Intendant/-in und dessen/deren Schauspielertruppe in der Kontinuität des geschichtsbewußten Erbes mit Brecht-Affinität, aber - und das ist entscheidend - ohne die personelle Kontinuität der Leitenden Mitarbeiter aus der Castorf-Ära in der künftigen Intendanz.
Satisfaktionsfähige Regisseurinnen sind bei den Empfehlungen zu kurz gekommen: Unter den regieführenden Frauen der mittleren Generation ragt für mich @Karin Henkel (Jg. 1970) weit heraus, mit der sich die Berliner Kulturverwaltung ebenso beschäftigen sollte. Auch, wenn Frau Henkel keine Brecht-DNA verkörpert, bewundere ich ihre Inszenierungen seit zwei Jahrzehnten. Doch befürchte ich, daß sie nirgends (und schon gar nicht am Rosa-Luxemburg-Platz) eine Intendanz übernehmen will: Man müßte ihr mit Nachdruck den Teppich ausrollen, wenn ästhetische Gründe in besonderer Weise dafür sprechen, Karin Henkel an die Spitze der Volksbühne Berlin zu berufen.
Wann führt @nachtkritik.de eine grundsätzliches Interview mit Joe Chialo, damit die Öffentlichkeit erfährt, wie repräsentativ-konservativ oder subversiv-dialektisch er die Zukunft der Volksbühne Berlin denkt?
Die Volksbühne ist für mich ein Haus der Theateravantgarde und des Klassenkampfs, ein Haus von Arbeitenden für Arbeitende. Damit sind für mich schnöde Karrierismen des Bürgerlichen Theaters a la (...) mit ihren Agenturen obsolet. Es gibt so wenig Raum in Germany und mittlerweile auch Berlin für Bühnenkunst, die etwas wagt und den Status Quo aufrüttelt, die einen eigenen Biss hat, sich nicht ständig selbst reproduziert in Form, Kraft und Humor besitzt, etwas hinzustellen und die Sparten öffnet und andere Zuschauende erreicht - auch durch Formen des Popkulturellen oder der Subkultur. Für mich gehören auf die Bühne der Volksbühne: Vinge&Müller, Florentina Holzinger, Herbert Fritsch, Doris Uhlich, Peng Kollektiv, glanz&krawall, die Helmis, Protestoper Lauratibor. Es gibt sicherlich einige Vergleichbare, die ich noch nicht kenne - wie bekannt oder unbekannt sie sein mögen. Wer ermöglicht es, dass die dort stattfinden können? Oder sie selbst leiten das Ding? Die anderen Langweiler sind doch schon am DT, BE und wie sie alle heißen... Nur befürchte ich keinen klugen Akt der Vergabe bei diesem CDU-Senator für Kultur.
(Anm. Redaktion: Zwei Wendungen, die in ihrer Polemik gegen Personen übers Ziel hinausschießen, wurden aus diesem Kommentar entfernt.)
Aha, freut mich, diese Empfehlung habe ich oben in meinem Post 16 ja bereits gegeben...
Aber können Sie Ihre Bestätigung hier bitte unterfüttern, wieso genauer Kirill Serebrennikow und die Volksbühne Berlin "die stärkste Idee bisher" ist?
Haben Sie Inszenierungen von ihm gesehen und wollen uns an Ihrer Seh-Erfahrung hinsichtlich Herrn Serebrennikow als Theaterregisseur (künstlerisch, ästhetisch, geschichtsphilosophisch) teilhaben lassen?